laut.de-Biographie
Big L
Die Emcees in den USA leben gefährlich, denn das Rapgame ist eine harte Ellenbogengesellschaft, ein wahrlich heißes Pflaster. Eifersüchteleien, Neid, Diss-Tracks, Drogen und Mafiakontakte aus alten Ghettotagen machen den toleranten und friedvollen Hip Hop-Idealen von einst das Leben schwer. Um sich zu schützen, scharen die meisten Rapper eine möglichst starke Crew um sich, oft schon bevor überhaupt das eigene Debut in den Läden steht. Bei so viel Druck von allen Seiten kann es passieren, dass sich ehemalige Freunde und Partner plötzlich wegen einer Reihe von Missverständnissen als Feinde gegenüber stehen (siehe 2Pac und Biggie). Doch Geschäft ist Geschäft und Freundschaft ist Freundschaft wie Gangstarr und MOP in ihrem Kollabo-Track vom "Moment Of Truth"-Album erläutern.
Wenn es dann aber wirklich zum Streit kommt, fliegen fast immer die Fäuste und leider auch die Kugeln, wie in Ghetto-Bandenkriegen so üblich. Im Gegensatz zu den Morden an Tupac Shakur und Biggie Smalls fallen die Rapper Freaky Tah (Lost Boyz) und Big L keinem Beef im Rapgame zum Opfer, sondern müssen für die Verfehlungen naher Verwandter büßen. Auch den Wutanger Ol'Dirty Bastard und Rubbabandz (G.P.Wu) wird deswegen Blei in den Körper gepumpt, aber die beiden Glückspilze überleben den Mordanschlag. Ol'Dirty verlässt sogar noch am gleichen Abend des Anschlages (unerlaubt) das Krankenhaus wieder. Doch zurück zu Big L.
Der 24-jährige Lamont Coleman wird am 15. Feb. 1999 auf offener Straße in der Nähe seines Wohnblocks in Harlem erschossen. Der Mord ist auf die Probleme seiner Brüder zurück zu führen, die diese im Gefängnis mit ihren Zellengenossen haben. Mit Big L stirbt das mit Abstand hoffnungsvollste Raptalent des neuen Jahrtausends. Jung, und tief verwurzelt im Hip Hop, fern ab jeglicher gecasteter, glattgebügelter Gangsta-Hollywoodscheiße, geht er seit jeher seinen gradlinigen Weg. Der charismatische Freestyle-Spezialist und Lyricist (eine seltene Mischung) muss jedoch bevor er sein eigenes Label, zwei Alben und die Mitgliedschaft bei Fat Joes DITC-Crew bekommt wie viele kleinere Brötchen backen.
"In the beginning, all I ever saw me doing was battling everybody on the street corners, rhyming in the hallways, beating on the wall, rhyming to my friends (mit seiner 8 Iz Enuff-Posse, der Verfasser). Every now and then, a house party, grab the mic, a block party, grab the mic. I never really thought about making records and travelling the world. I didn't even think I could get a deal. I knew was a good MC. And then I went and made some demos, the first four or five labels just turned me away instantly. I was, like, heartbroken behind that because I felt I was better than a lot of MCs at the time."
So hätte es auch glanzlos enden können mit dem großen Lamount, das Leben ist schließlich kein Wunschkonzert, vom Musikbiz ganz zu schweigen. Die 93er Single "Devil's Son" wäre dann sein einziges Lebenszeichen geblieben. Doch wie auch ein Oliver Kahn nicht müde wird zu betonen: Das Glück muss man sich erarbeiten. Big L muss daher ganz gut geknüppelt haben, denn eines Tages meldet sich kein Geringerer als die Old School Legende Lord Finesse bei ihm. "All of a sudden, Lord Finesse is calling me, like, 'Yo, one of the A and Rs from Columbia Records is really feelin' your music and he wants to sign you.’ You don't know what's that like, man. All my dreams came true."
Erstes Ergebnis dieser realisierten Träumereien ist im Jahre '95 sein Debut "Lifestylez Ov Da Poor and Dangerous", das die Underground-Hits "No Endz, No Skinz," "Street Struck" und "Da Graveyard" enthält. Trotz dieser Banger und einer guten Kritik in der Source, die das Album als "pure nineties b-boy them music" titulieren, verkauft es sich eher schlecht. Das liegt nicht unbedingt an den Tracks, sondern eher an der fehlenden Promotion. Zudem ist Big L damals noch ein absoluter Rookie im Rapgame.
Aber aus Fehlern lernt man, und so beginnt Big L, das Rappen auch als Geschäft anzusehen. Er sucht sich eine starke Crew als Rückhalt und findet sie dank Freund Lord Finesse in der Diggin' In The Crates-Familie (u.a. Diamond D, Fat Joe, Show And AG, Big Pun, OC, Remy Martin). Dann gründet er sein eigenes Flamboyant Entertainment Label. Aufstrebenden, jungen Künstlern wie Cam'ron, Ma$e und selbst einem Jay-Z verschafft er so damals die ersten Kontakte ins Musikgeschäft. Nach zwei Jahren Funkstille erscheint Big L in den Jahren 1997/98 auf einmal wieder auf der Bildfläche. Die Single "Ebonics (Street Slang)" erobert die College-Charts und Mixtapes wie im Sturme. Und nachdem er auch noch auf dem DITC-Joint "Dignified Soldiers" gefeatured wird, ist der Hype nicht mehr zu stoppen. Alle warten nur noch ungeduldig auf das zweite Album des Big L.
Doch bevor es dazu kommt, nimmt das ungerechte Schicksal seinen Lauf. Am Abend des 15. Februars 1999 wird Big L 24-jährig auf dem Weg zu seiner Wohnung in Harlem erschossen. Der Täter, Gerard Woodley, wird drei Monate später in der Bronx verhaftet. Woodley ist der Polizei kein Unbekannter, denn bereits 1990 und 1996 hat ihn die Polizei wegen Mordversuchs am Wickel. Sie muss ihn jedoch beide Male wieder laufen lassen.
Natürlich machen sich seine Homies von DITC sofort an die Arbeit, um Big L die letzte Ehre zu erweisen. Unterstützt vom Rawkus-Label und der Creme de la Creme der New Yorker Rapszene, namentlich Pete Rock, Freddie Foxxx, Roc Raida, Sadat X, Gangstarr und Kool G Rap, bringen die Jungs um Fat Joe sein angefangenes Album zu einem würdigen Ende. "The Big Picture" erscheint zur Jahrtausendwende und verkauft sich über eine halbe Million mal. Es ist anzunehmen, dass unter den Käufern auch einige 2Pac-Fans sind, denn diese sind ja bekannt dafür, alles von ihrem Liebling aufzukaufen. Dieser wird dank der modernen Technik auf der Platte gefeatured , obwohl sich die beiden Rapper persönlich nie begegnet sind. DJ Ron G, ein Freund des verstorbenen Mr. Shakurs, macht die Kollabo möglich.
Auch für das DITC-Debut "Diggin' In The Crates" hat man sich ein paar Verse von Big L aufgespart. Zwar ist sein Erbe nicht so riesig wie der 2Pacsche Nachlass, doch für ein paar wenige Gastauftritte bei Wutang-Youngster Shyhiem und dem Lyricist Lounge 2-Sampler reicht es immer noch. So bleiben von Big L nur die erwähnten Songs sowie die traurige Gewissheit, dass der Rapwelt durch seinen Verlust wieder ein wahrer Hip Hop-Head verloren gegangen ist.
Noch keine Kommentare