laut.de-Biographie
Ol' Dirty Bastard
Noch Jahre nach seinem Tod kommt kaum eine Veröffentlichung seiner Wu-Tang Clan-Brüder ohne ihn aus: Ol' Dirty Bastard grüßt derart nachhaltig aus der Gruft, dass man sich fragt, wann zum Henker er dieses ganze Material eigentlich aufgenommen hat. Seine Art zu rappen, sein Humor, sein Wahnsinn und seine Stimme, für die Kanye West Gerüchten zufolge mehrere Finger opfern würde, machten Russell Tyrone Jones zu einer wahrhaft einzigartigen Figur im Rap-Geschäft.
Ol' Dirty Bastard, das bekannteste seiner zahlreichen Pseudonyme, borgt sich Russell, der am 15. November 1968 das Licht der Welt erblickt, aus dem Titel eines Kung-Fu-Films. "Old Dirty & The Bastard" heißt der Streifen, der für den wohl populärsten Wu-Tang-Rapper Pate steht.
Gemeinsam mit seinen beiden Cousins Robert Diggs aka The RZA und Gary Grice aka The Genius schließt sich ODB zu der Formation Force Of The Imperial Master zusammen. Nachdem sie mit "All In Together Now" einen Untergrund-Hit landen, werden sie - wie einfallsreich! - unter dem Namen All In Together Now Crew bekannt.
1992 geht aus dieser Truppe der Wu-Tang Clan hervor, zu dem sich eine ganze Reihe weiterer Familienmitglieder, unter anderem Method Man, U-God, Inspectah Deck, Masta Killa, Raekwon und Ghostface Killah, gesellen. Der Clan debütiert 1993 und donnert mit "Enter The 36 Chambers" einem wahren Meilenstein in die Rap-Geschichte. Fette Beats, Kung-Fu, Weltverschwörungs-Theorien und Tonnen von Hanf definieren den Kosmos der Crew. Der eine oder andere Blunt, gerne auch einer mehr, geht auf das Konto von ODB.
Als zweites Mitglied des Clans veröffentlicht Ol' Dirty im März 1995 sein Solo-Debüt, sinnig "Return To The 36 Chambers: The Dirty Version" betitelt. das Album gilt, kommerziell wie künstlerisch als eins der besten Hip Hop-Alben des Jahrgangs. Bei der Produktion assistiert ihm Prince Rakeem, den er als seinen Mentor bezeichnet. Als Inspirationsquellen nennt ODB Al Green, Patti LaBelle und Millie Jackson. "Brooklyn Zoo" und "Shimmy Shimmy Ya" entpuppen sich als nicht gerade kleine Hits.
In der Folgezeit avanciert der MC zu einem der beliebtesten Featurepartner und nimmt Tracks mit Ex-Fugee-Member Pras, Mya und Goldkehlchen Mariah Carey auf. Auf dem zweiten Clan-Album "Wu-Tang Forever" ist er allerdings nur spärlich vertreten. Neben einer Solo-Nummer ("Dog Shit") steuert er lediglich einige wenige Parts und Hooklines bei.
Mit steigendem Bekanntheitsgrad wird ODBs Verhalten immer auffälliger. Ob nun sein exzessiver Drogenkonsum oder aber eine angeborene Geisteskrankheit die Schuld trägt - man weiß es nicht. Die MTV-News freuen sich jedenfalls regelmäßig über schlagzeilentaugliches Material. ODB klaut Turnschuhe, obwohl er die florierende eigene Klamottenfirma "My Dirty Wear" sein Eigen nennt. Unterhalts-Nachzahlungen in Höhe von 35.000 Dollar für drei seiner Kinder werden fällig.
Den Vogel schießt Ol' Dirty Bastard bei der Grammy-Verleihung des Jahres 1998 ab. Er erklimmt die Bühne, tanzt um einen sichtlich erstaunten Bob Dylan herum und lässt die Welt wissen, nicht dem Preisgewinner Puff Daddy sondern dem Wu-Tang Clan gebühre die Ehre der Auszeichnung für das Rap-Album des Jahres. Dieser Auftritt legt neben diversen Zusammenstößen mit dem Gesetz wegen Drogenbesitzes den Grundstein für Ol' Dirtys Ruf als Oberpsycho der Szene.
