laut.de-Kritik
Diese Sinneserfahrung bleibt länger als ein Parfüm-Duft.
Review von Rinko HeidrichGeruchskino - die Idee geistert alle paar Jahre durch die Presse. Es bleibt bisher ein Nischen-Thema, und wenn man an die Wogen an Fäkalien aus Pasolinis "120 Tage von Sodom" denkt, bleibt einem vielleicht auch etwas erspart. Jenny Hval verbindet mit Gerüchen keinerlei Ekel-Erfahrung, ein tatsächlich real existierendes Parfüm namens "Iris Silver Mist" dient sogar als Albumtitel. Da keine Duftprobe vorliegt, muss man eben der Produktionsbeschreibung von der "Parfumo"-Community glauben, die den Duft als "pudrig, blumig, holzig, erdig und würzig" beschreibt (die Top-Rezensionen bemühen gar Emily Brontes "Sturmhöhe" um dieses Edel-Parfüm gebührend dramatisch zu würdigen). Die Begeisterung für das Sinnerlebnis entstand in der Pandemie, als Künstler*innen auf Live-Konzert verzichten mussten. Alles war weg, aber Erinnerungen blieben, wie zum Beispiel der Dunst von Zigarren, der über den Konzerten lag.
In der metaphorischen Traumsprache von "To Be A Rose" soll man sich eine Konzertbühne vorstellen, die statt Blumen nun von blauem Zigarrenqualm dekoriert und eingehüllt wird. Oder die Erinnerung an Hvals Mutter, die kunstvoll den Rauch aus ihrem Mund ausstieß und damit der Ödnis ihres Provinzortes etwas Erhabenes zurückgab. Ein Moment aus der Vergangenheit, der genau wie der Zigarrengeruch nur flüchtig war, aber doch stark in der Erinnerung verhaftet bleibt.
Ihre Musik bleibt ein abstrakter Ort, daran ändert "Iris Silver Mist" gar nichts. Die Lyrics haucht sie in Gedicht-Form in "Lay Down" ein, und doch ist in diesem zarten Klassik-Stück etwas Beängstigendes, wenn sie darüber singt, dass sie plötzlich die Erwachsenenrolle für einen sterbenden Menschen in der Palliativpflege übernehmen muss. Das Album, so erzählte Hval in einem Interview, soll auch als Schnittstelle zwischen Leben und Tod funktionieren.
Der Dramatiker Heiner Müller spielte schon bei ihrem Theaterstück "I Want To Be A Machine" eine wichtige Rolle, nun entleiht sie ihm sogar den Albumtitel. Iris Silver Mist, so beschrieb Müller in "Hamletmachine", sei das Parfum, das ein Geist auftragen würde.
So unaufdringlich, aber beängstigend nah klingt auch "Spirit Mist". Ein gruseliger Synth-Piano-Sound und nur ein paar Streicher erzeugen einen Ort, der durch einen Bossa Nova-Rhythmus vertraut, aber gleichzeitig mit seinem Ambient-Aufbau auch unreal wie ein Gespenster-Tanzabend wirkt. Gerade zum Ende, wenn Hval die Geschwindigkeit abrupt verdoppelt und der Track wie in einer Karambolage endet. Ganz so, als ob man die damit ausdrücken möchte, dass man ihr bloß zu keinem Zeitpunkt vertrauen soll und sie eben die nicht greifbare Künstlerin bleibt.
Wie es schon in einem Songtitel auf dem Album heißt: "The Artist Is Absent", also genau der Gegenentwurf zu Marina Abramamovics legendärer Ausstellung "The Artist Is Present", die ziemlich extrovertiert den menschlichen Körper ausstellte und zum Objekt machte. "Somebody Help Me Now / A Stage Without a Show / A Hazy Silhouette / Around An Empty Space / A Club Without A Club", singt Jenny Hval, ihre Stimmte geht dabei fast im harten Industrial-Beat unter. Es ist nicht nur die beklemmende Zeit der Pandemie, mittlerweile klagen viele Künstler*innen darüber, dass die Musikhörer lieber daheim bleiben. Eine bittere Zukunft, wenn neben dem Streaming-Konsum das Konzert als gemeinschaftliches Sinneserlebnis wegfallen würden.
Die größtmögliche Transzendenz erreicht "Iris Silver Mist" mit "I Want The End To Sound Like This". Wenn sich das Ableben so anhört, umgibt uns am Ende oder schon auf der nächsten Stufe nur noch pure Wärme und etwas, das nicht nach mehr Schmerz, Hass und Trauer klingt. Auch wenn also dieses Album manchmal nahe an schmerzhafte Erlebnisse führt, lässt dieses große Finale den Hörer nicht in Dunkelheit zurück. Es ist der Abschluss eines letzten Albumdrittels, das mit den ätherischen Ambient-Songs "The Gift" und "A Ballad" die vorige Schwere buchstäblich in Luft auflöst. Wo man noch am zu Anfang fast eine dunkelverstaubten erdigen Geruch vernimmt, liegt hier ein nahezu himmlischer Duft über den ausgehenden letzten Seelenwanderungs-Tönen. Ein fast religiöser Akt, wäre Hval nicht auch die Autorin von "Gott hassen". Sie wuchs in einem tiefreligiösen Sekte in Südnorwegen auf und suchte Flucht in der okkult-heidnischen Mythologie des Black Metal. Und doch klingt gerade "I Want The End To Sound Like This" nach dem reinen Weiß, dass sie damals in den frühen Neunziger tragen musste und mit dem die Häuser ihres Ortes gestrichen wurden.
Keine Angst, was hier manchmal nach prätentiöser und anstrengender Kunst klingt, geht ohne größere Anstrengung rein. Egal ob nun im silbrigen Licht eines Wintertages oder bei dem Frühlingsbeginn mit seiner blumigen Geruchsexplosion. Schade, dass man "Iris Silver Mist" nicht riechen kann, aber trotzdem bleibt diese Sinneserfahrung länger als ein Parfüm-Duft.
1 Kommentar
Dieses Review unterschreibe ich voll und ganz. Ein wunderbares Album!