200 Bands, drei Tage: Wo soll man bloß hin, wenn überall das nächste große Ding spielen könnte?

Hamburg (adm) - Es erschlägt einen: 200 Namen stehen auf dem Timetable des Reeperbahn Festivals 2011, die großen Acts fehlen. Und genau darin liegt der Reiz des einzigartigen Clubfestivals: Intime Konzerte von Künstlern, die es erst noch zu entdecken gilt. Big Shots braucht es nicht, denn hier spielen die Bands von morgen oder übermorgen.

Wer wissen will, wo der nächste Hype gerade seine Wurzeln schlägt, sollte sich aber vorab besser durch die Bandliste googeln. Hinzu kommt die riesige Auswahl an ungewöhnlichen Locations: Gigs in Stripclubs, Bankfilialen oder auf Elb-Barkassen - wo sonst sieht man das?

Fotogalerie Reeperbahn Festival

Das Festival lockt nicht nur die Hipster auf den Kiez, auch Branchenvertreter aus aller Welt diskutieren auf dem Spielbudenplatz an der sündigen Meile über den heißen Scheiß, während gleich nebenan die Prostituierten um Kundschaft buhlen. Das Reeperbahn Festival, so stellten einige Medien bereits fest, habe der Popkomm in Sachen Innovation längst den Rang abgelaufen.

Eigentlich spielt es kein Rolle, wo man hingeht, solange man es nur tut. Am Donnerstag gehörte der Abend den Skandinaviern: Erst schmierten die vier blutjungen Finninnen von Pintandwefall ihren dreckigen Punk an die Wände der Filiale der Hamburger Sparkasse. Eine erfrischende Show. Die Newcomer waren kaum alt genug, um selber ein Konto zu eröffnen. Ungewöhnlich war es auch, in einer Bank einmal Bier zu leeren statt das eigene Sparkonto.

Die Skandinavier mal wieder

Später überraschte etwa die quirlige Schwedin Miss Li im Docks: Ihr souliger Indiepop sorgte für mächtig Beifall. Sowieso, die Schweden: Friska Viljor haben mittlerweile ihren Stammplatz auf dem Reeperbahn Festival. Deren Mitgröhl-Songs hallten bereits zum vierten Mal durch St. Pauli. Sie widmeten Hamburg mit "Wohlwill" gar eine eigene Ode.

An diesem Abend schlugen sie gleichwohl auch sanftere Töne an, die nur bedingt funktionierten: Fast zu belanglos wirkten diese angesichts der Fülle an traurigen Singer/Songwritern auf dieser Erde. Hits wie "Arpeggio" oder eben "Wohlwill" stehen den trinkfreudigen Schweden deutlich besser.

Standing Ovations

Gemäß dem Motto 'Schlecht ist es nie, aber immer anders' startete der Freitag. Als Highlight des Abends griff Ben Howard in den Fliegenden Bauten dem vollen Saal ans Herz. Der traurige Surferboy aus Cornwall überzeugte mit grandiosem Können an Gitarre und Mikrofon.

"This song was supposed to be happy", entschuldigte er sich zwischendurch mit einem Lächeln. Auf seinem Shirt prangte "For The Love", während die erstaunliche Dynamik der Songs für Zwischenapplaus und Jubelrufe sorgten. Die Hamburger Gäste waren sichtlich begeistert: Zum Schluss gabs Standing Ovations.

Hype aus Down Under?

Im Knust bewiesen Cloud Control aus Australien, dass der Hype auf Platte im Club nur bedingt funktioniert: Die vermeintliche Coolness der Band schien zwar einige junge Szenegirls in der ersten Reihe zu verzaubern - ihre Songs wirkten live jedoch insgesamt etwas zu platt.

Zu später Stunde gaben die Elektropopper von Hundreds dann noch ein Heimspiel in der Großen Freiheit 36. Wie schon beim Dockville-Festival erschien Sängerin Eva Milner im pludrigen Einteiler mit Kapuze über dem Kopf, tänzelte über die Bühne und freute sich schlicht über den Abend. Die sphärische Songs passten auch bestens zur fortgeschrittenen Nacht. Danach war das Musikerherz definitiv erschöpft von all der guten Musik.

So war der Samstag

Die große Freiheit 36 war den kompletten Samstagabend Hand des Hamburger Electrosabels Audiolith (Supershirt, Bratze, Frittenbude - alle waren da). Uns so tanzt man bevorzugt auf Parolen ("Wir müssen ein Kunstwerk zerstören", schrien etwa Supershirt aus Berlin). Wems gefällt.

Nebenan im Grünspan hauchten Dear Reader ihr theatralisches Liedgut in die Menge. "They say there is no hope", prangte auf den Keyboards. Begleitet von Akkordeon und Geige machten die nach Berlin übergesiedelten Südafrikaner trotzdem auf sympathische Art Hoffnung - und sorgten für einen guten Konzertabend.

Diesen Wunsch erfüllten anschließend auch The Duke Spiritt: Sängerin Liela Moss gab mit wirbelndem Haar die blonde Rampensau in schwarzen Lederleggins. Die breiten Gitarrenwände der Londoner Garagenrocker ermüdeten zwar auf Dauer etwas, Moss' Bühnenpräsenz half darüber hingegen aber locker hinweg. Eine Augenweide.

Pathos in der Prinzenbar, Schweiß im Silber

In den mit Engelsfiguren verzierten Katakomben der Prinzenbar fanden die Schweizer von My Heart Belongs To Cecilia Winter den perfekten Ort für ihre mit Pathos geschwängerten Songs. Mit Glitzer-Make-Up und Federn verziert machte Sänger Thom Luz den Paradiesvogel, während Bassistin Betty Fischer die Entrückte gab. Ein Genuss.

Als die Reeperbahn nach Mitternacht lärmte und schrie, schwitzten dort, wo das Licht der Neonröhren nicht mehr hinreicht, die Leiber. Im Silber, in einer dunklen Seitengasse der Meile, hauten Solange La Frange aus der Westsschweiz auf den Putz: Der dreckige Electropunk prallte derbe auf die Ohren, die Mikros flogen durch die Luft, die Bässe krachten, während Sängerin Julie Hugo ihren prallen, tattooverzierten Körper über die Bühne schmiss. So muss ein Festival enden.

Fotos

Hundreds

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