25. März 2024

"Punk hat bedeutet, Country zu verstoßen!"

Interview geführt von

Man könnte sagen, Waxahatchee war ihrer Zeit voraus: Als Indie-Darling hatte sie sich in den 2010ern eine Fanbase aufgebaut, aber 2018 wagte sie einen Sprung in Richtung der Americana-Genres. Ihr Album "Saint Cloud" wurde Anfang 2020 ein Lockdown-Classic, und die Musikindustrie bewegte sich nur hinterher.

Nach diesem künstlerischen Sprung gilt es mit dem neuen Album "Tiger Blood", diese Messlatte oben zu halten. Im Gespräch in Berlin wirkt sie erst ein wenig niedergeschlagen ob des Jetlags und des Berliner Winters. Aber es gibt immerhin einiges zu besprechen: Lucinda Williams, Country, Genre an sich, Jahreszeiten und Roadmaps.

Es ist ein paar Jahre her, da hast du in deinem Song "Sparks Fly" über Berlin gesungen: "I took a train to Berlin today / When I called last night you felt so far away". Jetzt bist du wieder hier, aber in einer ganz anderen Ära. Fühlst du dich gerade auch weit weg?

Oh, über den Song habe ich eine Weile nicht nachgedacht. Da, wo ich damals war, da wollte ich mich weit weg fühlen, weißt du? Aber es ist komisch, wie ich mich jetzt überhaupt nicht weit weg fühle, im Gegenteil, die Orte fühlen sich einander immer ähnlicher an. Ich könnte manchmal aus dem Fenster schauen, ohne zu wissen, in welcher Stadt ich gerade bin. Das, was mich daran wirklich erinnert, ist der Jetlag.

Ich fand das interessant, weil an deiner aktuellen Musik ja Genre-Begriffe wie Americana, Southern Rock und Country kleben. Das sind Sachen, die in Europa lange nicht so heimisch und etabliert sind wie in den Staaten. Hast du das Gefühl, man liest dich hier als einen anderen Artist?

Ich glaube schon. Interessant ist ja, das europäische Hörerschaften gefühlt richtig Bock auf Americana haben, weil es das hier eben nicht gibt. Beides trifft also zu. Ich habe hier definitiv weniger Fans als in Amerika, aber es gibt die Leute, die genau darauf Bock haben. Ich muss sie nur finden.

Du hast dich ja von einem klassischen Indie-Act aber auch erst mit der Zeit dorthin entwickelt. Hast du das Gefühl, diese Bewegung spiegelt gerade einen größeren Trend in der amerikanischen Indie-Szene?

Das kann ich nicht sagen. Als meine Musik sich mehr in Richtung Americana gedreht hat, da habe ich 2018 eine EP namens "Great Thunder" gemacht, und aus diesen Ideen ist dann mein Album "Saint Cloud" entstanden. Als ich das gemacht habe – ohne jetzt damit angeben zu wollen, dass ich einen Trend gestartet hätte, oder so – aber da hat das noch niemand so gemacht. In der Indie-Welt hat sich niemand so richtig für Country oder Americana interessiert.

Und wir wussten an diesem Punkt auch noch nicht, dass das unser Ziel war. Wir haben das nicht geplant, es ist eher organisch passiert. 2017 war ich mit meinem noch-nicht-Partner Kevin Morby auf Tour und wir haben beide solo gespielt. Ich war Hardcore-Indie und ich habe an "Out In The Storm" fertig gemacht, was ich damals für mein riesengroßes Rock-Album gehalten habe. Und er sagte mir dann: Ich glaube, du bist ein Country-Sänger, oder?

Er sagte, er sah mich solo spielen mit der Kadenz in meiner Stimme, und weil er auch aus dem Süden ist, hat er das gespürt. Klassischer Country ist eben auch ein Fundament meines Songwritings, es war die erste Musik meiner Kindheit. Aber als Teen bis in meine Zwanziger war es dann nur noch Punk Rock. Ich wollte das unbedingt sein – und für mich hat das damals bedeutet, den Country zu verstoßen. Aber dass Kevin das gesagt hat, das war das erste Mal, dass ich dieses neue Licht als etwas Cooles, Energetisierendes wahrgenommen habe.

