laut.de-Biographie
Sister Sledge
"Die Arbeit mit Nile und Bernard war eine besondere, denn die beiden waren (...) Genies. Das Besondere war, dass wir die Musik erst zu hören bekamen, als es Zeit für die Aufnahme war. Da waren die beiden extrem strikt. Als 16-Jährige dachte ich damals erstmal 'Naja…'", versetzt sich Kathy Sledge im Musikexpress in ihre Pubertät zurück.
Damals lernen die vier Sängerinnen von Sister Sledge anlässlich der Arbeit an ihrem dritten Album ihre beiden neuen Producer kennen. Bernard und Nile bringen gleich noch ein Aufgebot an Background-Sängerinnen mit, schreiben Texte und Musik, spielen Bass- und Lead-Gitarre. Es wirkt im ersten Moment wie eine Übernahme, geplant von der Plattenfirma. Die erste Begegnung verläuft spannungsgeladen.
Kathy und die anderen drei sind tatsächlich Sisters, und sie erinnert sich, "besonders für meine Schwestern, die in den Songs Background gesungen haben, war es nervig. Inzwischen verstehe ich aber voll und ganz, was Nile und Bernard damit bewirken wollten. Sie wollten Spontaneität in ihren Songs! Das war ihre Hit-Formel, und die wollten sie natürlich auch anwenden. (...) Und bei den beiden hat man das Skript eben erst bekommen, wenn es losging."
Komplett los geht es für die Sister Sledge bereits 1971. Die Mädchen haben seit ihrer Kindheit Unterricht im mehrstimmigen Gesang und lassen sich vom Stimmbruch nicht aufhalten. Die jüngste Sledge, Joni, ist gerade mal zwölf, die anderen folgen dicht danach mit der besagten Kathy, damals 13, mit Kim, 14, und der Ältesten, Debbie Sledge, 17.
Debbie beschreibt, wie faszinierend, aber auch selbstverständlich es im Hause Sledge in Philadelphia war, zu musizieren, insbesondere mit der Stimme. "Ich wuchs in einer sehr musikalischen Familie auf, hinzu kam, dass wir alle eine besondere Energie hatten, die einzigartig war. Obwohl wir Tanten, Onkels, Großeltern haben, die alle auftraten - einige professionell -, war das entscheidendste, das die Grundlage der Gruppe bildete, dass wir zum Spaß sangen so Debbie gegenüber Ticketmaster/Discover. Über den Papa gibt es eine Verbindung nach New York, dort ist er Musical-Tänzer am Broadway. "Musik spielte eine so massive Rolle in meiner Familie, und so ist es geblieben."
Am 29. Januar 1975 erscheint, mit einem Durchschnittsalter der Sängerinnen von 17 Jahren, das Debüt "Circle Of Love". Es bringt ihnen Auftritte in der renommierten TV-Sendung "Soul Train" ein und einen ersten kleinen Hit, "Love Don't You Go Through No Changes on Me". Noch sind sie ein rein nationales US-Phänomen.
Das zweite Album wird vom Label Cotillion international ausgerichtet und spannt den Bogen zu Deutschland und der Disco-Schmiede München. Die beiden Köpfe hinter der seichten Retorten-Gruppe Silver Convention schließen sich den Sledge-Teenies als Strippenzieher an: Orchester-Arrangeur und Libretto-Autor Michael Kunze und Soundtrack-Keyboarder Silvester Lecay haben beide einen populärklassischen Hintergrund. Mit Jazzer Sigi Schwab als Lead-Gitarrist auf dem Album holen sie sich noch jemanden aus ihrem Netzwerk dazu. Doch in der Zusammenarbeit hört man wenig vom Togetherness-Feeling, das der Albumtitel "Together" eigentlich erwarten ließe.
Man einigt sich Richtung weisend auf Funk als Zauberwort und maßschneidert die Scheibe für die Dancefloors der damaligen Mode, mit Tracks wie "Funky Family", "Do The Funky Do" und "Moondance". Auch für zwei Stevie Wonder-Coverversionen ist Platz, "As" und "I Was Made To Love Him". Für die spanischsprachigen Märkte übersetzt man "Together" als "Juntas", doch auch dort erregt die LP kein großes Aufsehen.
