laut.de-Kritik

Jedes "Fuck" klingt befreiend!

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Während man täglich frustriert die Nachrichten liest, immer noch nicht glauben kann, welcher Honk da in Amerika sein Unwesen treibt, Europa langsam aber sicher auseinanderbricht, Brexit und populistische Arschlöcher überall, und Facebook entpuppt sich immer mehr als Schwachsinns-Portal gehirnloser Trottel ... spätestens dann muss man Sleaford Mods hören. Das Duo aus Nottingham lässt einen die ganze Scheiße um sich herum für ein paar Hassmomente vergessen.

Die einen nennen es minimalistischen Punk-Rotz mit Sprechgesang. Andere reden von einer akustisch-authentischen Pub-Prügelei mit treffsicherem Wortgefecht. Nach acht Alben, davon erst drei im regulären Vertrieb ("Austerity Dogs", "Divide And Exit" und "Key Markets"), und einer Live-Platte aus dem SO36 in Berlin bitten die Herren erneut zu Tisch. Sie präsentieren ihre ganz eigenen Köstlichkeiten: "English Tapas".

Jeder, der schon einmal in England war, kennt diese fettig frittierten Happen, wie zum Beispiel "Scotch egg": gekochtes Ei mit undefinierbarem Wurstbrät ummantelt. Dazu wird eine "pickled onion" gereicht, eine sauer eingelegte Zwiebel. Alles lag bereits über Nacht, gut angetrocknet, am Pub-Tresen. Daneben noch ein Schild mit der Bezeichnung "English Tapas", fertig ist der appetitliche Gaumenkitzel.

Der zeigt nicht nur den englischen Humor, sondern auch den Sprachwitz von Jason Williamson, der lyrischen Hälfte der Mods. Der Mann beschäftigt sich allerdings nicht mit kulinarischer Raffinesse, sondern mit dem System, das dahinter steckt: mit der Scheinwelt des guten Lebens, dem Fuck-Kapitalismus, dem Scheiß-Job und der deprimierenden Gesellschaft, in der wir alle leben.

Wortakrobat Jason haut einem seine Gedanken und Parolen im heftigen Midland-Slang wild um die Ohren. Seinen Nottingham-Akzent schmettert er mit Inbrunst. Mod-Kumpel Andrew Fearn kreiert dazu seit 2012 den Sound aus dem Laptop. Die smarte Motz-Revolution begeistert Punk-, Indie- und Hip Hop-Fans zugleich. Nach Pöbel-Hymnen wie "Jobseeker", "Face To Faces" und "Jolly F*cker" setzt "English Tapas" noch einmal einen drauf: Diese Songs bleiben richtig lange im Hirn kleben. Mehr Mut zur Melodie!

Mit dem Opener "Army Nights" dreht Andrew die LoFi-Drum-Machinen-Beats voll auf. Dazu der hämmernde Bass und die kläffenden Shouts von Jason: Das lässt einen nicht mehr los. "Music's shit but the cue from my Mr. Loverman is getting big." Vom siffigen Pub-Event zu süffigen, ausverkauften Hallen: Sleaford Mods sind in aller Munde und sprechen aus, was viele nur zu denken wagen.

"Pisshead", "cunt" und "twat" sind dabei noch die harmloseren Bezeichnungen, die auch deinen Arschloch-Chef, deinen Nachbarn oder den selbsternannten Musikexperten passend beschreiben. Und was hält Jason von solchen Typen aus der Branche? Das verrät "Just Like We Do": "You and your mates are experts, you get on my fucking tits", und dann trällert er fast schon den Refrain hinterher: "Just like we do, just like we do. Given half the chance you walk around like twat just like we do ..."

Neben Trotteln im Musikgeschäft beobachten Sleaford Mods vor allem die politische Situation in ihrer Heimat. In den 80ern trieb Margaret Thatcher als Eiserne Lady in England ihr Unwesen. Heute kritisiert Jason vor allem das Cameron-Kabinett, aber auch mit Theresa May dürfte das Duo nicht glücklicher sein.