Und in diesem Moment habe ich etwas sehr Ursprüngliches, Wichtiges über meine Songs gelernt. Vielleicht habe ich zeitweise Zeug auf meine Songs drauf-ornamentiert, damit sie sich mehr wie klassischer Indie anfühlen, alternativer. Aber meine Transition zu "Saint Cloud" lag darin, dieses Zeug wegzuwerfen – und die Songs zu fragen, was sie für ihren Kern halten. Und es stellt sich raus: Das war dann wohl Country.

"Heute ist mein Leben gar nicht so dramatisch"

Findest du, Genre ist eine sinnvolle Kategorie, wenn man nach der Essenz von Songs sucht? Ist der Begriff "Country" so fundamental in der DNA einer musikalischen Idee?

Für Artists ist Genre ein total spannendes Konzept. Mein liebster Songwriter überhaupt war Lucinda Williams. Und Lucindas ganzer Mythos war ja, dass sie immer komplett un-vermarkt-bar war in den Achtzigern und Neunzigern. Sie war sehr unapologetisch südlich. Sie war aus New Orleans, und selbst, wenn sie nur gesprochen hat, hat man gespürt: Das ist eine Country-Sängerin.

Aber ihre Musik war ganz klassische, Dylan-inspirierte Songwriter-Musik. Im Grunde war sie zu Rock für Country, aber zu Country für Rock. Und das ist mein Held! Jemand, der schwer zu kategorisieren ist. Deswegen will ich so tief in den Song hereinhören, um festzustellen, was er ist. Am Ende darf jemand anderes dann beschreiben, in welche Schublade das passt.

In einem anderen Interview hast du darüber gesprochen, dass dir wichtig ist, super-präsent und im Jetzt zu sein, wenn du Songs schreibst. Wie ist man in einem Song super-präsent?

Es ist witzig, in Interviews spreche ich die ganze Zeit übers Altern. Und guck mal, ich bin 35, so alt bin ich nicht, eigentlich. Aber als ich meine Karriere neu in der Szene gestartet habe, da habe ich schon zwanzig Jahre Songs geschrieben. Aber als ich es zu meinem Job gemacht habe, da war ich in einer Welt aus romantischen Verflechtungen und fragwürdigen Beziehungen und es war alles ein riesiges Chaos. So viel Romantik!

Aber das stimmt für mich inzwischen nicht mehr! Dieses Chaos hat sich gelegt, wobei es immer noch wahr ist, dass diese Ära sehr viel dramatisches Material für Songwriting hergegeben hat. Dieses Drama wollen Leute ja irgendwie auch in Musikern sehen, oder? Aber na ja, mein Leben ist gerade nicht besonders dramatisch. "Saint Cloud" war auch nicht so dramatisch, aber ich hatte eine Menge innere Arbeit angestaut, an der ich mich abgearbeitet hatte.

Da war eine Intensität spürbar, auf jeden Fall.

Ja, ich hatte ein intensives Gefühl von Übergang. Eine innere Reise dazu, endlich nüchtern zu sein. Und diesmal?

Diesmal gab es keine inneren Kämpfe?

Na gut, natürlich gab es die. Aber plötzlich sind da ganz andere Fragen: Ist das nachvollziehbar? Ist das relevant? Juckt es wen, daraus einen Song zu schreiben? Das war wohl der Prozess, dieses Mal: Die Geschichten, das Erzählenswerte in den Mikro-Dramen meines Lebens ermitteln.

Das klingt ja recht normal: Einem geht's ganz gut und man weiß, dass nicht nur Tragödien gute Kunst hervorbringen. Wie macht man das Beste aus diesem Zustand?

Ich will jetzt nicht sagen, dass ich zu hart daran gearbeitet hätte, aus dem tiefen Nichts irgendein Song-Material hervorzuprügeln. Ich habe mich aber doch gefragt: Fühlt irgendjemand einen Song über die mondänen Dinge einer Langzeitbeziehung?

Ich hoffe doch!

Ich auch! Ich habe den Song ["Right Back To It", Anm. d. Red.] veröffentlicht und fühle mich ganz großartig damit. Und ich mache mir trotzdem Sorgen darum, dass mein Leben irgendwo nicht mehr relateable ist. Ich bin so lange jetzt schon Musiker, ich fahre durch die Weltgeschichte und spreche ständig mit Fremden über meine tiefsten Geheimnisse. Es ist nicht gerade eine nachvollziehbare Erfahrung.

