Kommissar 00 Schneider ermittelt wieder. In seinem jüngsten Fall begegnet er der Mensch-Maschine, und sie läuft ... mit Zitronengenever? Alles klar!
Mülheim an der Ruhr (dani) - Mit den Büchern von Helge Schneider verhält es sich wie mit seinen Konzerten: Man weiß vorher nie, was man kriegt. Ausgefuchsten Jazz oder Klamauk, Kunst oder die totale Bocklosigkeit? Der Mann ist eine Wundertüte, man sollte jederzeit auf alles gefasst sein. Da er seine Roman- und Filmfigur Kommissar 00 Schneider inzwischen nicht zum ersten, sondern bereits zum siebten Mal zum Ermitteln losschickt, überrascht allerdings nicht mehr ganz so heftig, dass sich "Stepptanz" (Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, gebunden, 22 Euro) tatsächlich als Krimi entpuppt, wenn auch als einer mit Schlagseite.
Wir starten klassisch mit einem Mord, die Leiche weist allerdings einige Merkwürdigkeiten auf: Der zu Rate gezogene Gerichtsmediziner "befand, dass es sich bei der Figur um Teile einer Schaufensterpuppe, um menschliches Gewebe, fast ganze Körperteile darunter, Elektronik und auch Gehacktes, handelsübliche Ware, handelte". Eine Mensch-Maschine, sozusagen, und es soll - Spoileralarm! - nicht die einzige bleiben, die durch diesen Roman stakst. Wer der (zwangsläufig) mordende Konstrukteur dieser Hybridwesen ist, steht für Leser*innenschaft wie für den zerknautschten Ermittler relativ schnell fest. Es geht also weniger um die Aufklärung des Verbrechens, als ... ja, worum eigentlich?
Wege aus der Isolation
Das schmale Bändchen birgt vielleicht nicht die stringenteste Kriminalgeschichte, fächert dafür aber eine ganze Menge anderer Themen auf. Vordergründig geht es salopp um Mord und Totschlag, dahinter lauern aber elendiglich einsame, verschrobene Charaktere, die mit verschiedensten Mitteln versuchen, ihre Isolation zu durchbrechen. Manche lernen stepptanzen, andere packen einen Lottogewinn in den Karokoffer, um einer lieblosen Ehe zu entfliehen. Manche wollen einfach nur einen Historienfilm drehen, Arbeitstitel: "Der Bulle von Nazareth". Die einen hauen ab ins Sehnsuchtsland der Deutschen, nach Bella Italia, der nächste lötet sich Gesellschaft aus Altplastik, Kondensatoren und Hack zusammen. Was man eben so tut, wenn man sich alleine fühlt.
Was macht einen Menschen aus?
Dass die Likör-betriebenen Kunst-Wesen nicht ewig artig in ihrer Garage warten, bis ihre Anwesenheit gerade genehm ist, war eigentlich von vorneherein klar. Trotzdem einigermaßen abstrus, wie die (aus guten Gründen) doch etwas weltfremden Gestalten einen Transporter kapern und nach Paris ausbüchsen, nur um dort prompt mit geltenden Verkehrsregeln zu kollidieren.
Man kann das alles amüsant finden und als lockere Nebenbei-Lektüre konsumieren, das geht problemlos. Man kann "Stepptanz" aber durchaus auch als philosophische Fragestellung lesen, die in Zeiten, in denen KI in aller Munde ist, an Brisanz zulegt: Was macht Leben, was einen Menschen aus? Haben wir es hier wirklich noch mit Maschinen zu tun, oder schon mit Persönlichkeiten? Sprechen wir von Sachbeschädigung, wenn wir so ein Ding mit der Axt zerlegen, oder - auch hier - von Mord?
Von der Realität eingeholt
Wie ernst es Helge Schneider mit alledem meint, lässt er natürlich scheunentorweit offen. Entsprechende Gedanken hat er sich aber offenbar durchaus gemacht, schreibt er doch im Epilog:
"Als ich 2018 mit den Arbeiten zu diesem Buch begonnen habe, hatte ich nicht die geringste Ahnung, was wirklich heute, nach fünf Jahren, in unserer Welt los sein würde. Ich muss sagen, die Realität hat in großer Eile meine absurden Ideen bezüglich dieses Buches plötzlich eingeholt. Ich hätte nie gedacht, dass meine schmutzigen Schriftstellergedanken eines Tages Wirklichkeit werden könnten."
Ganz so weit, dass hackgefüllte Schaufensterpuppen draußen herumlaufen und uns die Autos klauen, sind wir zwar noch nicht. (Sind wir doch nicht ... oder?) Es kann jedoch keinesfalls schaden, rechtzeitig die Zitronengenever-Vorräte aufzustocken. Wohlsein!
Kaufen?
Nur zu! Allein schon die Illustrationen aus der Feder des Autors sind den Kaufpreis wert.
Helge Schneider - "Stepptanz"*
Wenn du über diesen Link etwas bei amazon.de bestellst, unterstützt du laut.de mit ein paar Cent. Dankeschön!
4 Kommentare mit 2 Antworten
"Zieh dich aus du alte Hippe" ist bis heute die beste Klolektüre aller Zeiten. Allerdings waren fast alle Bücher danach eher so meeeh...
Also ich fand die Biografie von Helga Maria, "Eiersalat - eine Frau geht seinen Weg", doch auch sehr gelungen.
Also da kamen doch noch ein paar ganz gelungene Werke, z.B. "Das scharlachrote Kampfhuhn" oder "Der Scheich mit der Hundehaarallergie".
Word. Hatte die ersten 4 Romane in nem Sammelband, und bis auf einen von denen fand ich alle gleichwertig liebenswert ♥
"Vögel zwitscherten sich ihren Frost von den Federn, ein Wiesel verkroch sich im Unterholz."
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.