20. Februar 2019
"Idles sind so beschissen wie der Brexit"
Interview geführt von Jasmin LützSleaford Mods sind zurück und sie sind immer noch angepisst. Zum Glück!
Bei Jason Williamson und Andrew Fearn hat sich in den zwei Jahren seit dem letzten Sleaford Mods-Album "English Tapas" Einiges getan: Ausverkaufte Konzerte, eine selbstbetitelte EP, Gründung des eigenen Labels Extreme Eating Records und nun am Freitag das neue Album "Eton Alive". Geblieben ist ihr Ehrgeiz, der Gesellschaft den Spiegel vor die Fresse zu halten und weiterhin köstlich abzumotzen. Wir treffen Jason morgens um 11 Uhr in Berlin auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen. Kollege Andrew meidet Presseveranstaltungen und bleibt lieber zu Hause.
Wie viele Kebabs musstest du seit der Veröffentlichung der Single "Kebab Spider" essen?
Jason: Bisher noch keinen.
Ah, ich dachte, damit würden euch jetzt alle Journalisten vollstopfen. Magst du denn Kebab?
Schon, aber ich habe lange keinen mehr gegessen.
Essen ist häufig ein Thema bei euch. Gerade isst du ja auch einen Carrot Cake zum Kaffee.
Magst du ein Stück?
Nein, danke. Aber eure letzte Platte hieß "English Tapas", euer neues Label "Extreme Eating Records" und die Single "Kebab Spider". Ist das eine Art kulinarische Leidenschaft?
Nicht wirklich, eher Zufall. Dieses Thema ist schon ganz lustig. Es gibt da so einen Insider zwischen Andrew und mir. Wenn du nicht bis zum Abendessen warten kannst, gehst du zum Kühlschrank und gönnst dir ein paar Löffel Mayonnaise oder Marmelade. Das ist für uns "Extreme Eating". Diese Vorstellungen zu extremem Essen bringen uns immer zum Lachen. Als wir dann nach einem Namen für das Label gesucht haben, war alles klar.
Ihr kocht also nicht zusammen, während der Probe oder beim Aufnehmen?
Haha, nein.
Du hast aber mal einen Kuchen zum Geburtstag für deine Tochter gebacken?
Ja, aber der ist nichts geworden.
Sind Musik und Essen eine gute Komposition?
Wenn du beides zusammenmischen willst, warum nicht.
Wie kam es zu der Idee mit dem Label und werdet ihr demnächst auch andere Bands unter Vertrag nehmen?
Nein. Uns wurde immer mal wieder geraten, Rough Trade zu verlassen, weil das sonst so wäre, als würde man für jemand anderen arbeiten. Es hieß, wir würden sie gar nicht brauchen. Ich war mir da nie sicher. Rough Trade hat eine gute Infrastruktur und wir sind mittlerweile eine Band, die nicht mehr vor 100 Leuten spielt und die CDs aus dem Kofferraum verkauft. Plattenfirmen sind wie Dinosaurier. Als Band brauchst du sie, wenn du größere Aufmerksamkeit haben willst. Rough Trade hat uns immer gut beraten und sie haben sich auch nie eingemischt. Dafür bin ich sehr dankbar, aber dennoch gab es schon länger die Idee, ein eigenes Label zu gründen. Man wächst mit seinen Aufgaben. Ich danke auch meiner Frau Claire und Cargo, die uns bei der Labelarbeit sehr unterstützen. Claire kümmert sich um die Presse und das Marketing. Wir müssen schauen, wie das alles laufen wird.
"Um anarchistische Philosophen ging es in der Schule nie"
Bei unserem letzten Gespräch vor zwei Jahren war Brexit auch schon eines unserer Themen. Sorry, du hast das bestimmt schon tausendmal beantworten müssen, aber was ist da los bei euch? Das versteht keiner mehr, oder?
Nein, keiner versteht das mehr.
Du hast auch gesagt, die Idles bei den Brit Awards sind der Gipfel des Brexit.
