laut.de-Biographie
Josey Rebelle
Künstler*innen, die sich ausschließlich aufs DJing konzentrieren – sie sind selten geworden in der elektronischen Musik. In Zeiten, in denen eigene Veröffentlichungen mehr denn je vor allem als Visitenkarte gelten, um an die begehrten Gigs zu kommen, fallen DJs wie Josey Rebelle umso mehr auf. Nicht einmal eine zweckmäßige EP, mit der sie ihre Selbstvermarktung vorantreibt, hat die Londonerin in ihrem Portfolio. Rebelle hat das Auflegen zu ihrer bevorzugten künstlerischen Ausdrucksform erhoben.
Das gelingt ihr seit einigen Jahren derart routiniert und erfolgreich, dass sie es damit nicht nur in die renommiertesten Clubs der Welt, sondern auch zu Ausgaben der prestigeträchtigsten Mix-Formate gebracht hat. 2019 stellt sie für die BBC etwa den Essential Mix Of The Year zusammen, 2020 zeichnet sie mit "Josey In Space" für die zweite Ausgabe für die vom Geschmacks-Seismographen Tim Sweeney ins Leben gerufene Beats-In-Space-Serie verantwortlich.
Dabei kommt Rebelle mehr über Selektion denn über ausgefeilte technische Kapriolen, wie sie selbst von sich behauptet: "Ich bin kein Jeff Mills, sondern eine super basic DJ, die Tracks und Tunes schön zusammen mixen kann, ohne spezielle Tricks anzuwenden", sagt sie dem Groove Magazin 2019. Hektisches Mixing käme ihrer schillernden Track-Auswahl aber ohnehin nicht zugute, die während der Sets durchaus Raum zur Entfaltung benötigt.
Zwar spielt Rebelle absolut tanzbar, versäumt es aber nie, ihrem Publikum die musikalischen Wurzeln vorzustellen, die sie prägten. Das Kind karibischer Eltern, die als Teil der sogenannten Windrush Generation nach dem Zweiten Weltkrieg dabei halfen, Großbritannien wieder aufzubauen, wuchs im Norden Londons auf. Dabei überlappten sich die Musiken und ausladenden Rhythmen ihrer Heimat mit Spielarten, die sich im Zuge der jamaikanischen Soundsystem-Kultur im UK herausbildeten: Jungle, Hardcore, Bass Music, früher Techno aus dem Hause Warp.
Während ihrer Kindheit lief praktisch immer Musik. Sie war das Heilmittel, das den grauen und von Rassismus geprägten Tage in London erträglich machte. Auch das erklärt die unzähligen Stile und Genres, die man in ihren Sets bis heute hört. Wenn man so will, ist Rebelle die Speerspitze einer Entwicklung, die sich in der Dance Music in den letzten Jahren immer deutlicher herauskristallisiert; immer häufiger umschiffen DJs gängige Konventionen, die sie als hinderlich interpretieren, kontinuierlich geraten mehr und mehr Genres in ein und dasselbe Set. Restriktion und Reduktion scheint aus der Mode zu kommen. Wo noch vor einigen Jahren Deep-House-Puristen bis zu vier Stunden lang denselben Groove aneinanderwebten, ist die Bandbreite bei Rebelle maximal. Hip Hop, Acid, House, Detroit Techno, Drum'n'Bass, Electro – (fast) alles ist möglich.
Beliebig klingt das glücklicherweise dennoch nicht. Konsequent knüpft Rebelle an dezidiert schwarze (Musik)Kultur an, arbeitet etwa gerne mit Sprechstücken, die Missstände anprangern oder Ermächtigung thematisieren. Neben der willkommenen Portion Politik, die sie damit auf dem oft allzu hedonistischen Dancefloor verhandelt, klingt das in den meisten Fällen schlicht grandios. Über das intellektuelle Rüstzeug für fundierte politische Diskussionen verfügt sie ohnehin, widmete sie sich vor ihrer Karriere als DJ in London doch Soziologie und dem kreativen Schreiben.
Bei ihren Auftritten selbst ist sie allerdings nach wie vor aufgeregt, öffentliches Leben mit den einhergehenden Bewertungen nicht ihr Ding. Social Media empfindet sie als toxisch, das Auflegen hat anfangs nur mit Überwindung, der nötigen Portion Alkohol und schließlich dem Sprung ins kalte Wasser geklappt. Qualität setzt sich schlussendlich eben doch durch – auch ohne Instagram: "Das Löschen hat meine Karriere nicht beeinflusst. Ich will doch nur Platten kaufen und spielen. Das ist für mich das Wichtigste!
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