Obschon das kommerzielle Potenzial unklar scheint, gewöhnen sich die Sledges eine gewisse Arbeits-Routine an. Als sie auf die Kollegen Rodgers und Edwards vom Projekt Chic treffen, sind sie schon fünf Jahre lang im Business tätig. Dass "We Are Family" für ihren Durchbruch sorgen werde, verspricht sich zwar die Label-Mutterfirma Atlantic, aber sie selber ahnen es noch nicht. Viel mehr erwischt es sie kalt, als das Funk-verrückte Autoren-Duo sie mit dem Demo überrollt. So erinnert sich Kim im Interview mit dem Library Of Congress.
"Wir waren stets darauf trainiert, zu einer Aufnahme-Session nach ausgiebigen Proben zu kommen, darauf vorbereitet schnell einzusingen. Perfektion war uns wichtig, wegen der Disziplin und des hohen Qualitäts-Standards, den unsere Großmutter Viola Beatrix Hairston gesetzt hatte, eine Opernsängerin und unsere erste Lehrerin."
Die Aufgabenverteilung: Kathy tritt meistens in den Hits und in Stücken mit Sopran-Abschnitten als First Lady ans Mikrofon, doch in "Lost In Music" singt Joni die Lead, in der Ballade "You're A Friend To Me" Debbie und beim Closer vom '79er-Album, "One More Time", wohl Kim - wenn man den Credits Glauben schenkt. Auf Tour springt ausnahmsweise eine fünfte Schwester, Norma Carol, für die schwangere Debbie ein.
Obwohl die Sisters mit "We Are Family" so richtig abräumen, den Zeitgeist spiegeln wie auch anheizen, ihre unbändige Liebe zur Musik in "Lost In Music" unterbringen, sehr gute Verkaufszahlen erreichen, obwohl die DJs ihre Extended Versions lieben und rotieren, und obwohl letztlich klar ist, dass hier Songs für die Ewigkeit geschaffen wurden und man die LP kaum besser hätte machen können, ziehen Rodgers/Edwards und die Sledges getrennte Wege.
Richtig erfolgreich sind die Chic-Masterminds gleich im Folgejahr mit Diana Ross. Andererseits verblassen Sister Sledge im Hintergrund. "Love Somebody Today" wird durchaus ein schönes Album, jedoch abgesehen vom Titellied ohne Hit-Hooks, jetzt ohne geniale Riffs, ohne visionäre Strahlkraft. Das Produzenten-Hopping geht weiter, und so kommt die Girlgroup für "All American Girls" 1981 mit Narada Michael Walden zusammen, der für alle Kompositionen verantwortlich zeichnet, von denen sich auch wieder das Titelstück durchsetzt.
Narada, heute eher als Teilzeit-Trommler von Journey ein Begriff, stammt aus dem Fusionjazz, ist ein Arbeitskollege von Whitney Houstons Mama Cissy und zu dieser Zeit Drummer und Arrangeur für Aretha Franklin, die sich mehr und mehr vom Soul ab- und der eigentlich abflachenden Disco-Welle zuwendet. Obwohl ihnen große Würfe gelingen, wie das George Michael-Duett "I Knew You Were Waiting For Me" und obwohl Narada dann Whitney Houston sieben Nummer Eins-Hits als Producer verschafft, beißt er sich an Sister Sledge die Zähne aus. Deren ganzes Potenzial vermag selbst er nicht zu entfesseln. Bizarr, dass er bei ihnen mit einem Song floppt, der ein paar Jahre später mit Whitney als Interpretin auf Eins landet.
Konsequenz: 1982 produzieren sich "The Sisters" auf der so betitelten LP lieber selbst. Dieser Schritt vergrößert sie, dank eines Motown-Covers, zum mittelgroßen Punkt auf der Charts-Landkarte. Ihr Label Cotillion hält eisern an ihnen fest. 1983 darf sich dann nochmal ein Funkjazz-versierter Producer ausprobieren, und beim achten Album 1984 geht Nile Rodgers in New York wieder mit an Bord. Im Zuge dessen koppelt das Label keine neue Aufnahme aus dem bevorstehenden Album als Single aus, sondern erklärt das alte "Thinking Of You" von 1979 nachträglich zur Single. Der Clou geht auf, der Song wird ein Hit.