Ich war nie ein großer Fan, aber sie gehörten zur Familie, verstehst du? Und dann mutieren sie plötzlich zu dieser ... (verzieht das Gesicht) Sie sind jetzt genauso beschissen wie der Brexit. Es war auch abzusehen. Sie fahren voll auf dieser kommerziellen Schiene und sie wollten es so. Ich mag das nicht. Ihre Aussage ist damit erloschen. Ich dachte am Anfang, sie haben etwas zu sagen. Sie kommen von der Straße, sie sind wie Straßenköter, die angepisst wurden, aber sie gehören doch zur Mittelklasse. Letztendlich ist alles gekünstelt. Und dann gab es auch noch diese Vergleiche mit uns, fuck off!
Die Sache mit dem Brexit geht jetzt schon über zwei, drei Jahre und immer noch ist kein klares Ende in Sicht. Dem Land geht es immer schlechter, Menschen sterben auf der Straße. Die Sozialleistungen werden nach wie vor gekürzt. Ständig gibt es Umstrukturierungen, die keinem helfen, es ist der Wahnsinn. Die Bevölkerung ist ihnen scheißegal. Wir haben unser Album "Eton Alive" genannt, weil es buchstäblich ein endloser Prozess ist, von Leuten aufgefressen zu werden, die Richtlinien entwerfen. Angefangen mit der privilegierten Ausbildung an privaten Schulen.
Kennst du jemanden, der in Eton war, einer der Top-Privatschulen Großbritanniens?
Nein, ich weiß nur, dass die Erziehung dort gut durchgeplant ist. Ehrlich gesagt habe ich selbst in der Schule nicht viel mitbekommen, nur so ein Grundwissen. Wir haben alles über Heinrich den VIII. gelernt, dafür kaum etwas über Philosophie, geschweige denn über anarchistische Philosophen und Dichter. In den Privatschulen bekommt man da mehr mit. Das sind nicht nur rechtsorientierte Militärschulen. Du lernst auch etwas über Politik und Poesie. Aber die meisten Privatschulen züchten Elitismus.
George Orwell war wohl auch ein Eton-Schüler und Christopher Lee. Aber dann auch deine Lieblinge David Cameron und Boris Johnson.
Natürlich waren die da.
In Deutschland sind Privatschulen auch sehr beliebt. Die können sich ebenfalls nur wenige leisten. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll.
Es kommt darauf an: In Nottigham gibt es gute Privatschulen. Nicht nur solche mit hoher Präzision, wo du als fucking Elitesoldat raus kommst. Wenn die Erziehung meiner Tochter erfolgreich sein soll und ich das Geld hätte, dann würde ich sie auf einer dieser Schulen schicken. Was soll daran schlecht sein? Aber das ist ein großes Thema, über das man lange reden könnte.
Es gibt ja auch diesen Splatter-Film aus den 1970ern namens "Eaten Alive".
Gibt es? Den kenne ich gar nicht.
Ich dachte, da gäbe es einen Bezug, weil du ja Horrorfilme magst.
Ja schon, aber den kenne ich nicht. Muss ich mal schauen. Mein Lieblingshorrofilm ist "The Thing".
Jeremy Corbyn bezeichnet Theresa Mays Kabinett als "Zombie-Regierung". Bist du seiner Meinung?
(schmunzelt): Er ist vielleicht besser als May, viel mehr sagt das aber auch nicht aus.
"Kebab Spider" hat etwas Mysteriöses, zumindest inhaltlich. Ansonsten ist es ein sehr tanzbarer Madchester-Disko-Hit. Das Video spielt in einem Club. Wo war das und wie kam es zu der Idee?
Wir mögen das Video zu "Wrote For Luck" von den Happy Mondays. Der Regisseur Roger Sargent (machte schon Filme über The Libertines und Suede, Anm. d. Red.) kam dann auf die Idee, etwas Ähnliches zu machen, weil die Art des Sounds und der Gesang an Shaun Ryder erinnert. Gedreht wurde es im The Chameleon in Nottingham, wo wir früher auch gespielt haben.
