laut.de-Kritik

Das Album fordert Applaus, bekommt aber Standing Ovations!

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Dass man sich nach einer emotionalen Läuterung, wie sie Beyoncé auf "Lemonade" durchlief, wie neu geboren fühlt, liegt nahe. Nach dem darauf dargebotenen musikalischen Ausbrechen aus dem Korsett der ambitionsarmen Pop-Diva, würde es sich jedoch nicht richtig anfühlen, sie wieder in jene Zwangsjacke zu zwängen. Und so gilt die "Renaissance", die Wiedergeburt, nicht nur dem strahlenden Image eines der größten Popstars der Welt, sondern vorrangig wieder einmal dem musikalischen Fundament, auf welchem sie ihre siebte LP errichtet.

Die Wichtigkeit, die die Repräsentation schwarzer Kultur in Beyoncés Kunst einnimmt, veranschaulichte sie schon mit ihrer "Homecoming"-Performance mehr als eindrucksvoll. Nach zwei Jahren Pandemie klingt ein Album wie dieses nach dem logischen nächsten Schritt. "Renaissance" kommt ohne das Aufreißen biographischer Wunden oder politische Parolen aus, es will einfach nur feiern. Sich selbst, dich, der das Album hört, Beyoncés Heimat Houston, in allererster Linie jedoch die Culture. Egal ob im Ballroom, unter Palmen oder im Schlafzimmer: Beyoncés Mission Statement ist es, schwarze, queere Musik zu zelebrieren.

House ist ein inhärent schwarzes und queeres Sub-Genre der elektronischen Musik, das über die Jahre von Label-Executives und Dudebro-Weißbroten mit umgedrehten Cappies zur Massenware für Kommerzfestivals verwässert wurde. Mit "Honestly Nevermind" versuchte schon Drake früher in diesem Jahr, dem Genre wieder etwas Swag und Charakter zurückzugeben, scheiterte jedoch kläglich.

Symbolisch für die Diskrepanz, die zwischen der jeweiligen artistischen Herangehensweise der beiden Megastars klafft, steht ein Sample des Right Said Freds-Klassikers "I'm Too Sexy". Wärmte Drake diesen letztes Jahr wenig subtil für seinen Wiedererkennungswert und ironischen Charme auf, setzt Beyoncé das Sample wesentlich subtiler ein und verwandelt den Song in eine explosive Ballroom-Hymne der Selbstbestimmung. "Category: bad bitch, I'm thе bar. Alien Superstar." Die Verwendung queerer Sprachbilder, die aus dem Munde so vieler anderer Popstars unglaublich anbiedernd klingen würden, wirkt bei Beyoncé wie eine aufrichtige Vereinigung mit einem essentiellen Teil ihrer Fanbase.

Das Beyoncé dieses Unterfangen sehr am Herzen liegt, liest man schon aus den Produzenti*innen-Credits und der Liste an Samples heraus, die ihren Weg auf "Renaissance" fanden. Honey Dijon und Luke Solomon an den Reglern, Grace Jones hinter dem Mikro und Big Freedia, Donna Summer, Robin S, Moi Renee und Kevin Aviance vom Band. Beyoncé hat ihre verdammten Hausaufgaben gemacht. Wenn sich zu dieser eindrucksvollen Riege noch Namen wie A.G. Cook, Pharrell, Bloodpop, No I.D., Skrillex und Mike Dean dazu gesellen, verschmilzt das Endprodukt zu etwas gleichermaßen Eingängigem wie Exzentrischem.

Der Opener "I'm That Girl" hypnotisiert uns fast eine Minute lang mit böse boomendem Bass und einem unheimlichen Vocal-Sample der Memphis Legende Tommy Wright III, ehe ein infektiöser Dancehall-Rhythmus einsetzt. Das alles kommt einem jedoch nur wie ein überlanger instrumentaler Anlauf für das vor, was Beyoncé im letzten Drittel des Tracks veranstaltet. Im fliegenden Wechsel variiert sie zwischen Rap-Verse und himmlischem Gesang. Jedes Element des Instrumentals tanzt nach ihrer Pfeife. Sie knurrt, stöhnt und schnauft, bis der Beat vor ihr niederkauert und man wieder allein mit der dämonisch verzerrten Stimme Tommy Wrights zurück bleibt. Eine Meisterleistung musikalischer Progression und Textur.

Ohnehin klingt "Renaissance" genau so, wie das Cover aussieht: Opulent, pompös. teuer. Die Produktion schmeckt trotz der vielen Köche nicht versalzen. Im Gegenteil: Bei den Aromen, die sich hier auf manchem Instrumental entfalten, bleibt einem glatt die Spucke weg. Die Übergänge zwischen einzelnen Songs sind eine Ohrenweide, jede Zutat ein Luxusgut. Die Synths schimmern heller als ein Regenbogen, die Drums lassen unsere Beine ein Eigenleben entwickeln und der Bass dröhnt so intensiv, dass es einem den Magen umdreht. Alleine der fast schon magische Beat-Switch in "Pure/Honey" ist Grund genug, seine Kinnlade auf dem Boden zu suchen. Anders als zuletzt im Falle von Drake oder Kanye hört man einem Beyoncé-Album an, dass diese Frau eine der wohlhabendsten Musiker*innen unserer Zeit ist.

