laut.de-Kritik
Beste Songs, schickes Buch, schwaches Bonusmaterial.
Review von Sven KabelitzAls "Older" das erste Mal erschien, fehlte ihm eine Dimension. Erst Jahre später kam die ganze Tragweite des Albums ans Licht. Vieles auf seinem dritten Solo-Werk hatte George Michael in Erinnerung an seinen an den Folgen von AIDS verstorbenen Partner Anselmo Feleppa geschrieben. Bewegende, ehrliche Texte, direkt vom Ort der Trauer stammend. Da Michael aber offiziell als heterosexuell galt und sein Outing noch zwei Jahre in der Zukunft lag, durfte er mit niemandem darüber sprechen. Erst später äußerte er sich dazu, widmete einzelne Lieder direkt seiner verschiedenen Liebe.
Musikalisch erfand er sich wie auf jedem Album neu. Bereits Wham!s "Make It Big" wollte nichts mehr mit "Fantastic" zu tun haben. Zu Beginn von "Faith" trug er Wham!s "Freedom" zu Grabe. Im "Freedom! '90"-Video von "Listen Without Prejudice Vol. 1" ließ er "Faith"-Utensilien anzünden und in die Luft sprengen. Nun war er also "Older" und ließ so viel Jazz wie noch nie in seine Musik einfließen. Immer wieder schien es, als sei George Michael der Mensch, der am allerwenigsten von allen auf der Welt George Michael sein wollte.
Die Trauer um Feleppa führte zu einer achtzehn Monate langen Schreibblockade, die sich innerhalb einer Stunde auflöste. In "Jesus To A Child" quoll all die aufgestaute Trauer aus ihm heraus: "Heaven sent / And Heaven stole / You smiled at me / Like Jesus to a child / … / Loveless and cold / With your last breath you saved my soul / You smiled at me like Jesus to a child / And what have I learned from all these tears / I've waited for you all those years / Then just when it began he took your love away." George Michael gelang eine tief melancholische Meditation, Bossa Nova-Pop voller Trauer, der ihm aber auch half, loszulassen und wieder nach vorne zu schauen.
Nach George Michaels Tod wurde bekannt, dass er sämtliche Einnahmen aus dem Song an Childline spendete. Dabei handelt es sich um einen englischen Beratungsdienst, der sich mit allen Problemen von Kindern und Jugendlichen bis zu ihrem 19. Lebensjahr beschäftigt. Dazu gehören etwa psychische Erkrankungen, Drogenmissbrauch, Schwangerschaften, Mobbing und Misshandlung.
"Fastlove, Pt. 1" teilte sich mit dem kurze Zeit später erschienenen "Men In Black" von Will Smith die Grundlage. Beide Songs basieren auf Patrice Rushens "Forget Me Nots". Auch dank des Films hat sich Smiths Songs tiefer in die Pop-Geschichte gefressen. Der bessere von beiden Tracks ist "Fastlove, Pt. 1". Ein perfekt designter Slow-Pop-Funk mit seidenweichem Sound. Das schmierige Saxofon wirkt wie die Olive in diesem Dry Martini.
Mit "Spinning The Wheel" gelingt Michael eine zuckerschnutige Jazz-Pop-Nummer mit schleppend groovendem Rhythmus, ausgestattet mit Flügelhorn, Posaune, Trompete und Saxofon. Das Bindeglied zwischen den 1920ern und 1990ern. Gerade diese Rückbesinnung verleiht dem Song etwas Zeitloses. Wirkt "Spinning The Wheel" zu Beginn noch etwas unspektakulär und unterkühlt, entfaltet das Lied seine lässig entspannte Wirkung mit jedem Durchgang mehr.
Wie in "Jesus To A Child" verarbeitet Michael in "You Have Been Loved" Tod seines Partners, stellt hier aber Feleppas Mutter in den Mittelpunkt. "She takes the back road and the lane / Past the school that has not changed in all this time / She thinks of when the boy was young / All the battles she had won just to give him life." Beide treffen sich am Grab des viel zu früh gegangenen Sohns. "For what's the use in pressing palms / When children fade in mother's arms? / It's a cruel world, we've so much to loose / And what we have to learn we rarely choose." Ein herzzerbrechender, zu Tränen rührender Song voller niederschmetterndem Leid, niemals aufdringlich, niemals kitschig. Einer von Michaels ruhigsten, aber auch bewegendsten Momenten, der direkt zu seiner Seele führt, meisterlich vorgetragen.
"Older" birgt ein paar von George Michaels besten Arbeiten, hält diesen hohen Standard aber nicht über die ganze Spiellänge. Songs wie "It Doesn't Really Matter" oder "Star People" sind nicht schlecht, wirken aber austauschbar. Das Niveau seiner ersten beiden Alben "Faith" und "Listen Without Prejudice Vol. 1" erreichte er nicht.
Selbst an Kleinigkeiten arbeitete der Perfektionist George Michael zusammen mit Jon Douglas Ewigkeiten, um bei "Older" eine herausragende Produktion zu erreichen. Bei einer so guten Vorlage fällt es der überarbeiteten Version schwer, Neues hinzuzufügen. Dafür gibt es das Album erstmals seit 1996 wieder in einer fantastisch klingenden Pressung auf Vinyl. Der Bonuslongplayer "Upper" erscheint zum ersten Mal überhaupt auf Schallplatte. Das vierzigseitige Buch mit unzähligen Fotos, Interviews und Erinnerungen stellt ein wahres Leckerli dar, in das es sich eine ganze Weile eintauchen lässt.
Eine wirkliche Schwachstelle der Box: Die Bonustracks erreichen das Niveau der "Listen Without Prejudice / MTV Unplugged"-Deluxe-Edition nicht. Gab es dort mit einem halben nicht veröffentlichten Album und einem Unplugged-Auftritt jede Menge zu entdecken, muss "Older" ohne großes Highlight auskommen. Stattdessen finden sich hier jede Menge unnützer Radio-Edits und ganze zehn Forthright-Remixe von "Spinning The Wheel", "Star People" und "Fastlove" ein. Seine damals gefeierten House-Mixe waren bei Release komplett am Puls der Zeit, wirken heute aber doch reichlich angegraut.
Auf der Habenseite lassen sich "One More Try" in einer Live-Gospel-Version, ein Cover von Bonnie Raitts "I Can't Make You Love Me" und das mit Astrud Gilberto aufgenommene "Desafinado" verbuchen. Als einzig bisher unveröffentlichter Track stößt der nicht sonderlich spektakuläre Jon Douglas-Remix von "Spinning The Wheel" hinzu. So schön die Box auch aussieht, liefert sie mit diesen drei CDs leider zu wenig.
3 Kommentare
Jesus to a Child und Fastlove sind einfach super gealtert. Geht in 30 Jahren immer noch.
Egal, wie überflüssig der Bonus Kram ist: 5/5 und beste Platte der 90er.
Meisterwerk von einem der Top 5 Sänger ever.