Der Song handelt von diesen etablierten Rockstars, die seit 30 Jahren dabei sind und immer und überall behaupten, dass ihnen Politik sehr am Herzen liegt. Sie leben allerdings in ihrer eigenen Blase und haben keinen Schimmer davon, wie es ist, für wenig Geld zu arbeiten. Die Idee zu "Kebab Spider" ist ein bisschen absurd, weil es darum geht, wie jemand seiner Ideologie folgt und nicht den kommerziellen Weg einschlägt, um seine Musik herauszubringen. Von der Masse wird er nicht akzeptiert und allgemein abgelehnt. So bleibt ihm nur ein kleiner Kebab zum Überleben und der Gipfel allen Übels ist, dass da auch noch eine Spinne herauskrabbelt.
Da haben wir ja den Bezug zum Horror-Genre. Das liest man auch immer wieder in deinen Büchern über die düsteren Begegnungen im Leben.
Ich mag diese B-Movie-Ästhetik und die Dramatik im Albumtitel.
"Wie lange kann es gut gehen, dass man unsere Musik mag?"
Auf "Eton Alive" gibt es den Song "When You Come Up To Me". Den mag ich persönlich ganz gerne. Ich mag den Groove und du singst mehr.
Ja, magst du das?
Ja, ich mag deine Stimme.
Gefällt dir das Album überhaupt?
Auf jeden Fall. Ich war überrascht, wie abwechslungsreich es ist.
Dankeschön.
Wahrscheinlich habt ihr da immer einen gewissen Druck, bevor ein neues Album rauskommt?
Auf jeden Fall. Die Leute können immer sagen: "Oh, Fuck off". Und wie lange kann es gut gehen, dass man unsere Musik mag? Seit "Divide And Exit" oder "Key Markets" ist viel passiert. Noch erkenne ich keine Anzeichen, dass wir irgendwas verloren haben oder dass uns die Ideen ausgehen. Darüber denkt man natürlich bei jedem Album nach. Doch man sollte den Druck nicht ständig im Kopf haben. Du musst immer das tun, was du willst. Songs wie "Firewall Mix 3" oder "Negative Script" legen den Einfluss anderer Musik deutlich offen. Ich höre zum Beispiel viel R&B. Die eigenen Hörgewohnheiten verändern sich, auch bei Andrew. Das hat man schon bei unserer letzten EP gehört, auf "Jokeshop". Das erinnert mich an R&B aus den 80ern, andere wiederum sagten, es klinge wie Kraftwerk.
Wird die Arbeit zwischen Andrew und dir immer besser?
Auf jeden Fall. Seine Musik wird immer fließender. Sie klingt irgendwie gehaltvoller und es passiert auch viel mehr.
"Eton Alive" ist wie gesagt abwechslungsreich. "Discourse Dif" erinnert an die gute Ska-Zeit.
Ja, ein bisschen und an den guten Post-Punk.
Worum geht es in "O.B.C.T."?
Oliver Bonas ist eine Warenhauskette der Mittelklasse. Der Song handelt von dieser Unzufriedenheit, in einen Bezirk zu ziehen, wo du von Oliver Bonas Shops und Restaurants umzingelt bist. Du hast immer dieses Schuldgefühl. Und "Chelsea Tractors" ist ein Spitzname für die Range Rovers, deren Besitzer immer vor der Schule halten, um ihre Kinder abzusetzen.
Wenn es eine Zeitmaschine geben würde, in welches Jahrhundert möchtest du reisen? 1980er, 1990er oder lieber gar nicht?
Lieber gar nicht.
Hörst du Musik aus Deutschland?
Nein.
Hast du eine Lieblingsfrauenband?
Ich mochte Chaka Khan mal ganz gerne, aber sonst gibt es da nicht so viele.
Was war dein Lieblingsalbum 2018?
Da gab es einige. Das letzte Album von Beak. Der Soundtrack zu "Mandy", ein Horrorfilm mit Nicolas Cage. Sehr guter Film übrigens. Drake höre ich auch ganz gerne.
Und Ed Sheeran.
Wenn ich ehrlich bin, mag ich tatsächlich diesen einen Song von ihm, heißt der "Shape Of You"? (singt den Refrain an)
Habe ich schon mal gehört. Dann gibt es demnächst also ein Sleaford Mods-Liebesalbum?
Ich kann wirklich keine Liebeslieder schreiben. Man darf Liebe nicht so verunstalten (summt Uhuhuhuhu). Wir machen das lieber auf unsere Art.
Proper!
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