25. Juni 2024

"Gegen Traurigkeit hilft lautes Singen"

Interview geführt von

Mit "Nashimon" veröffentlicht Nashi44 schon die zweite EP. Die Rapperin aus Berlin haben im Grunde seit ihrer Debütsingle auf dem Schirm: Empowerment-Rap mit giftig-gemeiner Kante gegen genau die richtigen Leute, einem sehr gesunden Humor und einem von Anfang an klar spürbaren Skill-Level. Auch ohne zu wissen, wie viel musikalischen Background sie davor schon hatte, merkte man einfach: Da passiert etwas Krasses.

Jetzt sitzt Nashi mit einem Kaffee in der Wohnung ihrer Eltern in Neukölln vor dem Zoomfenster und berichtet, was sich zwischen dem ersten und zweiten Release alles getan hat. Eine Künstler-Residenz in Brasilien, Schritte hin zum Producer-Sitz und eine Wendung zum R'n'B sorgen dafür, dass "Nashimon" wesentlich weniger in die Fresse geht, dafür aber emotional wesentlich komplexer und vielschichtiger ausgefallen ist.

Die EP ist gerade rausgekommen, Glückwunsch dazu! Wie ist die Resonanz bisher?

Bisher gab es auf jeden Fall positives Feedback. Das Lied "Beste Verdient" ist in ein paar Playlists gelandet, aber andere Tracks auch. Bis jetzt bin ich eigentlich ganz zufrieden damit.

Ich habe das Gefühl, dass sich Songwriting-mäßig seit der ersten EP einiges getan hat. Was hast du Neues gelernt und was hast du diesmal anders gemacht?

Der Unterschied bei dieser EP war für mich, dass ich dieses Mal definitiv mehr darauf fokussiert habe, R'n'B-Einflüsse reinzubringen. Weil ich bin ja nicht nur mit Hip Hop, Deutschrap und amerikanischem Rap großgeworden, sondern auch mit R'n'B. Da wars halt voll so der große Schritt für mich, auch zu singen und mitzuproduzieren, im Studio. Und auch Liebe, Selbstliebe, sehr persönliche Themen wie mentale Gesundheit, darüber auch noch zu schreiben: Das waren so die großen Themen für mich, bei denen ich auch sehr viel Zeit und Mut gebraucht habe, um dahin zu kommen. Ich weiß nicht, ne? Am Ende sind die Lieder draußen, die Leute hören sie sich an und denken sich: "Ja, cool." Aber der Schritt dahin ist halt so der Größte, die Hürde für einen selber, das auch zu machen. Ich habe viel mit anderen Artists gesprochen: Sollen wir das machen, das Genre zu erweitern, auch in Richtung R'n'B zu gehen, nicht nur auf-die-Fresse rappen, sondern auch soften Gesang reinbringen? Weil das ist auch eine Seite von mir! Am Ende dachte ich, ich muss das machen, was mich glücklich macht und was sich für mich richtig anfühlt, unabhängig, wie das bei den Leuten ankommt. Und das ist echt leichter gesagt als getan!

Hast du das Gefühl, du kannst mit Gesang grundsätzlich andere Themen behandeln als mit Rap?

Doch, auf jeden Fall. Durch den Gesang kann ich viel verletzlichere Seiten zeigen, zum Beispiel wie auf "Tränen Im Treptower Park". Du musst wissen, wenn es mir schlecht geht oder ich sehr traurig bin, dann hilft es mir am meisten, einfach laut zu singen. Dieses Gefühl in Melodien auszudrücken. Beim Rappen bin ich dann oft neckisch, ein bisschen lustig, vielleicht mit Augenzwinkern oder ein bisschen frech. Aber mit dem Singen kann ich meine verletzlicheren Seiten zeigen, und das sind dann meine softeren Melodien oder Gesangstechniken, die das umsetzen.

Wenn wir von R'n'B und Gesang reden: FKA Twigs benennst du ja auf dem Tape. Aber was sind so deine großen R'n'B-Inspirationen?

Ich bin mit Usher und Christina Aguilera großgeworden. Ushers "Confessions" war so das erste Album, das ich rauf und runter gehört habe, auch "Dirty" von Christina Aguilera.

Richtig dumme Frage: Ist Christina R'n'B?

Nein, schon eher Pop, aber von den Gesangstechniken, die sie benutzt, stecken auf jeden Fall mehr Techniken drin, die du im R'n'B wiederfinden würdest. Wie sie singt, findet man sonst im Pop ja nicht so viel. Genau. Das sind so die beiden Alben, bei denen ich mich daran erinnere, dass ich sie in- und auswendig kannte. Destiny's Child, Beyoncé, heute so zum Beispiel Jazmine Sullivan aus Philadelphia, Bryson Tiller. Sowas. Drake wäre schon wieder mehr Pop, mehr Hip Hop als reiner R'n'B.

Drake ist ungefähr alle Genres. Aber das ist ja eh die Bewegung, die man vielerorts gerade macht, dass niemand sich mehr ganz einem Genre zuschreibt. Fühlst du dich auch in mehreren Genres zu Hause?