Im selben Jahr gründete er sein Label Osirus Records. Osirus - einer der vielen Aliase, unter denen ODB auftritt. ODB firmiert unter Joe Bannanas, Dirt Dog, Dirt McGirt und etlichen weiteren Alter Egos. Die Signings bei Osirus Records fasst ODB unter dem unauffälligen Namen D.R.U.G. (Dirty Rotten Underground Crimies) zusammen.
Bis zum Erscheinen seines Zweitlings "Nigga Please" werden ihm versuchter Mord an Polizisten sowie mehrere terroristische Aktivitäten angelastet, die Jury befindet die Beweise jedoch durchgehend als nicht ausreichend für eine Verurteilung. In nur zwei Monaten wird der Rapper drei Mal ohne Führerschein am Steuer eines Wagens erwischt, einmal findet sich zu allem Überfluss noch Crack an Bord. Vier Monate später erwischt man ihn erneut, diesmal mit Crack und Marihuana im Gepäck. Gegen Kaution kommt ODB auf freien Fuß, erscheint dann aber nicht zu einem anderen Verfahren, das zeitgleich an der Westküste gegen ihn läuft. Als letzten Ausweg, mit halbwegs heiler Haut davon zu kommen, lässt er sich in eine Entzugsanstalt einweisen.
Erstaunlicherweise gelingt ODB trotz aller Wirren, ein weiteres Album einzuspielen. "Nigga Please" erscheint im März 1999 und steht seinem Vorgänger in nichts nach, ODB schien dieses Mal aber ein wenig die Bodenhaftung verloren zu haben: Sex und Drogen, die offensichtlichen Eckpfeiler seines Gedankenhorizonts, allerorten. Produziert wird das gute Stück von Mastermind RZA und den Neptunes. Eine zu diesem Zeitpunkt noch vollkommen unbekannte Kelis steuert den Refrain zur Hit-Single "Got Your Money" bei. Die Platte steigt trotz (oder wegen?) der Negativschlagzeilen auf Platz zehn der amerikanischen Charts ein.
Der Genuss beider Solo-Alben macht überdeutlich: Ol' Dirty Bastard hat gediegen einen an der Waffel. Sein unorthodoxer Reimstil hebt ihn jedoch deutlich aus der Masse der Wortakrobaten hervor und erhebt ihn zu einer der schillerndsten Persönlichkeiten im US-amerikanischen Rap-Zirkus. Dennoch wird es zunächst ein wenig ruhiger um den Rapper, der kurz zuvor seine Umbenennung in Big Baby Jesus proklamiert hat. Er soll seine Gefängnisstrafe in der Entzugsanstalt absitzen und muss anschließend mehrere Jahre Drogen-Abstinenz nachweisen, befindet ein Gericht.
Im Oktober 2000, zwei Monate vor dem Ablauf seiner Verwahrungszeit setzt er sich aus der Klinik ab und flieht einen Monat lang quer durch die Staaten. Gerüchten zufolge nimmt er während dieser Zeit einige Tracks mit dem RZA auf. Im November taucht er bei der Release-Party des neuen Wu-Tang-Albums "The W" auf, betritt vor Hunderten begeisterter Fans die Bühne - und entkommt nach dem Auftritt, obwohl vor dem Konzertsaal ein großes Polizeiaufgebot wartet. Gefasst wird er schließlich auf dem Parkplatz eines McDonald's-Restaurants, wo er zunächst wegen des Preises der Burger einen Streit vom Zaun gebrochen und sich dann mit einer riesigen Schar seiner Fans beim Autogramme geben festgequatscht hat.