Die wahre Kunst dieses Albums besteht darüber hinaus darin, all diese Einflüsse aus House, R'n'B, Hip Hop, Dancehall und Pop zu einem kohärenten Ganzen zusammenzufügen, das zu keiner Sekunde seine artistische Vision zugunsten seiner Catchiness benachteiligt. Songs wie "Alien Superstar", "Thique", oder "Move" sind sperrig und klingen, als würden mehrere Lieder gegeneinander ankämpfen, aber funktionieren dennoch. Beyoncés Gespür für unvergessliche Pop-Melodien strahlt auch durch das größte Dickicht der instrumentalen Experimente hindurch.

Natürlich sollte man auf einem Beyoncé-Album (noch) keine Noise-Collagen oder Breakbeats erwarten, die Art wie sie jedoch Songs strukturiert, Beats sich entwickeln lässt und mit den verschieden Farben ihrer Stimme spielt, übersteigt allerdings selbst den wagemutigen Horizont eines "Lemonade" um Längen. Mit "All Up In Your Mind" wagt Frau Carter, assistiert von PC Musics Golden Boy A.G. Cook, sogar einen dezenten Vorstoß in die Gefilde des Hyperpop und macht sich den Sound im Handumdrehen zu eigen.

Einen der stärksten Momente der LP findet sich in "Virgo's Groove", einem sechs Minuten langen unwiderstehlichen Dance-Banger, der die Party ins Schlafzimmer verlegt. Die unwiderstehliche Bassline verschmilzt mit dem nostalgischen Synthesizer zu einem Relikt der vergangen goldenen Tage der Disco-Musik. Beyoncé selbst scheint von dem titelgebenden Groove so gefangen zu sein, dass sie eben mal kurz ihren Filter verliert: "Kiss me where you bruise me / Taste me (Taste me), that fleshy part / I scream so loud, I curse the stars".

Auch die einzige Single "Break My Soul" reift im Album-Kontext wie ein feiner Wein. Das prominent platzierte Big Freddie-Sample tritt Glitter in die Luft werfend die Tür ein. Beyoncé lässt anschließend jede Zeile wie eine neue Hook klingen. Der Chor, der im Finale erklingt, und den Beyoncé wenig später erneut mit dem fast schon manischen Bounce-Sample kontrastiert, verleiht dem Song eine weitere fast schon transzendale Ebene, die "Church Girl" anschließend weiter erforscht.

Klingen die eröffnenden Stimmen noch nach dem Auftakt einer Sonntagsmesse, so lässt spätestens das ikonische Triggaman-Sample die Stripping Poles aus dem Boden fahren. "", rappt Beyoncé. Es ist eine Ode an die Hoe-Anthems des dreckigen Südens, versetzt mit den Motiven der dort gängigen Religiosität. Eine Melange, die nicht nur konzeptuell funktioniert, ihre Umsetzung tönt auch spaßig und organisch.

Lyrisch kommt "Renaissance" im Vergleich zu Beyoncés letzten Langspielern distanziert und fast schon unpersönlich daher. Kein Ausplaudern aus dem familiären Nähkästchen mehr, keine emotionale Offenbarungen, nur dominante, über 16 Songs breit getretene Selbstliebe. Im Gegensatz zu einer Lizzo springt hier der Funken jedoch mühelos über, weil Frau Carters Ego die Größe ihres Heimatstaates besitzt. Wenn sie singt "Been the light, been dark, been the truth, been that King Bey energy", dann möchte man einfach nur kopfnickend beipflichten. Dabei dienen die Zeilen, die sie mit der Inbrunst einer Göttin vorträgt, der weiteren Ikonisierung ihres Charakters und den Hörer*innen zur Identifikation. Auf "Cozy" zählt sie beispielsweise in der Bridge mit cleveren Vergleichen alle Farben des LGBTQ-Regenbogens auf. Die Worte "Comfortable with who I am. Cozy within my skin", die wenig später in der Hook folgen, gelten ebenso ihr selbst wie auch denen, die sich zu dieser Community zählen.

Den größten Wurf spart sich Frau Carter allerdings bis zur letzten Minute auf. "Summer Renaissance" findet den perfekten Schlusspunkt und ruft uns ins Gewissen, dass dieses Album nur der erste Akt einer Trilogie sein wird. Die dick aufgetragenen Disco-Synthies pressen einen in der Hook nahezu in den Sitz, während Beyoncé in Donna Summers Fußstapfen tritt und ihren Hit "I Feel Love" interpolierend mindestens für diesen einen Moment an die absolute Spitze des Pop-Olymps aufsteigt. Am Ende fordert sie eine Runde Applaus. Nach diesem Album hat sie sich Standing Ovations verdient.

Trackliste

  1. 1. I'm That Girl
  2. 2. Cozy
  3. 3. Alien Superstar
  4. 4. Cuff It
  5. 5. Energy (feat. BEAM)
  6. 6. Break My Soul
  7. 7. Church Girl
  8. 8. Plastic Off The Sofa
  9. 9. Virgo's Groove
  10. 10. Move (feat. Grace Jones & Tems)
  11. 11. Heated
  12. 12. Thique
  13. 13. All Up In Your Mind
  14. 14. America Has A Problem
  15. 15. Pure/Honey
  16. 16. Summer Renaissance

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