Ja, ich will mich definitiv nicht auf ein Genre festlegen, dafür höre ich selbst viel zu unterschiedliche Musik und bin beeinflusst von lauter anderen Genres. Und ich möchte auch einfach die Freiheit haben, mich musikalisch auszutoben.

"Leute geben einem tausend Titel und Namen und Zuschreibungen"

In einem anderen Interview meintest du, dass du es schade findest, dass hierzulande eine klare Schere zwischen Conscious-Rap und Mainstream-Rap existiert, die Amis wie Kendrick oder Cole schon überwunden haben. Gewissermaßen bist du auch so ein Trojanisches Pferd-Rapper: poppige Präsentation, politische Texte. Würdest du dich mehr daran stoßen, Pop-Rapper oder Conscious-Rapper genannt zu werden?

Ach, eigentlich ist mir beides total egal. Weißt du, Leute geben einem immer tausend Titel und Namen und Zuschreibungen, ich habe gelernt, mich das alles gar nicht so sehr kümmern zu lassen.

Wahrscheinlich sehr klug, sich gar nicht mit Kategorien aufzuhalten. Aber ich will trotzdem ein bisschen bei Sound und Einfluss bleiben. Wenn wir in die einzelnen Tracks gehen: Mit welchen Soundideen auf der neuen EP bist du sehr zufrieden?

Also: Wir haben jetzt 2024, oder? Ich war Ende 2023... 2022? Letztes Jahr ist so schnell vergangen, Jesses. Auf jeden Fall war ich für eine Weile am Goethe Institut in Brasilien, und das hat mich stark musikalisch beeinflusst. Da habe ich viel brasilianischen Funk und Pop gehört, natürlich auch Samba. Aber da habe ich gesehen, wie oft akustische Instrumente benutzt wurden, um schnelle und tanzbare Musik zu machen. Nicht so elektronische Sounds, sondern Instrumente mit einem warmen Klang. Und ich liebe ja eh, wenn man Musik mit echten Instrumenten macht, mit einer Band und so. Ich habe ja auch einen Background im Jazzgesang, das habe ich alles schon durch. Auf jeden Fall hat es mich daran erinnert und mich beeinflusst, dass ich tanzbare Musik machen möchte, die einen wärmeren Klang hat und echte Instrumente beinhaltet. Dann war ich mit Älice in Hamburg im Studio und wir haben überlegt, was der Beat für einen Rhythmus haben könnte. Ich wollte so ein Ts-ts-tststs-tsts-Ding, etwas rhythmisch Komplexeres. Ich wollte Pattern. Klavier drüber, alles eingespielt. Beim Drumsound näher an echten Instrumenten. So haben wir uns zusammengesetzt und "Babe" geschrieben und den Beat gemacht. Bei "Tränen Im Treptower Park" habe ich auch das Klavier eingespielt. Da saß ich bei Josi Miller im Studio, das waren so Sachen. Äh, was war nochmal die Frage?

Bei welchen Sachen du auf der EP am meisten das Gefühl hast, gecookt zu haben.

Ja, genau! Einfach: Mehr akustische Instrumente reinnehmen, darauf achten, dass der Rhythmus das Grundgerüst des Liedes ist. Dass man immer dazu tanzen kann, nicht nur so foor-to-the-floor-mäßig wie im Techno, sondern vielleicht auch mit etwas anspruchsvolleren Rhythmen, die drunterliegen. Dann war ich, wie gesagt, auch mehr in der R'n'B-Richtung und fand schön, wenn es softer und vielleicht sogar ein bisschen magischere klänge. (Lacht) Na gut, das will ich jetzt vielleicht nicht sagen.

Warum nicht magische Klänge?

Ach, halt so eine Traumwelt, die es vor Augen führt. Das hat Josi Miller bei "Beste Verdient", das als letztes rausgekommen ist, super hinbekommen. Da saßen wir auch lange dran, haben die erste Version verworfen, haben den Beat komplett neu gemacht. Damit es wirklich zum Thema passt. Das, würde ich sagen, ist ein großer Unterschied, der mir auch wichtig war. Das Thema der Liebe, der Selbstliebe, das soll auch musikalisch widergespiegelt werden, mit softeren, verträumteren analogen Instrumenten, aber immer noch treibenden Beats.

"Ich bin keine Aktivistin in erster Linie"

Tanzbar, aber atmosphärisch. Man merkt, du hattest viel kreative Kontrolle, auch übers Soundbild.

Ja, bei der zweiten EP habe ich mich definitiv mehr ins Producing reinbegeben. Mehr bestimmt, mehr mitproduziert. Das macht mir Spaß, ich habe vielleicht noch nicht so viel Ahnung von den Termini und der Software, aber das kommt ja.

Hast du das Gefühl, es gibt Facetten von dir als Artist, die Leute unterschätzen?

