laut.de-Biographie
Roky Erickson
Als Roger Kynard Erickson 1968 im texanischen Houston in die Psychiatrie eingewiesen wird, scheint eine kurze, heftige Musikerkarriere bereits zu Ende. Bei Erickson wird Schizophrenie diagnostiziert, ausgelöst durch überbordenden Drogenkonsum mit seiner Band 13th Floor Elevators ("You're Gonna Miss Me"), die – beeinflusst von den Stones und dem jungen Zappa - als ein der ersten Acts des Psychedelic-Rock gelten und Anfang der 90er Jahre Bands wie Primal Scream und Spaceman 3 nachhaltig beeinflussn.
Auf einem Tribut-Album aus dem Jahr 1990 outen sich außerdem R.E.M., ZZ Top und The Jesus & Mary Chain als große Fans von Erickson. Dabei ist der Trennungssong "You're Gonna Miss Me" auf dem Debütalbum der Elevators aus dem Jahr 1966 bis heute im Grunde sein einziger kleiner Charterfolg, nach dem 2005 auch eine Dokumentation über den Musiker benannt wird. Die Band selbst bricht nach zwei weiteren Studioalben wegen Ericksons psychischer Probleme 1969 auseinander.
Bis 1972 wird Erickson in Verwahrung gehalten und wenig zimperlichen Elektroschocktherapien unterzogen, weil er wiederholt wegen Marihuana-Besitz inhaftiert wird, vor Gericht landet und aus der Psychiatrie auszubrechen versucht. 1974 gründet Erickson die Band Bleib Alien, die sich mehr auf einen satten Hardrock-Sound konzentriert und Songs über Horror- und Science Fiction-Szenarien einspielt. Auch damit bewegt sich Erickson damals ganz auf der Höhe der Zeit.
Richtig zurück in die Spur findet Erickson aber zunächst dennoch nicht. Stu Cook, ehemaliger Bassist von Creedence Clearwater Revival, wird zu Rokys großem Förderer und begleitet sein vor Paranoia strotzendes Album "Roky Erickson And The Aliens" von 1980 als Produzent. Mit einem Jahr Verspätung erscheint der Punk'n'Roll-Klassiker auch in den USA, allerdings unter dem Titel "The Evil One" mit veränderter Tracklist. Das Liebhaberlabel Light In The Attic veröffentlicht 2013 eine herrliche Neu-Edition mit allen 15 Tracks der damaligen Sessions. Das Album sollte unzählige Musiker beeinflussen und Ericksons Ruf als genialer Songwriter festigen.
Dennoch geht es Roky zunehmend schlechter. Seine Mutter erhält die Vormundschaft und verweigert ihm nicht nur Drogen, sondern auch Medikamente. Er beginnt wieder zu behaupten, ein Marsianer lebe in seinem Körper. Später beauftragt er gar einen Notar mit der Feststellung, er sei ein Alien, damit ihn die Außerirdischen endlich in Ruhe lassen.
Mit "Don't Slander Me" erscheint das nächste Album erst 1986 und gerät im direkten Vergleich zum Vorgänger weniger enigmatisch, führt aber Rokys Mischung aus Rock, Punk und Rockabilly konsequent fort. "Gremlins Have Pictures" aus demselben Jahr ist dagegen eine Fundgrube für Roky-Fans. Es handelt sich um eine Zusammenstellung von Ericksons Solowerk nach seiner Zeit im Rusk State Hospital, von seinem ersten Liveauftritt 1975 über Studiodemos bis hin zu Livetracks von 1986. Sein zunehmend selbstzerstörerisches Verhalten, das eine halbwegs vernünftige Karriereplanung unmöglich macht, bringt nun allerdings selbst langjährige Vertrauenspersonen wie Manager Craig Luckin ans Ende ihrer Geduld.
Ohne die nötige Medikation gegen seine schizophrenen Schübe bildet Erickson in den späten 80er Jahren einen seltsamen Brief-Fetisch aus. Er stiehlt ganze Postsendungen der Nachbarn und schreibt zahllose wirre Briefe an Rechtsanwälte und Stars, egal ob lebendig oder tot. Musikalisch hört man nichts mehr von ihm. Erst sein jüngerer Bruder Sumner ebnet Roky in den 90er Jahren den Weg zurück ins Leben.
Nicht nur, dass er die Musiker für den Tribut-Sampler zusammentrommelt. Auch die Fürsorgepflicht für seinen Bruder übernimmt er im Jahr 2001 und regelt danach die Lizenzvereinbarungen für dessen Songkatalog neu. Dabei stellt sich heraus, dass Roky Erickson wegen seines Zustands jahrelang von den Managern seiner Plattenfirma um Geld betrogen wurde. Roky macht endlich eine Therapie und es passiert, was niemand aus seinem Umfeld mehr für möglich gehalten hätte.
Erickson, mittlerweile zu einer Independent-Ikone wie Daniel Johnston herangewachsen, betritt 2005 mit Billy F. Gibbons von ZZ Top wieder eine Musikbühne. Konzerte in den USA wie Europa folgen. Mit den Postrockern von Mogwai nimmt er 2008 einen Song auf, mit den Indie-Folkern von Okkervil River als Backing-Band im Jahr 2009 sogar ein ganzes Album. Das besinnliche "True Love Cast Out All Evil" ist sein erstes Album mit neuen Songs nach 15 Jahren Pause. Für Erickson bedeutet das so etwas wie ein kleines Happy End.
Am 1. Juni 2019 stirbt der Texaner im Alter von 71 Jahren in seiner Heimat Austin. Die traurige Kunde erreicht die Welt über Ericksons Facebook-Seite, Urheber der Nachricht ist einmal mehr Billy F Gibbons. In der Folge hagelt es Ehrerbietungen und Dankesreden auf einen Mann, der für seine Pionierleistungen zeitlebens nie kommerziell entlohnt wurde. Zu seinen Anhängern, die ihm mit Postings gedenken, zählen Queens Of The Stone Age, The Black Angels, Flea (Red Hot Chili Peppers), Stuart Braithwait (Mogwai) und Mark Lanegan.
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