Die lateinamerikanische Anna von Hausswolff? Eine Cellistin aus Guatemala feuert Drone und Metal durch den beeindruckenden Saal.

Berlin (ynk) - Manchmal bekommt man Nachrichten, die man bekommen möchte. Wenn man aufs Handy guckt, will man nicht von "Erika ist krank, kannst du morgen einspringen" oder "Wenn Sie nicht bald ihre Steuern zahlen, setzen wir die Polizei auf Sie an" lesen, sondern: "Hey, diese Cellistin aus Guatemala, mit der ich die letzten Wochen obsessed war, kommt irgendwie nächste Woche nach Deutschland, wollen wir uns die anschauen?"

Nicht, dass ich an diesem Punkt irgendeine Ahnung gehabt hätte, wer das ist, aber der Pitch war durchaus solide. Ich habe zwar einmal in der Bahn ihr aktuelles Album "Sentir Que No Sabes" durchgehört, aber das hat meine Verwirrung nur so sehr legen können. Ein bisschen bestätigt das Tape, was auch ihr Wikipedia-Eintrag verspricht: Die Frau lässt sich mal so überhaupt nicht auf ein Genre festlegen. Doch egal ob geschmackvoller Art Pop, noisige Ambient-Wälle oder Heavy-Anklänge, die fast schon in den Doom ragen - das klang schon durchweg krass.

Feuer im Krematorium

Nächster großer Pluspunkt: Der Gig steigt an einem Montagabend im Silent Green Berlin, und das ist eine der coolsten Locations dieser Stadt. Gut, es ist auch ein bisschen Etepetete und schick (generell eigentlich Red Flag, wenn man bei der Verpflegung kleine Quiche-Törtchen kaufen kann), aber verdammt, ist das Gebäude im Turm des ehemaligen Weddinger Krematoriums majestätisch. Die Lichtanlagen werfen meterhohe Schatten in die Innenwände des Turmes, der Mosaikboden bildet Schlangen ab, der Sound ist eine Wucht.

Da sollte man auch meinen, dass es selbst für Opener eigentlich kein großes Ding sein sollte, zu beeindrucken. Military Genius nennt sich das Vierergespann mit je einem Mann an Bass, Drums, Gitarre/Mundharmonika und Saxophon/Keyboards. Das fängt angenehm trippy-jazzig an, gerade die Soundwälle gehen schön in der halligen Location auf. Über die wuchtigen fünfzig Minuten Spielzeit verrennen sich die Jungs dann aber immer mehr in Musikschul-kompetenten Nettigkeiten, die man in einer Playlist sicher nicht skippen würde, die aber trotz allen Handwerks glatt und gefällig nebenher fließen.

Die lateinamerikanische Anna von Hausswolff?

Umso mehr Bock, dass der Main-Act des Abends ein kleines bisschen mehr aufdreht. Und der erste Eindruck allein macht ja schon etwas her. Zunächst möchte man beim Trio aus E-Cello, Gitarre und Drums denken: Oho, guck an, die drei Kids von der UDK kommen jetzt mit ihren Pullöverchen und Cardigans und werden ein bisschen ECM-Jazz spielen, lehnen wir uns ein bisschen zurück. Und dann dreht Frau Fratti das Cello auf Overdrive und entlockt diesem Gerät Töne, die klingen wie eine Nine Inch Nails-Bassline.

Wir lernen: Das hier ist absolut kein Easy Listening. Die Energie, die Aufgedrehtheit und die fast schon fatalistische Dichte des Trios füllt den Laden bis zum Anschlag. Zwischenzeitlich dröhnen Passagen aus Ambient und Drone, die in ihrer azurblauen Himmelwärtigkeit mich zumindest an dieses Kollabo-Projekt von Brian Eno und Robert Fripp erinnern ("No Pussyfooting", absolute Empfehlung). Die Vocals sind schwer und melancholisch, die Instrumentierung vielseitig, ohne Kohärenz zu opfern.

Auf den letzten Metern schlägt ein Cello-Solo in ein Drone-Metal-Stück um, das so übertrieben hart rasiert, dass es fast wundert, wie die Berliner Kunst-Kid-Crowd sich dazu so kein bisschen bewegen kann. Shame on me too, ich hab mich auch nicht getraut. Es war eben auch Musik, zu der es gar nicht so einfach zu ermitteln ist, wie man damit interagieren möchte. Aber die vom Chamber Pop in variierende Grade der Heaviness aufpeitschenden Songs mit den geisterhaften Vocals erinnern mich mehr als alles andere an einen unerwarteten Ort: Anna von Hausswolff könnte die skandinavische Schwester dieser Crew sein. Zumindest bedient sie für mich eine sehr ähnliche, gothische Schönheit, die in dieser umwerfenden Location definitiv aufs Vollste zum Tragen gekommen ist. Wer also seine Freundinnen und Freunde mit einem Out-of-pocket-Geheimtipp überraschen möchte: Das hier wäre die Wave!

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