Lass mich mal überlegen. Was ich oft höre, wenn Leute nach dem Konzert zu mir kommen, ist: "Ich höre eigentlich gar kein Hip Hop, aber deine Musik finde ich geil." Das kommt vor. Dass Leute das Genre nicht hören, aber die Message und die Performance gut finden. Wie der Song aufgebaut ist. Aber dass ich unterschätzt werde? Nicht wirklich. Höchstens kommen manchmal Leute und raffen gar nicht, dass ich Rapperin bin. "Wie, du bist Rapperin?" Aber sobald sie mich rappen hören, ist das ja auch schon wieder gegessen.

Ich fand nur interessant, weil viele deine Stimme als so etwas wie eine Expertenstimme über anti-asiatischen Rassismus oder Sexismus sehen. Offensichtlich ist das ein großer Teil deiner Kunst, deswegen erscheint valide, mit dir darüber zu sprechen. Aber kann das nicht auch ein Stressfaktor werden, wenn die soziale Relevanz deiner Arbeit in der Wahrnehmung vor deinem künstlerischen Können steht?

Ich verstehe schon, dass gerade bei Interviews Überschriften oft überspitzt und catchy sein müssen. Deswegen lauten Überschriften dann halt oft eher "Nashi über antiasiatischen Rassismus" als "Musikerin macht Musik". Natürlich sehe ich mich allem voran als Musikerin. Das ist schon etwas, wo ich sagen würde: Ich bin keine Aktivistin, in erster Linie. Ich schreibe Songs über Themen, die mich bewegen. Auf meiner ersten EP waren das vor allem Erfahrungen, die ich gemacht habe, oder Leute aus der asiatischen Community in Deutschland, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Ne? Mein Ziel ist es immer, Leute mit meiner Musik zu empowern und denen Kraft zurückzugeben, dadurch, dass ich halt meine Erfahrungen teile. Das war zu der Zeit eben antiasiatischer Rassismus und Sexismus. Letztes Jahr ging es dagegen mehr um romantische Liebe, Selbstliebe und Selbstzweifel. Um Freunde und Familie. Also, klar: Ich bin in erster Linie Musiker!

Im Grunde wollte ich dieses Thema nur abklopfen, weil ich mir schon ein paar Mal dachte: Mensch, das Girl ist doch ein Spitter, warum befragt man sie wie so eine Antidiskrimnierungsbeauftragte?

Es gibt halt wenig Leute in der Musikszene, die genau dieses Thema behandeln, und dann ist es eben eine spannende Anlaufstelle, mich dazu zu befragen.

Jetzt ist ein großes Thema Self-Care. Das löst wahrscheinlich in dir weniger akute Wut aus als Rassismuserfahrungen, und Wut ist für Rapper*innen bekanntlich eine große Triebfeder. War es schwerer, ohne so eine Triebfeder zu schreiben?

Ich würde sagen, es war eigentlich gleich schwer, weil beides Momente waren, die mich in dem Moment sehr betroffen haben. Am Ende ist der Prozess eben der gleiche: Ich brauche eine Weile, um diese Dinge auch für mich selbst zu verarbeiten, und dann komme ich erst dazu, sie auf ein Blatt zu bringen. Dann noch diesen Schritt zu gehen und zu sagen: Jetzt zeige ich es auch der Öffentlichkeit und mach mich emotional nackig... Ich würde sagen, es war gleich schwer.

Über "Tränen Im Treptower Park" wollte ich abschließend noch einmal gesondert sprechen: Der Track ist atmosphärisch und emotional in meinen Augen dein vielleicht bester bisher. Was ist die Geschichte dahinter?

Der Song ist mir echt schwergefallen. Da gings mir echt eine Weile lang richtig, richtig schlecht, und ich habe wochenlang, monatelang jeden Tag Tagebuch geschrieben und meine Gefühlswelt reflektiert. Ich war jetzt ja auch zwei Jahre in Therapie, also, in Gruppentherapie, das hat mir geholfen, über dieses schwere Thema auch zu reden und zu schreiben. Ich sag' im Song zwar Depression, aber ich hatte keine Depression diagnostiziert, sondern eine depressive Reaktion, eine Verstimmung. Auf jeden Fall hat das Lied mir geholfen, das rauszulassen und dieses Gefühl zu verarbeiten. In einem Moment, in dem es mir richtig schlecht ging, habe ich einfach vier oder acht Zeilen gefreestylet und kurze Zeit später auf meiner Story hochgeladen. Dann habe ich von voll vielen gehört, dass sie sich gerade ähnlich fühlen, dass viele das durchmachen und ihnen das geholfen hat.

Dann wusste ich: Ich muss das jetzt zu Ende bringen und einen Song draus machen. Das habe ich dann in einer Zeit aufgenommen, wo es mir auch wieder nicht gut ging, und es war echt schwer, den Schritt zu machen, es all den Leuten zu zeigen. Man will in der heutigen Zeit ja auch nicht so gerne Schwächen zeigen, weil du ja nonstop auf Social Media getrollt wirst. Da willst dich erst recht nicht verletzlich zeigen und noch mehr Angriffsfläche bieten. Aber es freut mich sehr, dass der Track jetzt dir und anderen so gut gefällt!

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