laut.de-Biographie
Tinariwen
Tinariwen sind ein gutes Beispiel, wie stark Natur und Lebensumstände der Musiker deren Werke prägen können. Der exotische Bandname bedeutet so viel wie 'Leerer Ort' und bezieht sich auf den Lebensraum der Gruppe, die Wüste.
Die Mitglieder der afrikanischen Band gehören zum nomadisch lebenden Volk der Tuareg, genauer gesagt zu jener Generation, die in den Sechzigern aus der Sahelzone Richtung Norden flüchtet, weil sie durch lange Dürren ihre Lebensgrundlage verloren hatten. Die Lebensumstände in der Sahara, die Trockenheit, die Hitze und die endlose Wüstenlandschaft sollten später auch Grundlage und Inspirationsquelle ihrer außergewöhnlichen Musik werden.
Tinariwen blicken auf eine lange und spannende Entwicklung zurück. 1982 in Tamanrasset in Algerien gegründet, spielen die fünf Musiker anfangs vor allem auf Taufen, Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten. Die nächste Station der Bandgeschichte bringt eine ebenso außergewöhnliche wie prägende Situation mit sich. Die Bandmitglieder halten sich mehrere Jahre in einem libyschen Militärcamp auf, in dem Tuareg zu Soldaten ausgebildet werden.
In dieser Zeit sind Tinariwen nicht nur musikalisch, sondern auch politisch aktiv und beteiligen sich an Kämpfen gegen die Unterdrückung ihres Volkes. Erst ab 1994, nach dem Ende eines von Niger und Mali ausgehenden Aufstandes, richten sie ihren Fokus voll und ganz auf die Musik aus. Das politische Engagement bleibt und äußert sich in den entweder auf Tamaschek oder Französich gesungenen Lyrics der Stücke.
Jahrelang vertreiben die Afrikaner die Ergebnisse ihrer Kreativität mit Kassetten und erlangten so regionale Bekanntheit. Einen entscheidenden Fortschritt bewirkt 2000 die Aufnahme der ersten CD "The Radio Tisdas Sessions". Die Band schafft den Sprung in die westliche Weltmusikszene und tourt durch die USA und Europa, wo sie sogar mehrere Festivalauftritte hat.
Es folgen die Alben "Amassakoul" (2004), "Aman Iman (Wasser ist Leben)" (2007) sowie "Imidiwan: Companions" (2009) und damit verbunden eine weitere Steigerung des Bekanntheitsgrades. 2008 erscheint die DVD "Tinariwen Live In London".
Ihr fünftes Album "Tassili" nimmt die Band, anders als sonst, in einem Zeltlager in Südalgerien auf und verzichtet dabei auf elektronisch verstärkte Instrumente. Als Inspiration dient einmal mehr die weite Wüstenlandschaft, in der sich die Musiker während der Entstehung aufhalten. Auf einem der Songs ist Wilco-Gitarrist Nels Cline als Gast vertreten.
Für die Aufnahmen zum siebten Album "Emmaar" begeben sich die Nomaden 2014 gemeinsam mit dem damaligen Red Hot Chili Peppers-Gitarristen Josh Klinghoffer und dem Hip Hopper Saul Williams in ein Studio in der kalifornischen Wüstenstadt Joshua Tree. Die von militanten Islamisten per Zwang in Nord-Mali eingeführte Scharia, die mit einem Musikverbot und der öffentlichen Verbrennung von Instrumenten einher geht, macht Tinariwen das Aufnehmen in ihrer Heimat unmöglich. Für die Band ist es das erste außerhalb von Nordafrika aufgenommene Album. Im Vorfeld zum 2017er Nachfolger "Elwan" wird eines der Mitglieder des Kollektivs von Islamisten entführt, aber bereits kurze Zeit später wieder freigelassen.
2019 erscheint ihr neuntes Album "Amadjar", für das sich die Wüsten-Blueser auf eine nomadische Reise durch die marokkanische Wüste in Richtung Mauretanien begeben. Die Songs dazu entstehen bei nächtlichen Camps unter freiem Sternenhimmel und werden schließlich im Sand vor den Toren der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott in einem Studiozelt aufgenommen. Für die Platte kollaborieren sie mit Cass McCombs, Stephen O'Malley (Sunn O)))), Micah Wilson (Willie Nelsons Sohn und Gitarrist von Neil Young) sowie mit Warren Ellis (Nick Cave And The Bad Seeds).
Die Bandgründer Ibrahim Ag Alhabib (Gitarre, Lead Vocals) und Abdallah Ag Alhousseyni (Gitarre, Lead Vocals) sind bis heute fester Bestandteil der Gruppe und werden von zahlreichen weiteren afrikanischen Musikern unterstützt.
Stilistisch bauen Tinariwen dabei stets auf die traditionelle Musik der Tuareg auf und verbinden den herkömmlichen Sound mit Elementen der westlichen Rock- und Popmusik. Heraus kommt dabei eine interessante Spielart des Wüstenrock, die sowohl mit traditionellen als auch mit elektronisch verstärkten Instrumenten vorgetragen wird.
Für die Sound-Rezeptur der Band hagelt es Lob von Flea über Carlos Santana bis Robert Plant. Der Chili Peps-Bassist schwärmt über die CD "Tassili" (2012), sie enthalte "die wahren Klänge von Freiheit und Verlangen und den deepesten Groove des Planeten". Santana wertschätzt beim Montreux Jazz Festival neben ihnen auf der Bühne, sie verkörperten vom Blues "das, wo er seinen Ursprung hat, sie sind seine Urheber." Hinter Tinariwen, als Pionieren dieser Musik, versammelt sich mittlerweile eine größere Szene, die auch beispielsweise ins Nachbarland Mauretanien reicht. Plant machte sich vor Ort ein Bild und meint, er "hatte das Gefühl, dass da die Musik war, nach der ich mein ganzes Leben lang suchte."
Im Februar 2021 stirbt im Alter von nur 54 Jahren Mohammed 'Japonais' Ag Itlal, der zur Band gehörte, seit er 18 war. Das Kollektiv ist in die Jahre gekommen, erfindet sich aber zwischen den Scheiben immer mal wieder ein bisschen neu und verschiebt Akzente. Daniel Lanois und Jack White (White Stripes, Raconteurs) erarbeiten während des Lockdowns mit den Nomaden das Album "Amatssou", das im Frühjahr 2023 erscheint.
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