Einst bildeten sie die Schnittmenge aus Erasure, Travis und Radiohead: Tom Chaplin und Band feiern ihr epochales Debüt. Fotos/Review.

Köln (rnk) - Keane sollten ursprünglich im gegenüberliegenden E-Werk spielen, die Nachfrage nach den Briten war aber dermaßen riesig, dass der Gig ins Palladium hochverlegt und für den heutugen Montag gar ein Zusatzkonzert angesetzt wurde.

Nicht schlecht für eine Band, die das 20-jährige Jubiläum ihres Debütalbums "Hopes And Fears" feiert. Schon der Albumtitel drückt aus, warum die Nostalgie so unfassbar viele, damals junge Menschen ins Palladium treibt. "Oh, simple thing, where have you gone? / I'm getting old, and I need something to rely on / So, tell me when you're gonna let me in / I'm getting tired, and I need somewhere to begin." (aus "Somewhere Only We Know").

Natürlich lächerlich, lag doch damals alles vor einem, und trotzdem imaginierte man das Ende aller Tage in seinen jugendlichen Weltschmerz hinein. Die Musikkritik war weniger begeistert und beschimpfte Keane als Möchtegern-Coldplays in einer Zeit, als Chris Martin und Co. tatsächlich noch als geschmackssichere Konsensband galten. In dem ganzen Gemecker vergaß man Travis, die den Weg für diese neuen, sensiblen Melancholie-Bands erst bereitet hatten. Jene Musik also, die sowohl unglücklich verliebten Studenten:innen als auch Büroangestellten den Soundtrack für ihren Weltschmerz lieferte.

20 Jahre Weltschmerz

Verlieben wird man sich vermutlich noch häufiger im Leben, unglücklich wahrscheinlich sogar noch öfter. Die Liebe als herrliches Leiden besangen schon viele Künstler:innen, doch der sensible Indie-Klavierpop der Protagonisten traf diesen Nerv ziemlich genau: "Hopes & Fears" verkaufte sich allein in Großbritannien über drei Millionen Mal - und, man darf es so nüchtern festhalten, keines ihrer Alben danach hätte einen dermaßenen Run auf Tickets ausgelöst. Die Briten konnten bis zum epochalen Debüt in Ruhe reifen und ihre Songs, die schon seit Ende der Neunziger existierten, live ausprobieren: Keane waren schon damals vollendet.

The Sherlocks

Heute werden also die Gefühle von damals neu belebt. Die Vorgruppe The Sherlocks klingt so routiniert wie eine Nullerjahre-Band, die mangels Ideen aber noch ordentlich Synthesizer-Kleister draufpackt. Dabei besteht die Truppe aus ein paar Twenty-Somethings, die in England mit ziemlich kommerziellem Sound schon erfolgreich in der Top Ten gelandet sind.

Ein Tatbestand, der gleichwohl kein Qualitätsmerkmal darstellt. Die Zeiten, als jede noch so mittel begabte The-Band aus England parallel auf dem Festland für Euphorie sorgte, sind längst vorbei. Der klassische Keane-Fan ist Pop freilich nicht abgeneigt und nimmt den Bombast-Rock entspechend begeistert zur Kenntnis. Die Merch-Preise der Sherlocks firmieren dazu absolut auf dem Niveau des Mainacts.

Einsam und überfordert

Der betritt unter lautem Jubel um kurz nach 21 Uhr die Bühne. Wer Keane seit damals nicht mehr gesehen hat, muss sich zumindest angesichts Tom Chaplins kurz die Augen reiben: Aus dem damals pausbäckig unbeholfenen Jüngling ist ein drahtiger, selbstbewusster Mann geworden, der seine Dämonen endlich im Griff hat. Der große Erfolg von "Hopes & Fears" brachte auch viel Kummer mit sich und stürzte den introvertierten Sänger in eine Alkoholsucht, die ihm 2015 fast das Leben kostete. Der Set-Opener "Can't Stop Me Now" trug schon damals dieses Gefühl von Einsamkeit und Überforderung in sich: "But I can't stop now / I've got troubles of my own / 'Cause I'm short on time / I'm lonely, and I'm too tired to talk".

Nach der Original-Tracklist des Albums gehen die Briten demzufolge nicht vor, der größte Hit "Somewhere Only We Know" wäre sonst direkt am Anfang gestanden. Aber klar, dass Keane ihren größten Hit ever nicht gleich zum Start raushauen, dafür überraschen Einsprengsel vom zweiten Album "Under The Iron Sea" und dem mittlerweile auch schon zehn Jahre alten "Strangeland". Die ruhigen "Silenced By The Night" und "Soverein Light Cafe" fügen sich perfekt in die melancholische Stimmung von "Hopes and Fears" ein. "Crystal Ball" zeugt hingegen vom unschönen Weg in Richtung gefälliger Mainstream-Pop, dennoch ein solider Mitklatsch-Song.

Verträumte Fans im Licht der Discokugel

Und trotzdem kommt diese Schunkelnummer niemals gegen den unendlich traurigen Weltschmerz von "She Has Not Time" an. Eine gesanglich nicht einfache Nummer, die Chaplin im Falsett-Gesang äußerst souverän meistert. Schönes Discokugellicht erfüllt den Saal und gibt den Blick auf das Publikum frei, das verträumt und etwas niedlich unbeholfen schunkelt. Aber bedenkt man als Musiknerd dazu, wie sehr Keane mal die Schnittmenge aus Erasure, Travis und Radiohead waren? Sicher, Art-Rocker zelebrierten die Briten nie, aber für "Oho Oho"- und "Hey"-Rufe wie bei "Is It Any Wonder" waren sie eigentlich mal zu schade.

Chaplin erinnert zwischendurch noch, wie er 2003 mit Starsailor auf Tour in Deutschland ging. Die Band aus Wigan, England legte 2001 ebenfalls ein phänomenales Debüt namens "Love Is Here" vor, bis der Weichzeichner auch hier den Sound verwässerte. Starsailor hatten gleichwohl nie einen Hit wie "Somewhere Only We Know" zu bieten, den noch heute eine komplette Halle mitsingt. Beim selten aufgeführten "Untitled 1" richtet sich der Blick dagegen schnell aufs Smartphone.

Mit dem Rausschmeißer "Bedshaped" verabschieden sich Keane dann bis zum Folgeabend. Der Anniversairy-Event mit vielen Bonussongs aus der gesamten Laufbahn der Band, erinnert an ein Klassentreffen, auf dem der damals etwas pummelige Nerd aus dem Schulchor plötzlich total hot wirkt. Früher saß man mit ihm in der letzten Bank, die Mädchen ignorierten einen. Heute hingegen umgarnt man ihn und lacht aufgekratzt über seine Witze. Er ist immer noch ein Sympath, trägt aber nun weiße Sneakers und möchte von den damaligen Außenseiter-Stories nichts mehr wissen. Menschen verändern sich, entwickeln sich unterschiedlich. War ein schöner Abend, aber wir werden uns wahrscheinlich nicht noch mal wiedersehen.

Von Rinko Heidrich.

Fotos

Köln, Palladium, 2024 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour.

20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) 20 Jahre "Hopes And Fears": die Briten auf Jubiläumstour., Köln, Palladium, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich)

Weiterlesen

laut.de-Porträt Keane

Keane haben mit ihrem ersten Album "Hopes And Fears" einen Karrieresprung hingelegt, der nur wenigen Bands vorbehalten ist. Sie fingen an, als Freunde, …

Noch keine Kommentare