laut.de-Kritik

You can't kill me, I was born dead!

Review von

Am 15. Februar 1999 treffen Lamont Coleman neun Kugeln, die sein Leben vorzeitig beenden. Ausgerechnet dort, wo der junge Mann, der sich immer als "Street Stuck" ansieht, zur Welt kommt und sein ganzes Leben verbringt: Harlem, Ecke 139th Street/Lenox Ave. Sein Block, den er selbst als die 'Danger Zone' bezeichnete. Mit 24, wenn das Leben doch eigentlich erst so richtig anfängt, muss Coleman eine Welt verlassen, die er fast nur aus der Sicht der "Poor & Dangerous" kannte.

Big L, wie sich Lamont als MC nannte, bleibt nicht einmal mehr die Zeit, sein zweites Studio-Album "The Big Picture" zu veröffentlichen. Das übernimmt nur wenige Wochen nach seinem Tod Manager Rich King. Ob der jedoch nach Lamonts Willen handelt, lässt sich auch heute nur schwer sagen. Vermächtnis oder zusammengetragene Compilation - "The Big Picture" wurde jedenfalls ein Riesenerfolg. Dass Big L mittlerweile als Legende gilt, rührt aber von seinem ersten Album.

"Er machte mir damals Angst. Ich dachte, dass ich keine Chance gegen ihn haben würde, wenn ich mich jemals mit ihm messen müsste," sagte einst Nas - der Nas, dem 1995, als Ls Debüt
"Lifestylez Ov Da Poor & Dangerous" erscheint, die Ostküste schon längst zu Füßen liegt. Wer sich aber nicht mit Lamont Coleman messen musste, empfand wohl weniger Angst als einfach nur Bewunderung für dessen brachiale Skills.

Die bewies er schon in "Put It On", einer dreieinhalbminütigen Demonstration von Flow und Technik in Perfektion. Der für Ls Verhältnisse eingängige Beat und die Ohrwurm-Hook lieferten die weiteren Zutaten für einen der besten Opener in der Rap-Geschichte. Zwar nicht sein erfolgreichster, aber bis heute wohl bekanntester Track. Ein einziges Stück, das erklärt, was Jay-Z meinte, als er später von Big L schwärmte: "Er hatte dieses Talent, wirklich große Tracks und wirklich große Hooks zu schreiben."

Dieses Talent zeigte er auch in "M.V.P.", das wie schon "Put It On" auf Radio-Airplay ausgelegt war und einen Gegenpol zu den meist düsteren Tracks darstellen sollte, durch die sich Big L sonst auszeichnete. "If rap was a game I'd be M.V.P / The most valuable poet on the M.I.C" - der damals erst 21-Jährige war sich seiner kommenden Ausnahmestellung schon früh bewusst. Den ansehnlichen Erfolg der beiden Singles verdankte er jedoch auch seinen Produzenten. Bei der Zusammenstellung der Beats verließ sich L auf Buckwild, Showbiz und Lord Finesse, mit denen er schon in der Supergroup Diggin' In The Crates Crew zusammenarbeitete.

Sie machten "Put It On" dank "Hip Hop Hooray"-Sample zum Club-Banger und verpassten "M.V.P." souligen Laidback-Sound - zusammen mit Ls selbstbewussten Spaß-Zeilen die heitersten Tracks auf "Lifestylez Ov Da Poor & Dangerous". Als Aushängeschilder dürfen sie jedoch höchstens aus technischer Sicht angesehen werden. Sein Stil zeichnete sich eigentlich durch andere Klänge aus: Vorwiegend von dröhnenden Basslines unterlegter, aggressiver Battle- und Gangsta-Rap mit Horrorcore-Anleihen.

Kaum jemand beherrschte diese Art des Raps so wie Big L. Obwohl er nie den weltweiten Kultstatus von Biggie oder Tupac erreichte, fehlt Lamont Coleman in kaum einem Namedropping, wenn es um die besten MCs aller Zeiten geht. Ob DJ Premier, ATCQ oder Eminem - sie alle huldigten ihm in ihrer Musik: "Take some Big and some Pac / And you mix 'em up in a pot / Sprinkle a lil' Big L on top/ What the fuck do you got?"

Tracks wie "Da Graveyard" und "Danger Zone" vermischen überhebliche Gangsta-Attitüde mit morbiden Texten, die zwar stets düster und feindlich gesinnt wirken, aber nie den Sinn für schwarzen Humor verlieren. Stellvertretend für diesen Stil, der erst abseits der Hits "Put It On" und "M.V.P." ersichtlich wird, steht Ls vielleicht bekannteste Line aus "Danger Zone": "I jumped out the Lincoln, left him stinkin / Put his brains in the street, now you can see what he was just thinkin".

Doch obwohl er seine Zeilen über Nekrophilie, Teufelsanbetung und Mord stets mit ironischen Passagen auflockerte, stießen seine Tracks bei vielen Label-Verantwortlichen auf Ablehnung. Von seinem Sound abzurücken, kam für ihn aber nie in Frage, wie Produzent Lord Finesse erzählt. Auf die Forderung, einige etwas leichter verdauliche Stücke zu schreiben, ging Big L jedoch ein. So zum Beispiel mit "Street Stuck", einer klassisch gehaltenen Hood-Lesson.

Die besondere Faszination an "Lifestylez Ov Da Poor And Dangerous" erklärt sich neben Big Ls Vortrag und den minimalistischen, meist unmelodiösen, dafür aber heftig hämmernden Produktionen auch aus den Features. Während der junge Jay-Z durch "Da Graveyard" flext, macht der gerade einmal 18-jährige Cam'ron auf "8 Iz Enuff" seine ersten Schritte, die denkbar weit von seinem späteren Schaffen, unter anderem mit Dipset, entfernt liegen.

Während Jay-Z und Killa Cam immer noch an ihrem Denkmal feilen dürfen, blieb Big L eine lange Karriere verwehrt. In der kurzen, aber erfolgreichen Zeit war der Tod für ihn immer allgegenwärtig, spielte sowohl in seinen Texten als auch in seinem täglichen Leben eine große Rolle. Die Faszination für das Morbide liest sich im Nachhinein fast wie eine dunkle Vorahnung. Angst schien Lamont Coleman jedoch nie zu haben: "You can't kill me, I was born dead!"

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Put It On
  2. 2. M.V.P.
  3. 3. No Endz, No Skinz
  4. 4. 8 Iz Enuff
  5. 5. All Black
  6. 6. Danger Zone
  7. 7. Street Stuck
  8. 8. Da Graveyard
  9. 9. Lifestylez Ov Da Poor & Dangerous
  10. 10. I Don't Understand It
  11. 11. Fed Up With The Bullshit
  12. 12. Let 'Em Have It L

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