Deswegen wollte ich mit dieser Platte einen Weg finden, Geschichten so zu erzählen, dass sie meiner gelebten Erfahrung entsprechen, aber sich trotzdem den Hörern nicht versperren. Ich will eine Übertragungsleistung. Mit "Saint Cloud", da ging es um mein Nüchtern-werden. Das war sehr spezifisch. Aber es kam gerade heraus, da machte die Welt dicht und plötzlich hatte es für viele Leute eine ganz andere Ebene. Das hat mich zum Denken gebracht: Diese Erfahrungen müssen auf viele Arten übersetzbar sein, damit Leute in meinem Spezifischen auch ihre eigenen Erfahrungen spiegeln können.

"Meine Roadmap ging mit 'Saint Cloud' zu Ende"

Erstens: Auch langweilige, stabile Pärchen verdienen Songs. Zweitens: Ich finde interessant, dass du scheinbar jetzt so sehr mit Relateability ringst. Warum jetzt und nicht, sagen wir, vor zehn Jahren? Du tourst doch gefühlt schon, seit du Lesen und Schreiben kannst.

Ich denke, das kommt daher, dass ich mich heute mehr mit der Stimme meines Songwritings auseinandersetze. Ich werkele und meißele nun so lange schon an diesem Skillset, ich halte meinen Kopf steif und suche immer nach Möglichkeiten, mich zu verbessern. Also glaube ich auch, ich werde besser, je älter ich werde.

Und ich denke, diese Gedanken gehören da rein. Als ich ein tourendes Kleinkind war (lacht), da war ich ein Rookie und musste alles noch lernen. Heute habe ich diese Erfahrung und kann auch mehr über den Hörer nachdenken. Vor allem geht es jetzt, das zu tun, ohne es auf Kosten des Songs gehen zu lassen. Es fühlt sich nicht wie Kompromisse-Finden an. Ich kann inzwischen einfach gut austarieren, wie etwas mich trifft und dann den Hörer trifft. Und da kommen dann diese Gedanken eben mehr auf.

Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass du aus dieser tiefen Indie-Bubble kommst. Aber jetzt wäre doch eigentlich ein Moment, Country ist riesig, dein Zeug ist catchy; gäbe es einen Weg für dich in den Mainstream?

Wenn ich ganz ehrlich mit dir sein soll, dann ist die Roadmap für meine Hoffnungen und Träume in der Musikindustrie mit "Saint Cloud" zu Ende gegangen. Ich habe alles erreicht, das ich für mich für möglich gehalten hätte. Also bin ich jetzt in ganz anderen Zonen. Aber vor dem Mainstream hätte ich trotzdem Angst, da passe ich nicht so richtig rein, glaube ich. So viel Publikum brauche ich auch nicht.

Wahrscheinlich warte ich jetzt einfach nur auf Zeichen aus dem Universum und hoffe, dass ich schon richtig einschätze, durch welche Türen ich gehen sollte und durch welche nicht. Ich vertraue meinen Instinkten. Und ganz ehrlich? Ich denke gar nicht über das Größere nach, ich wache jeden Tag schockiert darüber auf, dass es überhaupt so groß geworden ist, wie es es ist.

Wie meinst du das, dass "Saint Cloud" das Ende deiner Roadmap war?

Ach, das mein ich gar nicht so krass. Es sind einfach nur diese Marken: Wie viele Tickets könnte ich mal verkaufen? Wie viele Leute hören sich das an? Ich denke realistisch, dass es nicht größer als das werden wird. Ich bin über meine eigenen Erwartungen hinausgeschossen.

Eine letzte Beobachtung zum Abschluss noch: Ich habe für das Interview deine Alben noch einmal rückwärts durchgehört. Und dein ganzer Weg bis "Saint Cloud" fühlt sich für mich wie ein Übergang von einem Herbst-Artist zu einem Frühlings-Artist an. "Tiger Blood" kommt eher nach dem Sommer. Gibt das Sinn für dich?

Darüber habe ich noch nie so richtig nachgedacht! Aber jetzt wo du es sagst, gibt es schon Sinn und es stimmt: Ich hatte es definitiv vor Augen, sogar mit dem Artwork. Deswegen ist es irgendwie auch lustig, dieses Album im arschkalten Winter zu promoten. Ich habe nicht mal das Vergnügen, die Outfits anzuziehen, die ich mir ausgemalt habe!

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