laut.de-Kritik

Ein House-Mix aus einer überteuerten Penthouse-Bar.

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Eines muss man ihm ja lassen: Die Überraschung ist gelungen. Eine überforderte Szene erkennt man am besten daran, dass überall die abenteuerlichsten Vergleiche auftauchen. Als Drake nämlich sein siebtes Studioalbum ohne jede Vorwarnung und mit keiner Single auf die Welt losließ, dachte man erst an sein ähnlich benanntes "If You're Reading This It's Too Late", sogar von einem Kritiker-Kiss-Of à la Eminems "Kamikaze" wurde geträumt. Es war ein kurzer Traum. Apple labelt "Honestly, Nevermind" als Dance-Album. Ja, was ist es denn jetzt? Sein "808s"? Sein "Kissland"? Sein "Sorry For Party Rocking"??? Nichts von alledem stimmt. "Honestly, Nevermind" ist Drakes bemühter, aber leider auch sehr monotoner Versuch, seinen Trendsetter-Status zurückzugewinnen. Eine ganze Stunde schöner House-Beats hat er sich dafür schustern lassen. Es könnte ein Zeitgeist-Moment sein. Wenn er irgendetwas damit anzufangen wüsste.

Dabei kann ich gar nicht genug sagen, wie schön es ist, dass nach drei endlosen und völlig Konzept-befreiten Streaming-Playlisten von Alben endlich mal ein Drake-Album entsteht, das als musikalisch stringent funktioniert. Die Idee von einem Drake, der das Dance-Ding auf Albumlänge durchzieht, ist nämlich super. Nach all den "Certified Lover Boys" und "Scorpions" brauchte es dringend mal ein musikalisches Statement. Und er hat ja auch die Connections, um diesen opulenten, unterkühlten Sound zwischen Frankreich und Afrika perfekt zusammenbauen zu lassen. House-Großmeister Black Coffee ist ein großer Name im Produzenten-Team, auch Carnage, Beau Nox, 40 und Alex Lustig tauchen auf.

Das Positive vorweg: Die Produktion auf diesem Album klingt über lange Strecken super. Es sind verdammt kompetente Sound-Designer am Werk, die hier und da auch magische Momente einfangen, wie ich sie mir von Drake-House wünschen würde. Die Synth-Leads über die Dancehall-esken Drums auf "Texts Go Green", die Bassline im letzten Drittel von "Calling My Name", die ätherische Klangtiefe von "Flight's Booked": Das klingt nokturnal, elegant und verdammt cool. Es schließt an die besten Momente von Drakes Nightdrive-Musik an, baut auf dem auf, was Diskographie-Highlights wie "Passionfruit" oder "One Dance" so gut gemacht haben.

Das Problem ist nun nur: Drake stellt sich schlecht an, diese atmosphärischen und subtilen Instrumentals wirklich zu verwandeln. Denn trotz Produktions-Highlights noch und nöcher kommt diese Platte einfach überhaupt nicht aus dem Tran. Vielleicht liegt es am Songwriting? Kein Track drängt sich mit einer zündenden textlichen Idee auf. Pitchfork hat ihm schon vorgeworfen, man könne an diesem Punkt überhaupt nicht mehr sagen, ob da gerade eine Drake-AI am Werk sei, oder nicht. Hört man sich die völlig wahllosen und anonymen Heultiraden an irgendwelche Exfreundinnen an, wagt man nicht, ihnen zu widersprechen.

Mehr noch als mit den Texten wirken aber auch seine Vocal-Performances, als hätte man Drake wahllos auf den Beats an und aus gemacht. Er weiß gerade auf Trap-Beats ziemlich perfekt, wie man die optimale Streaming-freundliche Performance hinlegt, die man im Hintergrund ein Dutzend mal hören kann. Das bietet sich für seine Rap- und R'n'B-Nummern an, weil diese Songs sich von selbst strukturieren und die zugehörigen Tapes meistens auch mit Features zugeschissen sind. Aber hier variieren die Songs teilweise lange nicht zwischen Part und Refrain und wir haben Drake, und wirklich nur Drake, der zur generellen Unterhaltung beiträgt. Er wirkt völlig aufgeschmissen mit der Aufgabe, irgendwelchen klanglichen Highlights zu setzen.

