laut.de-Kritik
Eine Weltklassestimme - versteckt hinter den Trends.
Review von Yannik GölzMusikalisches Reifen kann Segen und Fluch zugleich sein. Ganz besonders, wenn man sich vier Jahre lang Zeit lässt, dem Debüt etwas Angemessenes folgen zu lassen. "No Mythologies To Follow" stellte MØ 2014 als quirlige, aber nicht zu unkonventionelle Stimme aus der Skandi-Pop-Schule vor. Ein Album über Jugend, getragen von Energie und Euphorie. Themen, die dem Zeitgeist so gut gefielen, dass ihre Stimme die kommenden Jahre auf Tracks von Major Lazer über Flume bis Cashmere Cat einem Weltpublikum präsentiert wurde.
"Forever Neverland" markiert nun diesen Moment der Karriere, an dem jugendliche Waghalsigkeit einer neuen Reflektiertheit weichen müsste und gießt ihn dann in dickflüssigen Zuckerguss. Vierzehn Titel behandeln Themen wie Nostalgie, Heimweh und Entfremdung mit einem Bombast, der zu fantastischen Songs, aber einem etwas zu überladenden Gesamtbild führt.
Den Anfang machen Tribal-Pop-Stampfer wie das exzentrische "Way Down" oder "Nostalgia", deren Percussion-Grooves MØs rauer, ungehaltener Stimme den richtigen Rückhalt geben, um ihr musikalisches Mojo auszuleben. Das Ergebnis sind kurzweilige, tanzbare und intensive Pop-Nummern, die die Energie der Protagonistin einkapseln und ziemlich perfekt ausspielen.
Etwas ausgefallenere Ideen gehen ebenfalls auf. Auf "Blur" kanalisiert MØ eine Gitarren-Melodie, die ein bisschen "Where Is My Mind" von den Pixies kanalisiert, nutzt dann allerdings eine aufbrausend gestaffelte Electro-Produktion bis hin zum Drop, um einen der interessantesten Momente der Platte zu kreieren. Auch die Diplo-Kollaboration "Sun In Our Eyes" oder der fast in TripHop ausschlagende Schlusstrack "Purple Like The Summer Rain" setzen auf melancholischere Stimmungen.
Auch wenn die inzwischen zurecht um zwei Jahre verjährte Tropical House-Produktion auf "Beautiful Wreck" und die schimmernden EDM-Riffs à la 2014-Calvin Harris oder 2017-Chainsmokers ein bisschen verschnarcht ankommen, fällt "Forever Neverland" nie unter Durchschnitt. Tatsächlich folgt auf jeden der etwas formelhafteren Titel eine ausgefallene Nummer. Zum Beispiel der Charli XCX-Tag Team-Rap auf "If It's Over" oder die Reggae-Synergie mit Empress Of auf "Red Wine".
MØ fühlt sich im Gegensatz zu seiner etwas reduzierteren "When I Was Young"-EP nun tatsächlich ab und zu ein bisschen wie Konglomerat aller populären Pop-Trends der vergangenen drei oder vier Jahre an. Dazu kommt die erschlagende Fülle der Produktion, eine Kehrseite der äußert detaillierten Texturen, die man genauso im selben Atemzug als Stärke der Platte benennen könnte.
Trotzdem macht es diese Dichte schwer, eine greifbare Persönlichkeit und eine Stimme hinter dem Album auszumachen, die eigentlich beide den Eindruck erwecken, es müsste wesentlich mehr zu präsentieren geben. Die Texte klingen immer ein klein bisschen generisch, künstlich nach mehr Kante bemüht, als da tatsächlich vorhanden ist. Die Produktion pökelt konstant auf maximaler Lautstärke und schlängelt sich ein bisschen öfter als nötig um die Katharsis im Drop.
Zum Glück ist da am Ende doch immer noch MØ selbst, die mit ihren charakterstarken und endlos eingängigen Vocals dafür sorgt, dass "Forever Neverland" auch ohne stark progressive Identität zu einem interessanten und angenehmen Hörerlebnis wird. Das Songwriting fächert sich auch genügend variabel auf, um keine Monotonie entstehen zu lassen. So massiv, wie das Album dann aber auf Dauer klingt, wäre man womöglich besser damit beraten, besser einzelne Songs in eine Playlist zu parken, als es wirklich von vorne bis hinten durchzuexerzieren.
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