laut.de-Biographie
Wadada Leo Smith
Wer in den Vierzigern im Mississippi-Delta geboren wird, der spricht die Muttersprache Blues. Dazu müsste man nicht einmal in einem Haushalt aufwachsen, in dem sich der Stiefvater als erster E-Gitarrist in die aufkommende Jazz-Szene einen Namen macht, man mehrere Blechbläser seit der Kindheit spielen kann und Legenden wie B.B. King zum erweiterten Freundeskreis des Elternhauses gehören. Wenn das dann doch aber so ist, dann hat man einen guten Ansatz, um selbst ein großer Name der Jazz-Szene zu werden.
Für Wadada Leo Smith wird es aber noch eine Weile dauern, denn auch, wenn er mit dreizehn eine definitive Liebe zur Trompete entwickelt und auch schon bald sein ersten eigenen Kompositionen schreibt und selbst musikalisch schulisch wie privat ausgebildet wird, bleibt seine Faszination oft auch eine Theoretische. Denn bis er in den Sechzigern selbst Highschool und Militärband durchmacht, bewegt das Genre sich schon in ganz anderen Sphären. Man könnte fast meinen, als er sich in den Siebzigern für Musikethnologie in der Wesleyan Universität einschreibt, wäre die heiße Phase schon wieder vorbei.
Nichts da: Denn 1968, gerade nachdem er aus der Armee ausgetreten ist, schließt er sich bereits einer Gruppe radikaler musikalischer Freidenker in Chicago an, die sich die Association for the Advancement of Creative Musicians nennen. Es geht um schwarze Musikgeschichte und die kreative Kraft der Assoziation, das Genre des Creative Jazz wurzelt hier für ihn, immerhin hat die Delta Blues-Szene den Freestyle an sich schon in sein Blut gelegt. Mit Leroy Jenkins und Anthony Braxton bildet er eine wichtige Band der Gruppe, die 1969 Platten veröffentlichten, auf denen mit "The Bell" und "Silence" auch Smiths erste Kompositionen publik gingen.
Die Siebziger bedeuten für ihn eine noch tiefere Beschäftigung mit der Kraft der Musik, seinen Wurzeln und der Möglichkeit, über konventionelle Limitationen herauszutreten. Er entwickelt seine audiovisuelle Kunst der Ankhrasmation, einer eigenen künstlerischen Notationstechnik für Musik, die seine Philosophie der Flüchtigkeit und Texturalität von Musik herausarbeitet. Bis heute finden sich Ausstellungen dieser Werke, die für ihn Kern einer musikalischen Struktur bilden, mehr als ein Notenblatt es wohl jemals könne. Natürlich kann nicht jeder damit arbeiten, aber wie er selbst behauptet, könne das bestimmt jeder, der es nur ernst genug meine.
In den Achtzigern beginnt eine Hochphase seiner kreativen Expansion, die bis heute anhält. Jedes Album, jede Aufnahme wird eine eigene Fallstudie in musikalischer Philosophie, Kollaboration und Form, die zwar wenig konkrete Hits, aber viel Raum zur Erkundung lassen: Nur ein paar Auszüge aus seiner weiten Diskographie: Mit Henry Kaiser spielt er das Tribut "Yo, Miles!" für Davis elektronischen Phasen, ein Album namens "America" mit Jack deJohnette, "Sonic Rivers" mit John Zorn oder "Folio And Four Systems" unter anderem mit Earle Brown und Noise-Pionier Merzbow. Außerdem ragen seine Arbeiten über Natur und das kosmische Jahr heraus, zum Beispiel "Ten Freedom Summers" von 2012 oder "A Cosmic Rhythm With Each Stroke" von 2016.
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