16 Tage Ausnahmezustand in der Schweiz. Classic Rock trifft Elektro trifft Jazz. Neben Patti Smith und PJ Harvey eine weitere Doppelspitze: Mogwai und Sigur Rós.
Montreux (kluk) - "We all came out to Montreux, on the Lake Geneva shoreline": Ein Song, ein Riff, eine Textzeile, für die das Städtchen am Genfer See ohnehin in die Musikgeschichte eingegangen wäre. Doch in Wirklichkeit war es der von Deep Purple ebenfalls im Text zu "Smoke On The Water" erwähnte "Funky Claude" Nobs, der die kleine schweizerische Gemeinde endgültig zur renommierten Pilgerstätte werden ließ. Heute ist das 1967 gegründete Montreux Jazz Festival in erster Linie als Schauplatz zahlreicher legendärer Konzertmitschnitte von Miles Davis, B.B. King, Gary Moore, Rory Gallagher und vielen weiteren bekannt.
Legenden treffen auf Nachwuchs
Zum 50. Jubiläum stellt das Montreux Jazz Festival sein Booking-Geschick abermals mit einer Melange aus unsterblichen Musiklegenden und jüngeren, moderneren Bands unter Beweis. So nehmen vom 1. bis zum 16. Juli nicht nur Herbie Hancock, ZZ Top, Patti Smith und Neil Young Kurs auf den Genfer See, auch Anohni, Muse, A$AP Ferg und Lana Del Rey legen mit ihren Schlauchbooten an. Zur einmaligen Post-Rock-Dopplung kommt es hingegen am Dienstag, den 5. Juli im Hauptsaal des Auditorium Stravinski.
Von Hiroshima nach Tschernobyl
Mogwai eröffnen den Abend mit einer ihrer rar gesäten Soundtrack-Shows. Obwohl Gitarrist John Cummings im vergangenen Jahr seinen Abschied verkündete und Kollege Stuart Braithwaite gerade sein Stelldichein mit der Supergroup Minor Victories gibt, haben die Schotten Zeit und Muße, live die BBC-Dokumentation "Atomic – Living In Dread And Promise" zu untermalen.
Visuell geht es von Hiroshima nach Tschernobyl und Fukushima, Archivszenen zeigen ängstliche, gepeinigte Menschen, die ihr Leben zur Zeit des Kalten Kriegs in ständiger Gegenwart von Atomwaffen verbringen. Die Band selbst bleibt dabei ganz im Schatten, dröhnt und scheppert und pulsiert im Takt zu den hektisch flirrenden Bildern, die live den (auf Platte nur bedingt wahrnehmbaren) kritischen Tenor zum Ausdruck bringen. Der Wandel zur Synthesizer-getriebenen Formation ist allgegenwärtig. Angesichts der abschließenden Crescendo-Trommelfellstrapaze "Fat Man" trauern die Zuschauer hier keinem einzigen ausbleibenden Hit aus früheren Zeiten nach.
Ein Blick nach draußen zeigt die heile Welt. Die Festivalkultur floriert, entlang der Seepromenade tummeln sich Tausende Musikfans, vom Bürohengst bis zum Althippie ist jeder Typus vertreten. Am Wegesrand machen sich gleichermaßen Straßenmusiker, Perlenhändler und Kartenleger breit. Hier ist eben tatsächlich jeder willkommen.
Isländische Luxuspanoramen bei Sigur Rós
Wenn Sigur Rós im Anschluss Luxuspanoramen aus der isländischen Natur aufflackern lassen, klappt zunächst natürlich wieder einmal mancher Unterkiefer runter. Wobei ein Blick über den See natürlich über das kurz aufkommende Fernweh hinwegtrösten sollte. Sehnsüchte lauern heute Abend aber trotzdem an jeder Ecke, nämlich in jeder Note der verträumten Isländer. Zum Trio geschrumpft, aber musikalisch keineswegs komprimiert, präsentiert der Dreier ein Set, das den Fokus überraschend auf die beiden frühen Werke "Ágætis byrjun" und "( )" legt und dennoch Raum für kleinere Updates lässt. Auf Backing Tracks verlassen sich Sigur Rós hier nur geringfügig. Wozu auch, entfesseln sie das gewohnt infernalische Finale "Popplagið" auch mit nur drei Instrumenten.
Wahrlich schwer zu glauben fällt es gegen Ende eines ruhmreichen Abends, dass Patti Smith und PJ Harvey schon morgen auf ebendiesen Brettern ihr Jubiläumsständchen singen werden, Tür an Tür mit grölenden, Bierdosen schwenkenden Slayer-Fans, während vor der Tür Straßenmusiker Passanten mit Gipsy Swing um sich scharen. Aber darin liegt wohl die Magie dieser einzigartigen Veranstaltung: Es gibt immer etwas zu entdecken.
2 Kommentare
Montreux hat wirklich was magisches. Bei schönem Wetter gibt es fast keinen schöneren Ort für ein Festival. Einige der besten Konzerte die ich besuchte waren in Montreux. Die Diversität ist wohl weltweit einmalig. Run DMC, Leftfield, Afrika Bambaataa, Roni Size, Motörhead, Kraftwerk, Living Colour, Chemical Brothers, George Clinton, Mouse On Mars, Prince und Kraftwerk habe ich über die Jahre dort genossen. Wo sonst kann man Clubkonzerte von Acts erleben die normalerweise nur noch in den grössten Stadien und Hallen spielen. Und immer mit perfekter Soundtechnik. Dann die Gratis Konzerte auf den Bühnen am See. Anschliessend die legendären Clubnächte - die auch immer noch gratis sind - mit den grössten Namen im Techno jeden Abend. Und immer auch eine Blume für Freddie hinterlassen. Montreux muss man als Musikliebhaber unbedingt mal erlebt haben. Ich werde immer wieder gern zurückkommen.
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