laut.de-Kritik

Von einem, der alles sein kann.

Review von

"Ich bin der letzte Torero / Aus einer anderen Zeit", lautet die erste Textzeile auf Helge Schneiders neuem Album. Könnte da am Ende gar was dran sein? Erhitzte der Musiker und Entertainer doch jüngst die Gemüter im TV mit harsch formulierten Worten bezüglich eines gesellschaftlich heiß umkämpften Themas: "Wenn ich Musik fühle, und jemand anderes sagt, aber das ist kulturelle Aneignung, das interessiert mich einen Scheißdreck", ließ er Maischberger am Ende eines kurzen Vortrags über das Wesen von Musik wissen. Der lustige Helge, ein alter weißer Mann?

Auf alle Fälle steht er bei dieser Frage sozusagen per definitionem mitten im Sturm: Er verehrt, erstens, den Jazz und wendet sich, zweitens, auf der neuen Platte auch noch der Latinmusik zu. "Torero" entstand in Koop mit seinem langjährigen Gitarristen Sandro Giampietro, für die restliche Instrumentierung zeichnet Schneider persönlich verantwortlich.

"The Last Torero" steigt mit luftiger Atmosphäre ein: Klavier, Rassel, Bass, Trompete, Akustikgitarre, mal kurz ein Cello und als Kontrast noch ein wildes E-Gitarrensolo. Der Text ist gleichsam ein 'typischer Schneider', wirkt improvisiert und enthält scheinbar wahllos gereimte Passagen, die am Ende dann doch wieder irgendwie in den thematischen Kontext passen.

Bei "American Bypass" weht eine sanfte Strandbrise um die Nase, wenn Helge zum legeren Latinjazz/Bossa Nova-infizierten Vibe ansetzt. Wer der deutschen Sprache mächtig ist, dem könnten die entspannten Gesichtszüge allerdings schnell wieder entgleiten, wird man der speziellen Romantik des Textes gewahr: "Ich war allein / Ich war allein und ging alleine am Strand spazieren / Da sah ich dich / Du sahst schön aus / Ich verliebte mich ... ad hoc / Du schautest mich an / Ich wollte zeigen, was ich kann / Ich zog mich aus / Dann sprang ich in das wilde Meer / Es war sehr kalt / Du schautest weg".

Ähnlich laid back, aber bedeutungsschwanger mäandert der Italo-Western "Horses" dahin, Trompete, Saxofon und etwas Perkussion, die einen gemächlichen Pferdegalopp imitiert, dominieren das Instrumental. "The Wizard" fällt im Anschluss vergleichsweise aus dem Rahmen: Eine esoterisch anmutende Klavier/Akustikgitarren-Studie, in die einer der berühmt-berüchtigten Schneider-Sketche gnadenlos hineingrätscht (Thema: 'Ich muss groß, aber das Klo ist besetzt').

Danach biegt die Platte in Richtung New Orleans-Jazz/Dixie ab: Das amüsante "The Guilty Doctor" ("Fühlst du dich krank / Nicht richtig schlank / Oder aber auch zu schmal / Dann gibt es einen, der schuld daran hat / Der Arzt, der Arzt!" Mit ähnlichem Humor gesegnet ist das unbeschwerte "The Eater", das mit aufdringlichem Schlagzeug im selben Groove bleibt.

Den Höhepunkt des textlichen Ulks erreicht die Platte beim überlangen "L.O.T.C" (für "Love On The Couch"): "Wir haben es uns gemütlich gemacht / Ich hab' die Erdnussflips durchgezählt" oder "Es riecht gut nach Würstchen unter der Decke / Das war ich!"). Mit dem langsamen Back beat-Saxofonjazz "She's Gone" schließt das Album.

Helge Schneider hat die ungeliebte Corona-Pause definitiv überwunden und zeigt sich 2023 gut in Form. Aber ist der 67-Jährige nun tatsächlich ein sturer, alter Bock? Nach Maischbergers süffisanter Anmerkung - "Das wäre ja auch eine Art von kultureller Aneignung, sie sind kein Spanier, sie sind kein Torero" - ist er um einen Konter jedenfalls nicht verlegen: "Ich könnte aber Spanier sein, denn wenn das Christentum sagt, von Adam und Eva stammen alle Menschen ab, dann bin ich alles."

Trackliste

  1. 1. The Last Torero
  2. 2. American Bypass
  3. 3. Horses
  4. 4. The Wizard
  5. 5. The Guilty Doctor
  6. 6. The Eater
  7. 7. L.O.T.C.
  8. 8. She's Gone

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