laut.de-Kritik
Eine Britpop-Pionierin malt verquere Synthie-Träume.
Review von Philipp KauseBritpop war eine sehr männliche Angelegenheit. Blur, Pulp, Oasis, Suede - alles Männer. Doch eine Frau reklamierte das Spielfeld früh für sich: Jane Louise Weaver, Gitarristin, Sängerin, Frontfrau der Band Kill Laura.
Nur dass diese Gruppe es nie zu einem Album brachte. Dazu existierte sie zu kurz, übrigens unter Federführung des Managers von New Order, der sie unter Vertrag genommen hatte. Weaver machte danach Folkrock, Psychedelic, Filmmusik, Coldplays Chris Martin rief Jane an, um sie sampeln zu dürfen, sie traf auf die Doves und Badly Drawn Boy. Mit "Flock" legt die 48-Jährige nun ihr Masterpiece hin.
Sie startet mit lieblichem, zarten Dream-Pop in "Heartlow". Ihre Stimme klingt heiter, freundlich und schwerelos. Ihre Gitarre sondert einen New Wave-igen Störton ab, dessen repetitive Penetranz man schon mit Wire vergleichen kann und der die idyllische Lieblichkeit herausfordert und infrage stellt. Beim nächsten Track groovt es, ein Upbeat-Synthie-Funkrock mit einem krautrockigen Keyboardsolo, das so rast- wie ziellos, gleichwohl supercool ist.
"The Revolution Of Super Visions" heißt der Song und heischt Respekt, weil Jane so unvorstellbar ätherisch hoch mit der Stimme klettert, dass sie selbst Kate Bush fast entthront. "Stages Of Phases" bewegt sich, rhythmisch gesehen, wie ein Glamrock-Stomper, jedoch in maximal weichem Klanggewand, eine Art Unterwasser-Synthiepop.
So kann man jetzt Track by Track durchgehen, jeder hat seine Eigenart, jeder ist auf seine Art ein Meisterwerk. Mit "Lux" streut Jane ein Semi-Instrumental ein, das aus Synthies, Mark Tree und gehauchtem Gesang auf die lautmalerischen Silben "ah uh oh ah" besteht. Ein Mark Tree ist eine Art Glockenspiel, das wie eine Harfe klingt: ein Holzklotz, an dem lauter parallele Metallstäbe aufgereiht sind und nach unten hängen.
Während Jane mit dem Fingernagel an ihnen entlang gleitet, schlägt ein Stäbchen gegen den anderen. Es entsteht ein verträumter, sanfter Sound, den man selten hört. Zur elektronischen Grundierung fügt die Künstlerin also noch etwas Natürliches hinzu. Manche Leute haben ein Windspiel im Garten hängen, so ähnlich, nur viel besser hört sich "Lux" hier an.
Sie macht also keine ausgelutschten Sachen, sondern liefert eine originelle krautige Psychedelic-Classic Rock-Dreampop-Electro-Firlefanz-Mixtur ab. Gerade die gestalterische Umsetzung sprüht vor Hinhör-Reizen, etwa mit einem Marxophon in "Modern Reputation". Gleichzeitig erfüllt die Liverpoolerin ein Urbedürfnis nach süßen, harmonischen Akkordfolgen im Sinne von Mozart und Beatles.
Im Titelstück "Flock" bedient Jane diese Sehnsucht auf ihre ausgefallene Weise. Dazu gehört eine echt niedliche Art, wie eine schwachbrüstige Querflöte, nicht gerade zum Lead-Instrument geboren, durch den Song führt. Ab und an bekommt sie einen perkussiven Tritt nach vorne. Psychedelic Rock, gegen den Strich gebürstet, wechselt mit somnambulen Dream-Pop. Nach all dem Kunstanspruch überrascht mit "Solarised" ein vergleichsweise plakativer Electropop-Rausschmeißer.
Die gesamte LP "Flock" steht für kreative Impulse abseits von Standards und hundert Mal Gehörtem. Besonders angenehm greift der subtile Reisebilder-vor-dem-Auge-Effekt der Platte. Bei "Sunset Dreams" fühlt man sich schnell in einem Tropenumfeld, Indonesien könnte passen, irgendwas am Amazonas oder mit Wasserfällen auch. "Lux" erinnert da eher an skandinavische Geysire, "Modern Reputation" an Amsterdam im Nieselregen. Und immer wieder hat die Platte so viel mit Sixties-Retrosound und (vielleicht unbeabsichtigten) Reminiszenzen an The Doors gemein, dass Venice Beach ganz nahe scheint.
2 Kommentare
Hört sich fein an, wird gecheckt.
Klassischer 4AD Sound. Schön das. Gleich mal wieder Pale Saints und My Bloody Valentine auflegen.