Auf "When The Boys Meet The Girls" mischt wieder Nile als Arrangeur und Producer in den Power Station-Studios mit. Außerdem greift er, im Herzen der Achtziger angelangt, zum polyphonen Synclavier und zu Roland-Synthesizern. Für einen Track verpflichtet er sogar Herbie Hancock an den Keyboards. Dieses Mal, ohne Bernard Edwards, ist die Aufgabenteilung eine gänzlich neue. Nur einen einzigen Track steuert Rodgers als Autor bei, die Hälfte der Songs stammen dagegen von Kathy und Joni Sledge. Für den Flug an die Charts-Spitze sorgt aber eine fachfremde Nummer, die mit Disco und Funk absolut nichts zu tun hat.
Denise Eisenberg Rich, tatsächlich 'rich', Millionärin, Yacht-Besitzerin, langweilt sich, weil ihr Mann nie für sie Zeit hat, ein. Immobilien-Mogul mit einem Strafverfahren am Hals. Aus Langeweile also fängt sie an, Lieder zu schreiben, was ihr später mit Mary J Blige und Anastacia als Interpretinnen noch Grammys einbringen wird. Ihr erster Song heißt "Frankie", handelt von Frank Sinatra und stößt sofort auf Nile Rodgers' Ablehnung.
Allerdings muss er zugeben, dass der poppige Song sogar ihm nicht mehr aus dem Kopf geht, obschon er ihn hasst. Er überredet die Familie Sledge, die Nummer einzusingen, und siehe da: Im Juli 1985 steht sie auf Rang 13 der deutschen Charts, in England thront sie auf der Eins. Zur großen Resonanz mag das Musikvideo erheblich beigetragen haben, das lebendig und ein bisschen absurd ist.
Man soll aufhören, wenn's am schönsten ist, und demzufolge verlässt Kathy Ende der Achtziger die Gruppe, als die inspirierende Oma stirbt. Die Sisters sind nun keine 'Girls' mehr, sondern um die 30, bekommen Nachwuchs, und die Musik, mit der sie berühmt wurden, erlebt in der zweiten Hälfte der 1980er einen Einbruch. Soul, Disco und Co., das alles ist in dieser Zeit nicht angesagt. Außerdem sucht Kathy eine neue Herausforderung. Sie probiert, was nachher jede der vier Sledges je ein Mal durchzieht: Ein Solo-Album aufnehmen!
An ihrem hat Epic Interesse, dank Michael Jackson, Celine Dion und etlichen Riesen-Rock-Acts zu dieser Zeit die reichweitenstärkste Plattenfirma. Sie macht aus Kathy keinen Superstar. Die anderen drei Sisters schwenken zeitgleich 1992 Richtung Eurodance. Das deutsche Dance-Label Zyx nimmt mit ihnen einige Klassiker aus dem Sledge-Katalog neu gemäß modischer Sounds auf. Ein paar wirklich neue Songs stoßen auch hinzu. Dieser Release erscheint nur in Europa.
Nach einigen weiteren Jahren Pause kommt 1998 die CD "African Eyes" in Fan-Kreisen gut an. Das Album spielt sich außerhalb der Clubs ab, und Joni Sledge agiert als Produzentin. 2001 erleben Sister Sledge ein Mini-Revival. Anlässlich des 11. September und der Anschläge auf die Twin Towers ruft Nile als NYC-Promi die 'We Are Family Foundation' ins Leben. Parallel kursiert eine alte Nile Rodgers -Nummer von 1979, "Spacer" (mit der Stimme von Sheila B.) im unglaublich beliebten Remake "Crying At The Discotheque" von Alcazar, und diese beiden Umstände bringen Sister Sledge wieder ins Gespräch. Ein weiteres Spätwerk im Jahr 2003 erfährt jedoch erschreckend wenig Promo, ist heute eine Rarität, gleichzeitig eine Kuriosität: "Style" zeigt, wie Sister Sledge mit Hip Hop experimentieren.
