laut.de-Kritik
Ein Club-Mix und ein Songwriter-Album gleichzeitig.
Review von Yannik Gölz"Tonight" von PinkPantheress ist jetzt schon Anwärter auf einen der besten Songs des Jahres. Nicht, weil er irgendetwas Revolutionäres oder Bedeutungsschwangeres tun würde. Es ist einfach nur ein tektonischer Bop, der es geradezu unmöglich macht, sich nicht dazu zu bewegen.
Die Formel von PinkPantheress ist so einfach, dass es fast gemein ist: Sie ist eine Produzentin, die mit der Crème de la Crème der britischen elektronischen Musik aufgewachsen ist. Jetzt baut sie aus alten Club- und Garage-Klassikern diese skizzenhaften Tracks, die sie als Grundlage für Songs nimmt, die in stilistisch auch in den Bedroom Pop gehören könnten. Ihr zweites Mixtape "Fancy That" zeigt: Wir bekommen hier tatsächlich das beste aus beiden Welten. Die Dance-Klassiker sind dieses Mal wirklich nahezu fehlerflei untereinander arrangiert und sie strahlt trotzdem auf jedem Track Charakter und Charisma aus. Sie lässt all das so einfach aussehen, dass es fast wundert, dass es nicht schon viel öfter so gemacht wurde.
Vielleicht mag man sagen, dass ihre Art Sampling es sich doch sehr leicht macht. Fast jeder der neun Tracks hier fußt auf einem alten Club-Track - es wurde auch nicht nach obskurem Material gediggt. "Illegal" flipt "Dark & Long" von Underworld, "Girl Like Me" flipt "Romeo" von Basement Jaxx, auf "Nice To Know You" hören wir sogar Versatzstücke aus einem alten Sugababes-Track.
Trotzdem: Auch wenn die Eingängigkeit dieser Bausteine dementsprechend bewährt ist, muss man ihr doch Kudos für ihre Fähigkeit zum neuen Kontext geben. Allein der Opener "Illegal" zum Beispiel nimmt die sehr edgy Ästhetik von Underworld und kontrastiert ihn mit einem Song über die Aufregung einer frischen Beziehung, die bis zu Scham und Paranoia reichen kann. Wir sprechen hier wirklich von einem düster-wabernden Synthesizer, der klingt, als gehöre er auf den Soundtrack von "Blade" oder so. Der Bassbeat wird ein Herzklopfen, die Vampirsounds werden die Anspannung. Ein sexy Song, ein körperlicher Song, der aber trotzdem sehr gut darin ist, sie als Protagonistin zu skizzieren. Da ist kein Male Gaze in ihren Sex-Tracks, sie fühlen sich alle an wie unverkopfte Tagebucheinträge.
Außerdem: Sampling ist am Ende des Tages eine Sache der Charakterisierung. Welche Samples man pickt, das sagt sehr viel über den Pickenden aus. PinkPantheress beweist über die Albumlänge definitiv Methode und Kohärenz. Das einzige Sample, das nicht aus den britischen Clubs stammt, ist ein absolut irrwitziger Flip des Florida Trap-Klassikers "Who Want Smoke?" von Nardo Wick, das sie auf einen Track übers Alleinsein in einem leeren Haus legt. Auch hier finden wir wieder einen spannenden Kontrast aus Gemütlichkeit und Nervosität, der dann in diesem komplett bescheuerten Sample eine wirklich unerwartete Pointe bekommt.
Ebenso charakteristisch fühlt sich "Stateside" an, das von The Dare produziert wurde, ein New Yorker, der unter anderem auch "Lunch" für Charli XCX und Billie Eilish gemacht hat. Dessen dreckige Bassline wird hier nun aber von schwermütigen Synths kontrastiert. Es geht um Highlife, die transformative Erfahrung, die Welt bereisen zu können, aber gekoppelt an diesen Schnappschuss, dass all der Transport erschöpfend und monoton sein kann. Der Track endet mit einer Referenz auf "American Boy" von Estelle und Kanye West - auch hier collagiert sie sich ihr Seelenleben wieder aus intertextuellen Verweisen zusammen.
Man kann es nicht anders sagen, es ist fast dreist, wie gut sie das macht. "Fancy That" lässt sich durchhören wie ein klassisches, konventionelles, geiles Mixtape. Als hätte es dir jemand in die Hand gedrückt, um dir ein paar UK-Club-Klassiker zu zeigen. Dabei flowt es großartig, hält die Hörer konstant in Atem und bietet keine dröge Minute. Dass PinkPantheress dabei aber trotzdem alle Aspekte von einem guten Songwriter einfach nebenherlaufen lässt, macht sie zur Speerspitze einer neuen Entwicklung der elektronischen Musik. Charli XCX hat es auf "Brat" so ähnlich gemacht, ein paar K-House-Artists wie Yaeji oder Park Hye Jin gelingt es ebenso. Aber es würde mich nicht wundern, wenn gerade auf die absolute Exzellenz und Leichtfüßigkeit von "Fancy That" in den kommenden Jahren eine Menge junge Produzentinnen und Produzenten verweisen.
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