Porträt

laut.de-Biographie

Melanie De Biasio

Wer Melanie De Biasio Stimme erstmals hört, denkt unweigerlich an große afroamerikanische Sängerinnen wie Billie Holiday oder Nina Simone. Die Musik der Belgierin mit italienischem Vater klingt nicht nach Europa. Soul, Blues, R&B, und Jazz mischen sich mit einem gehörigen Schuss Trip Hop zum faszinierenden Cocktail.

Melanie De Biasio - Lilies Aktuelles Album
Melanie De Biasio Lilies
Als sänge Billie Holiday bei Portishead.

Dabei sah es in ihrer Kindheit zunächst gar nicht nach einer Musikerlaufbahn aus. Der Tanz im Allgemeinen und das Ballett im Besonderen war die erste künstlerische Liebe der kleinen Melanie. Erst als Teenager änderte sie ihre Prioritäten, dann aber nachdrücklich. Neben stimmlichen Fähigkeiten entwickelt sie sich zu einer Multiinstrumentalistin, die u.a. Flöte, Piano und Gitarre beherrscht. Ganz besonders Jazz und Soul haben es ihr stilistisch angetan.

Doch zunächst gehen die eigenen ersten Schritte in eine ganz andere Richtung. Greller Jazzpunk steht am Anfang auf ihrem Zettel. Frühe ungestüme Auftritte mit einer ersten Formation gleichen heftigen Explosionen. Mit der wilden Kapelle tourte sie international und holte sich in Moskau die seltene Erkrankung des Lungenhochdrucks.

Fatalerweise achtete sie nicht auf die Symptome und zog die Gigs voller Pflichtbewusstsein gegenüber Band und Publikum durch. Doch das rächte sich. Der Zusammenbruch folgte auf dem Fuße und raubte ihr die Stimme. Lange Zeit herrschte Ungewissheit, ob sie je wieder singen werde. Danach herrschte Gewissheit, dass sie nie wieder in belastender Lautstärke wird performen können.

Doch genau diese niederschmetternde Nachricht führt erst zur endgültigen Geburt der eigentlichen Künstlerin De Biasio. Sie horcht tief in sich hinein und entdeckt dort statt Sturm und Drang die unbedingte Kraft von Stille und Reduktion. Arrangements und Naturell der Songs passt sie ihren oft nur gehauchten Vocals an. Minimalismus und Melancholie geben die Marschrichtung vor.

Neben Ikonen wie Portishead, Nina Simone oder Billie Holiday hilft ihr besonders das einzige Soloalbum von Talk Talk-Vordenker Mark Hollis, die leisen Töne in ihr zu vertonen. Dabei stellt sie eine Finsternis zur Schau, die sie tief aus ihrem Herzen herausbricht. "Ich hatte einen Klang in meiner Seele, der keinerlei Kompromisse zuließ." Wie ein Schleier legt sich seitdem Dunkelheit über ihre Musik. Ein wenig mag das auch mit ihrer Herkunft zu tun haben. De Biasios Heimatstadt Charleroi ist eine ehemals florierende Industriehochburg, deren Gegenwart von Niedergang, Arbeitslosigkeit und Depression geprägt ist.

Jener postindustriellen Verelendung, die ihr beim Touren auch in anderen Ländern begegnet, setzt sie 2016 mit dem One-Track-Album "Blackened Cities" ein mitfühlendes Denkmal. Die Mini-LP beschert ihr nicht nur international große Anerkennung. Auch in Belgien ist es das erste Mal, dass einer ihrer Tonträger sowohl im flämischen als auch im wallonischen Teil die Top Ten knackt. Die Akzeptanz in den sehr unterschiedlichen Regionen ist für Musiker keine Selbstverständlichkeit.

2017 feilt sie ihren musikalischen Pfad weiter aus. "Lilies" schenkt den ohnehin tiefgründigen Songs eine zusätzliche Dimension samtener Finsternis. Sie erreicht diese versunkene dabei simultan dynamische Ebene, indem sie sich mit ihrer Band für Komposition und Aufnahmen nicht nur zurückzieht, sondern regelrecht von der Außenwelt abschottet. Was als Improvisation beginnt, nimmt nach und nach Gestalt an, bis es zu ihrem bis dato intensivsten Album reift.

Aber ist das noch echter Jazz? Solch stocksteifem Argwohn von Musikpolizisten erteilt De Biasio eine klare Absage. "Wenn man Improvisieren als das Essenzielle im Jazz ansieht, dann machen wir Jazz. Doch dabei können ganz simple Liedstrukturen herauskommen. Die Vielschichtigkeit unserer Musik liegt darin, den Gehalt in einfachen Dingen herauszuarbeiten."

Alben

Melanie De Biasio - Lilies: Album-Cover
  • Leserwertung: 4 Punkt
  • Redaktionswertung: 4 Punkte

2017 Lilies

Kritik von Ulf Kubanke

Als sänge Billie Holiday bei Portishead. (0 Kommentare)

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