Diente das Mega-Spektakel am Wochenende vor allem der Eitelkeit der Beteiligten? Oder war es der Beginn einer neuen Bewegung?
London (joga) - Zwei Millionen Menschen besuchten am Samstag die Live 8-Konzerte, die Übertragungen dominierten weltweit die TV-Programme, so gut wie alle relevanten Nachrichtensendungen behandelten das weltweite Konzert als Top-Thema. Und nun? Was bleibt, nachdem die Euphorie, die am Wochenende fast jeden Musikfan erfasste, verflogen ist? Steigende Plattenverkäufe der beteiligten Musiker und ein DVD-Mitschnitt des Events "noch vor Weihnachten", wie Major-Label EMI unlängst frohlockte? Oder war Live 8 tatsächlich der "Beginn einer Kampagne, die mit dem Gipfeltreffen der acht größten Industrienationen keineswegs beendet ist", wie Gerry Barr, der Vizepräsident der Make Poverty History-Kampagne und Mit-Organistor des kanadischen Live 8-Ablegers versprach?
Skeptiker konnten tatsächlich auch im Ablauf der Show Hinweise darauf finden, dass Live 8 vor allem der Eitelkeit der Beteiligten dient. Etwa als Madonna den Arm von Birhan Woldu in die Höhe riss. Die 24-jährige Studentin aus Äthiopien wäre laut Geldof ohne die Live Aid-Veranstaltung von 1984 verhungert. Doch die Geste von Madonna wirkte auf die Kritiker des Independent wie die "Siegesgeste eines Preisboxers: Es ging nicht um die Überlebende, es ging um Madonna."
Auch die zentralen Forderungen der Organisatoren - Schulden-Erlass, mehr Entwicklungshilfe, Abbau der Handelsschranken - wurden am Wochenende hart kritisiert. Und das nicht nur von notorischen Nörglern. Die Live 8-Konzerte seien "Zeitverschwendung", urteilte mit dem Nigerianer Femi Kuti einer der engagiertesten und renommiertesten Musiker Afrikas in der taz: "Afrika hat viele alte Führer, die ihre Ämter nicht aufgeben wollen. Sie haben unsere Schulden durch Korruption und Diebstahl in Milliardenhöhe getrieben. Und jetzt wollen sie mehr."
Im Heimatland Kutis bahnt sich seit Monaten eine verheerende Hungerkatastrophe an, von der die Weltöffentlichkeit kaum Notiz nimmt. Ein Hilfsappell der UN vor zehn Tagen verhallte nahezu ungehört. Für Kritiker des glanzvollen Events am Wochenende ein weiterer Beweis, dass Live 8 Afrika als zwar abhängigen, aber sehr entfernten Verwandten behandelt, dem man zwar hilft, von dessen Lebensumständen man aber lieber gar nichts wissen möchte.
Auf der anderen Seite mögen Schulden-Erlass, mehr Entwicklungshilfe und Abbau der Handelsschranken für sich genommen zwar nicht hinreichend sein. Doch wären sie allemal wichtige Bausteine in einer neuen Afrika-Politik, und gerade letztere Forderung zeigt sogar einen gewissen Mut, stößt sie doch mitten in die unheilige Allianz von Globalisierungsgegnern und Wirtschafts-Protektionisten.
Wer handelt, setzt sich eben der Kritik aus. Man kann den Ethnozentrismus Geldofs kritisieren und den Personenkult um ihn verabscheuen, doch es bleibt sein Verdienst, dass Hilfe für Afrika wieder ein Thema ist und dass das Für und Wieder solcher Hilfsaktionen heute tausendfach in Feuilleton und Webforen diskutiert wird. Oder um mit Tom Morello zu sprechen: Warum soll man "Bob Geldof dafür kritisieren, dass nicht genug afrikanische Musiker auftreten, anstatt George Bush dafür zu kritisieren, dass Millionen Menschen aufgrund der Armut in der Welt sterben."
Morello nennt Live 8 "eine unglaubliche Leistung von Geldof und eine großartige Gelegenheit, eine demokratische Antwort zu geben auf die heimlichtuerische Art und Weise, mit der die G8 ihren Geschäften nachgeht." Bei so viel Blauäugigkeit muss man nicht mitgehen, die Politik wird wohl so verlogen bleiben wie die deutsche Bundesentwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul, die anlässlich des Berliner Live 8-Konzertes Armut eine "Massenvernichtungswaffe" nannte, während ihre deutschen Kabinettskollegen zugleich als schärfste Gegner einer Erhöhung der Entwicklungshilfe ins schottische Edinburgh fahren.
Angesichts der Forderung, Armut endlich Geschichte werden zu lassen, dürften alle Ergebnisse des G8 Gipfels - wenn es denn welche gibt - enttäuschend wirken. Und doch ist es gerade das Beeindruckende an der "Make Poverty History"-Kampagne, die auch hinter dem Mega-Event Live 8 steht, dass sie sich mit weniger nicht zufrieden gibt. Vielleicht gelingt es Geldof ja, das Thema Afrika auf der Tagesordnung zu halten, den Schwung der Euphorie vom Wochenende mit langem Atem in geordnete Bahnen zu lenken, ohne dabei zum Gutmenschenkasper à la Bono zu verkommen.
Das wäre dann tatsächlich eine unglaubliche Leistung, an der wir alle teilnehmen können. "Wir wollen nicht dein Geld, wir wollen dich!", hatte Geldof anlässlich seines Besuches in Berlin als Slogan ausgegeben. Denn eigentlich geht es ja gar nicht um die Auswahl der Stars oder ihr Gehabe auf der Bühne. Sondern um dich. Ja genau: DICH!
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