"Tie That Binds", "Falling Back", "A Keeper" und "Liability" sind Beispiele dafür, wie hilflos er durch die selbst formulierte musikalische Aufgabenstellung stolpert. Sein Dreiton-Singsang, höchstens durch ein bemühtes, aber nicht unbedingt gut ausgeführtes Falsetto unterbrochen, dudelt so schmerzhaft gleichförmig durch diese ganze Platte, dass es jedes einzelne Mal an den Beats liegt, wenn etwas musikalisch funktioniert. Zum Beispiel die klaren Highlights "Sticky" und "Massive" - die klappen; zum einen, weil Drake auf letzterem zwischendurch immerhin mal kurz rappt und dadurch ein kleines bisschen Persönlichkeit wachkitzelt, aber vor allem, weil wir hier die markantesten und bewegtesten Beats abbekommen. Gerade "Massive" baut so einen dynamischen, tanzbaren Sound auf, dass man sich dazu bewegen möchte, ob nun ein Drake darauf singt oder nicht.

Und hier kommt das Fallbeil, das "Honestly, Nevermind" davon abhält, so etwas wie ein "808s & Heartbreaks" zu werden: Ja, es mag ein konzeptionell durchgezogenes Album sein, auf dem er voll auf einen Sound einsteigt, der in Zukunft noch sehr viel prominenter sein könnte. Aber ich sehe einfach überhaupt nicht, wie dieses Album musikalische Hilfestellung für die Rap-Electronica-Fusion geben könnte. Die Synthese aus Drake und House liefert minimale Synergie. Es ist wirklich einfach nur Drake-Gedudel, das er binnen ein paar Wochen über vorgefertigte House-Beats aufgenommen hat. Rap über EDM haben wir schon so viel fantasievoller erlebt. Man denke an Azealia Banks' "Broke With Expensive Taste", an Vince Staples' "Big Fish Theory". Auch Kanye hat auf "808s" ein Dutzend innovativer Ideen, wie man Rap und elektronischen Pop mischen könnte, neu erprobt.

"Honestly, Nevermind" klingt wie ein solider House-Mix aus einer überteuerten Penthouse-Bar in Paris, der ohne jede Veränderung an Drake weitergereicht wurde, der dann in zwei Wochen ein paar Vocals improvisiert hat. Dann beendet er das ganze noch mit einem soliden 21 Savage-Feature, das überhaupt nicht auf die Platte passt und daran erinnert, dass Drake-Musik nicht immer automatisch auditiver Beruhigungstee sein muss. Aber gleichzeitig wirkt es dann auch so, als wäre Drake die fundamentale Ereignislosigkeit dieses Albums selbst aufgefallen - und dass er selbst nicht so ganz daran glaubt. Und das ist tragisch: Ich glaube nämlich, dass mit oder ohne dieses Album Rap und Electronica die Zukunft des Genres mitbestimmen werden. Und ich habe keine Zweifel, dass "Honestly, Nevermind" retrospektiv seine Fangemeinde haben wird, die die Stimmung wertschätzen werden. Aber selbst wenn Drake den Trend hiermit richtig erraten hat, kann ich mir kaum vorstellen, dass House-Rap allzu viel von diesem handwerklich monotonen Machwerk lernen wird. Allerhöchstens, wie man es nicht machen sollte.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Falling Back
  3. 3. Texts Go Green
  4. 4. Currents
  5. 5. A Keeper
  6. 6. Calling My Name
  7. 7. Sticky
  8. 8. Massive
  9. 9. Flight's Booked
  10. 10. Overdrive
  11. 11. Down Hill
  12. 12. Tie That Binds
  13. 13. Liability
  14. 14. Jimmy Cooks (feat. 21 Savage)

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