laut.de-Kritik
Als hätten die drei eine Klavier-Aversion entwickelt ...
Review von Benjamin FuchsWer die neue Keane-Single "Is It Any Wonder?" hört und zusätzlich weiß, dass es sich eben um Keane handelt, stutzt erst einmal. Ein bissiger WahWah-Gitarrensound krächzt aus der Box. Der Refrain klingt seltsam leer, mit seinen Bling-Bling-Tönen, der ganze Track wirkt dahingejammt und unvollendet. Das sollen Keane sein? Die gleiche Band, die noch vor zwei Jahren mit "Hopes And Fears" ein Album voll supermelodischer erhabener Balladen präsentiert haben, auf dem praktisch jeder Song eine Single war?
Der Eindruck von "Under The Iron Sea" ist zunächst zerfahren. Viele Synthesizer-Klänge, wo auf dem Erstling vielleicht nur ein Piano Sänger Tom Chaplin begleitet hätte. Aber das gibt es dieses Mal fast gar nicht. Als hätten die drei eine Klavier-Aversion entwickelt. Man bekommt bei vielen Songs einfach nicht den Eindruck, dass der Track genauso klingen muss, dass die jeweilige Umsetzung genau die Richtige ist. Keane scheinen eine Menge experimentiert zu haben und beweisen nun den Mut, einiges davon auf ihre Platte zu packen. Das gereicht den Songs nicht immer zum Vorteil.
Bei weitem nicht so prägnant sind die Melodien, sie bewegen sich meist wellenförmig und ziellos durch die Musik - oder kommt "Nothing In My Way" irgendwo an? Ist "Leaving So Soon?" nicht ein wenig zu breit, zu sehr auf eine mögliche Stadiontour ausgerichtet? Klar, es ist ein netter Popsong, aber berührt er mit seinem opulenten Klang den Hörer? Mit diesem Sound, der Chaplin kaum Platz zum Atmen lässt, obwohl seine Stimme doch eigentlich viel Platz braucht, um zu wirken?
"A Bad Dream" rauscht vollends beliebig durch den Raum. Sphärische Klänge mit elektronischem Knister-Störfeuer bestimmen die erste Strophe, bevor auch hier Synthesizer-Streicher alles verkleben. Beim Opener "Atlantic" allerdings geht die Rechnung auf: Schon im fließenden schier endlos ausfransenden Intro verlieren sich die Gedanken. Lange Zeit plätschert dieses Thema vor sich hin, Chaplins Stimme kommt hinzu, bis nach etwas mehr als zweieinhalb Minuten eine Passage mit engelsgleichem Gesang das Ende einleitet, für das sich der ganze Song lohnt, auf das er hinarbeitet und an dem er tatsächlich ankommt. Tom, Tim und Richard haben doch das Album "Self Help Serenade" von Marjorie Fair im Tourbus gehört oder?
"Under The Iron Sea" bleibt dagegen völlig instrumental und erinnert zeitweise an eine gezähmte Version von John Frusciantes "-00Ghost27". Aber wo bleiben diese Keane-typischen Gänsehautballaden? Man muss schon ein wenig suchen, aber sowohl der "Hamburg Song" als auch "Try Again" transportieren wieder diese besondere Mixtur aus Sehnsucht, Verlorenheit, Erhabenheit und Stolz. Keane Fans werden diese Stücke entweder von den Konzerten oder von der kürzlich erschienenen DVD "Strangers" kennen.
"Under The Iron Sea" ist kein durchweg gutes Album. Es bezeugt den Versuch einer Band, sich neu zu erfinden. Keane sind auf der Suche nach einer neuen musikalischen Heimat und haben sie noch nicht entdeckt. Nehmen wir dieses Album als eine Art Zwischenstation auf dem Weg dorthin. Geduld, da kommt noch was. Bis dahin bleibt "Hopes And Fears" definitiv die Messlatte.
6 Kommentare, davon 5 auf Unterseiten
"a bad dream" ist doch großartig...!