Ende 2008 macht Joni auf MySpace auf ein Album aufmerksam, das eine Zeitlang exklusiv auf ihrer Webseite als Download erhältlich ist. Es enthält, kurz nach Barack Obamas Wahl zum Präsidenten, den Hit-Neuaufguss "We Are Family/Obama". Nach Jonis Tod erinnert leider nur noch ein Zusammenschnitt auf YouTube an dieses einzige Solo-Werk. Kims Einzel-Darbietung widmet sich dem Gospel.
Hit-Autor und Gitarrist Nile Rodgers erholt sich trotz harter Drogen nach einem waghalsigen Lifestyle und Prostata-OP, knapp am Tod vorbei geschrammt, und wird zum gefragten Best-Ager. Statt sich auf seinen Tantiemen auszuruhen, berät er Daft Punk und erscheint einer neuen Generation auf der Bildfläche. Die Digital Natives lernen den Mann, der voller Anekdoten aus der wilden Disco-Welle steckt, 2013 kennen und auch schnell anzuerkennen. Als Kultfigur gibt er zahlreiche lustige Interviews, die etliches über Chaos, Absurditäten und Zufälle im Musikbiz verraten.
Mehrmals legt Rhino Atlantic Best Of-CDs und Playlists mit besonderen Versionen und Remixes auf. Stets sind Chic der Hauptinterpret, doch auf entsprechenden Best Ofs von Chic findet sich nicht selten Material der Gruppen Sheila and B Devotion aus Frankreich, von Blondies Debbie Harry und eben auch von Sister Sledge, aus den "We Are Family"-Sessions. 2018 kündigt Rodgers mehrere Alben als Chic an, von denen allerdings nur eines erscheint. Debbie huldigt derweil erst live (2018) und dann im Studio (2020) der Jazz- und Blues-Ikone Nina Simone.
Ohne Nile Rodgers, aber mit Jonis Sohn David Sledge, Debbies Kindern Thaddeus und Camille, Debbie selbst und einer Freundin der Familie, Miss Tanya Ti-et, schreibt sich die Story der Gruppe Sister Sledge unter dem Namen Sister Sledge ft. Sledgendary fort. Im Interview mit dem Magazin Country & Town House diskutieren die Mitglieder ihre Verantwortung. Laut Debbie habe "Musik geholfen, den Schrei der menschlichen Seele nach außen zu tragen", ein Statement, das angesichts der meist super positiven Sledge-Songs frappiert.
Laut ihrem Sohn Thaddeus stellt Musik "die höchste Form von Freiheit" dar. David Sledge kommt aufs "Lost In Music"-Thema zurück und wünscht sich, "jeden dazu zu kriegen, dass er sich in Musik verliert. Und ich möchte, dass die Leute an sich selbst glauben." - Camille Sledge komponiert selbst und präsentiert ihre Lieder auf einer angenehm gesungenen LoFi-Neo-Soul-EP, deren Wärme einen glatt akustisch umarmt.
Ihr Credo: "Freude ist ein wichtiges Wort, das uns viel bedeutet, weil wir das Gefühl haben, Glück weiter zu reichen, die Emotion wirklich auszudrücken und dem Publikum zu übergeben. Freude ist etwas, das dich jung und am Leben hält. (...) Für uns ist Freude das wichtigste Element davon, Musikerinnen zu sein. Und wenn du nicht genießt, was du tust, wieso machst du es dann überhaupt?"
So viel Enthusiasmus klingt auf jeden Fall danach, als ob der positiv stimulierende Geist der Sister Sledge nach über 50 Jahren noch lange weiter lebt. Im Sommer 2024 touren Sister Sledge ft. Sledgendary durch Großbritannien, für April 2025 steht Holland auf dem Spielplan, zwei neue Songs mit im Gepäck. Die Sledges haben das Motto "We Are Family" also auf jeden Fall wahr gemacht und lassen uns "Lost In Music" schweben.
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