2001 ist dann aber wirklich Schluss mit lustig: Wegen Drogenbesitzes im Jahr 1999 wird er für zwei bis vier Jahre hinter Gitter geschickt: die Mindeststrafe bei Vergehen dieser Art. Darüber hinaus muss er sich einer Untersuchung seines Geisteszustands unterziehen. Obwohl bisher nur zwei reguläre Alben in den Läden stehen, veröffentlicht sein Label unterdessen ein Best Of-Album. Damit erhofft man sich bei Elektra, einerseits die Publicity abzugreifen, für die die Verurteilung sorgte. Andererseits sieht man so eine Möglichkeit, möglichst schnell aus dem Vertrag mit dem durchgeknallten Künstler auszusteigen.
Die Aufnahmen, die während seiner Flucht entstanden, finden sich auf dem 2002 erschienenen "The Trials and Tribulations of Russell Jones" wieder. Das Album weist in Ermangelung eigener Texte und Beteiligung ODBs unheimlich viele Gastrapper auf: Ein Grund für die Weigerung RZAs, dafür die Beats zu produzieren.
2003 wird ODB aus der Haft entlassen. Er lebt fortan unter offiziellem Hausarrest bei seiner Mutter. Nach Method Man und Ghostface Killa unterschreibt er als drittes Clan-Mitglied einen Vertrag bei Jay-Zs Label Roc-A-Fella Records. VH 1 plant die Produktion einer Reality-Show mit ODB in der Hauptrolle.
Kurz vor der Veröffentlichung seines Comeback-Albums erhält Dirt McGirt allerdings die Quittung für seinen nicht gerade gesunden Lebensstil: Bei einer Aufnahmesession in einem Studio in Manhatten bricht er zwei Tage vor seinem 36. Geburtstag zusammen und wird eine Stunde später für tot erklärt. Der Rapper hatte zunächst über Schmerzen in der Brust geklagt. Nach dem Kollaps kam für ihn jede Hilfe zu spät.
Pünktlich zum Geburtstag erfährt die Öffentlichkeit das Resultat der Autopsie: New Yorker Mediziner machen eine Mischung aus Kokain und dem verschreibungspflichtigen Schmerzmittel Tramadol für die tödliche Herzattacke des 35-Jährigen verantwortlich. Bei Tramadol handelt es sich um ein synthetisches Opiat, das gewöhnlich bei chronischen Leiden anwendet wird. Offenbar war dem Wu-Tang Clan-Gründungsmitglied die Gefährlichkeit der Mischung nicht bekannt. Die Ärzte stufen seinen Tod als Unfall ein.
Russell Jones aka Ol' Dirty Bastard hinterlässt seine Mutter, eine Ehefrau, dreizehn Kinder und kein Testament, weswegen sich die verschiedenen Mütter seines Nachwuchses alsbald in fröhlichen Erbstreitigkeits-Prozessen in den Haaren liegen. ODB kümmert das nicht mehr: Seine sterblichen Überreste werden am 18. November 2004 auf dem Friedhof des Brooklyner Christian Cultural Centre beigesetzt.
Aus dem Hause Roc-A-Fella gibt man bereits eine Woche nach ODBs Dahinscheiden bekannt, das beinahe fertig gestellte Album "Osirus" trotz allem veröffentlichen zu wollen. Es erscheint im Januar 2005. Elektra legt im Sommer mit "The Definitive Ol' Dirty Bastard Story" eine weitere Compilation nach.
Unklar bleibt, was aus dem Album "A Son Unique" geworden ist, dessen Veröffentlichung für August 2005 angekündigt, dann aber von Roc-A-Fella nicht mehr erwähnt wird. Für November 2006 wird der Release ein weiteres Mal versprochen. Auch dieser Ankündigung folgen keine Taten. Inzwischen geht das Gerücht, der Longplayer erscheine bei der Damon Dash Music Group. Ein Termin für das Werk, an dessen Produktion Mark Ronson, DJ Premier, Rockwilder und selbstverständlich der RZA beteiligt sein sollen, steht allerdings allerhöchstens in den Sternen.
Noch keine Kommentare