laut.de-Kritik

Auf dem Weg zum ganz großen Ding.

Review von

Es braucht nicht lange, um zu raffen, dass Nashi44 ein Talent ist. Schon die ersten Singles wirkten cool, technisch vielversprechend und hatten natürlich eine ziemliche Sprengkraft: "Asiabox" attackierte mal locker-lustig, mal fast surreal-aggressiv Rassismus und Sexismus aus der asiatisch-deutschen Perspektive. Und das nicht mal mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern smooth und tanzbar. Könnte man nach mehr fragen?

Natürlich kann man nach mehr fragen, wir sind hier immerhin ein dreistes Publikum. "Asia Box" hat damals zwar die Checkboxen getickt, kam mir persönlich aber oft ein wenig zu perfekt entworfen vor. Als würde sie in ihren Tracks eher Argumente als Gefühle umsetzen. Die Wortwahl ein bisschen zu Twitter, die Umsetzung ein bisschen zu bieder. Irgendwie blieb das Gefühl zurück, dass sie ihre Rapstimme noch nicht zu 100 Prozent gefunden hatte.

"Nashimon" macht in dieser Hinsicht einen deutlichen Schritt nach vorne. Was man bei beiden Tapes wirklich positiv hervorheben muss: Technisch ist diese Frau extrem gut. Sie flowt mit Schmackes, baut Punchlines mit Reimtechnik und Abwechslung auf, als wolle sie RBA-Battles gewinnen und fügt auf dieser EP noch eine gute Prise R'n'B hinzu. Und man sieht nicht alle Tage, dass jemand hinter dem klassischen Micskill auch noch eine Gesangsausbildung versteckt hält. Das macht definitiv Eindruck.

Aber auch, wenn die Nashi von "Asia Box" mit einem halben Fuß im Battlerap stand, entwickelt sie sich hier zu einem deutlich komplexeren Artist weiter. "Beste Verdient" kommt mit wertigen Synths, die das Thema Self-Care tatsächlich ein klein wenig wie einen Spa-Tag klingen lassen. Die stark gesungenen Backing-Vocals, die Lässigkeit des Grooves und der souveräne, introspektive Flow: Das macht atmosphärisch einiges her.

Musikalisch gilt für die EP-Länge solider Variantenreichtum. Die Tracks kommen organisch, funky und musikalisch gar nicht so schlicht daher und entfalten dennoch oft einen sehr angenehmen Pop-Appeal. Der semipolitische Hornyjam "Blistex" hat diesen sehr coolen Post-Chorus, der ein bisschen wie moderner G-Funk klingt. Auf "Babe" mit Moop Mama-Kollaborateurin Älice hört man sogar den gerade sehr heißen brasilianischen Funk heraus. "Sriracha Hot Bitch" wirkt mit den eher simplen Representern am ehesten wie ein Track, der auch auf "Asia Box“ hätte landen. Spaß macht er trotzdem.

Es gibt dennoch keinen Track, der so sehr zeigt, was in Nashi noch stecken könnte, wie das extrem beeindruckende "Tränen Im Treptower Park": Da ist immer noch ein politischer Impetus und ein gewisses Empowerment. Aber wenn sie sich früher, überspitzt formuliert, ein bisschen dahinter versteckt hat, ja nur eine Stimme ihrer Community zu sein, ist sie auf diesem Track zu 100 Prozent bei sich selbst angekommen. "Tränen Im Treptower Park ist einfühlsam und gut darin, Themen wie ihre depressive Stimmung oder ihre Versagensängste in einen R'n'B-Tune umzumünzen.

Der Track ist nicht nur emotional eine totale Abrissbirne, er klingt auch fantastisch. Die Atmosphäre ist dicht, die Vocals erstklassig und das Songwriting tight. Im laut.de-Interview sagt Nashi, sie sehe sich eher als Teil einer Nische. Tracks wie dieser hier weisen ihr Weg zu Größerem. Und das ist ein verdammt cooles Zwischenfazit für eine EP: Nashi hat überhaupt nichts von dem Appeal eingebüßt, der sie so vielversprechend wirken ließ, entwickelte sich aber trotzdem an jeder Front weiter. Es bleibt spannend.

Trackliste

  1. 1. Beste Verdient
  2. 2. Boo
  3. 3. Blistex
  4. 4. Babe (feat. Älice)
  5. 5. Sriracha Hot Bitch
  6. 6. Tomboy Tussi
  7. 7. Tränen Im Treptower Park

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