Um Gier, Korruption, Diskriminierung und Ausbeutung dreht sich die erste Singleauskopplung "B.H.S.": Sir Philip Green, Geschäftsführer dieser englischen Kaufhauskette British Home Stores (B.H.S.), feuerte Hunderte seiner Arbeiter und kassierte dafür eine ordentliche Prämie. Diese Art von Ausbeutung passiert überall: "We're going down and it's no stress, we're going down like B.H.S." Alle gucken hin und niemand tut etwas dagegen. Während die Leute auf der Straße sitzen, liegt Green auf seiner fetten Yacht und lässt es sich gut gehen.

Nach einem deepen "Messy Anywhere" lässt man sich bei "Time Sands" von einem ruhigem Beat, funky Bass und zwitschernden Vögeln berieseln. Pulsierender Groove und Oi-Punk-Charme gibt es dann wieder in "Carlton Touts". Da pisst Jason alles zwischen Politik und Größenwahn an, bevor "Cuddly" in den Rap-Underground taucht.

Pöbeln muss gelernt sein. Davon kann auch Ober-Motzi Mark E. Smith aus Manchester ein Lied sprechen, ebenfalls für exzessive Parolen bekannt. Dessen Genuschel ist auch nicht für jeden Hörer außerhalb Englands verständlich, aber die Energie, das Gefühl und die Performance entschlüsseln wie bei den Mods jederzeit die Message seiner Hass-Hymnen.

Jasons Frust springt aus jedem seiner Worte und man weiß: Da steht, dem verbalem Irrwitz zum Trotz, dein neuer Freund und Helfer. Klingt nach einer Liebeserklärung? Ja, verdammt. Nach langer Zeit gibt es endlich wieder eine Band von der Insel, die man einfach ins Herz schließen muss. Die Sleaford Mods könnte man vergleichen mit den erwähnten The Fall, den Violent Femmes oder dem Noise-Experten Mclusky, muss man aber nicht. Hier pöbeln Sleaford Mods, Alta.

Aidan Moffat von Arab Strap sagte in den 90ern einmal: "No one really writes honest, hateful love songs. The kids never hear it like they should hear it – they should know about the farting, the fighting and the fucking, the pain and the pleasure." Jason Williamson schreibt ehrliche, hasserfüllte Songs. Da stimmt selbst jeder Furz zwischen den Zeilen, jedes Stöhnen, jedes Fuck! klingt befreiend. Schimpfwörter gehören dazu. Schließlich redet man zu Hause auch so.

Klang es bei den früheren Alben noch rumpeliger und minimalistischer, hat Andrew seine Liebe zur Melodie entdeckt. Ganz weit vorne: "Moptop". Der Song hieß ursprünglich "Moschops", benannt nach einer englischen Kinderserie aus den 80ern mit einem kleinen Dinosaurier. Daraus auch das Zitat: "Do you mind? You just biffed my nose!" Jason guckt diese trashigen TV-Sendungen halt gern.

Aber auch "Army Nights" oder "Snout" taugten als coole Hits für "Top of the Pops". Den Sprung auf die größeren Bühnen haben Sleaford Mods so oder so geschafft. Andrew gibt die einzelnen Tracks per Knopfdruck frei, und die Wort-Maschine sprudelt unaufhaltsam los. Während Andrew mit Bierflasche zum Sound wackelt, gestikuliert Jason mit enormer Energie seine Spoken Words ins Mikro. Das zieht jeden Alt-Punk in die erste Reihe, und auch der coolste Konzertglotzer bleibt nicht unbeeindruckt stehen.

Und wer würde nicht gerne mal seinem Boss ordentlich die Meinung geigen? Williamson hat es getan, beziehungsweise gleich gekündigt. Arschlöcher und Ausbeutung wird es leider immer geben, somit gehen Sleaford Mods auch niemals die Themen aus.

Das ist gut, denn wir wollen mehr davon. Neben einem guten Essen brauchst du schließlich gute Musik, eben "English Tapas". Sleaford Mods sind das Beste, das dir im Moment passieren kann, und das Beste, das England im Moment zu bieten hat. Nimm das, Fucker!

Trackliste

  1. 1. Army Nights
  2. 2. Just Like We Do
  3. 3. Moptop
  4. 4. Messy Anywhere
  5. 5. Time Sands
  6. 6. Snout
  7. 7. Drayton Manored
  8. 8. Carlton Touts
  9. 9. Cuddly
  10. 10. Dull
  11. 11. B.H.S.
  12. 12. I Feel So Wrong

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