laut.de-Kritik

Filigraner lärmt derzeit niemand.

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Retro-Synthies hüpfen, klingen, als seien sie einem Amiga-Spiel entnommen worden, ehe ein Bogen eine Viola anschlägt, Ollie Judge an den Drums vorprescht und dazu nölt, haucht, nuschelt und mit Kopfstimme singt. Squid heißen uns herzlich willkommen zurück in ihrer schrägen Welt. Der Wahnsinn hat indes Methode. Die Songs auf "Cowards" handeln nämlich vom Bösen. Während jenes thematische Feld beackernde zottelige Schwarzkuttenträger zumeist nebst Endlosriffs Oden an Luzifer ins Mikro grunzen, finden Squid weitaus kreativere Wege, das Böse in Töne zu fassen.

Bereits "Crispy Skin", ein vom dystopischen Roman "Tender Is The Flesh" aus der Feder Agustina Bazterricas inspirierter Song über Kannibalismus, verdeutlicht: Mit ihrem dritten Album gehen die jungen Wilden aus Brighton nicht den Weg anderer Art Rocker, werden nach zwei verquer-schönen LPs keineswegs stromlinienförmiger, im Gegenteil. "Cowards" bietet keine Kost für musikalische Feiglinge. Gleichzeitig zeigt der Opener, dass es Squid weiterhin wie kaum einer anderen Band gelingt, Spannung über fast sechseinhalb Minuten aufrechtzuerhalten, etwa durch einen so unerwarteten wie gewohnt eleganten Bläsereinsatz nach mehr als fünfeinhalb Minuten.

"Blood On The Boulders" beginnt minimalistisch mit einem Keyboardarpeggio. Das trügerisch-schöne Duett zwischen Judge und Gastsängerin Clarissa Connelly kündigt das Unheil an: "That Californian sun on my face / All those drugs they / They fogged her brain" Mit der Vertonung der Morde der Manson Family begeben sich Squid wahrlich auf kein neues popkulturelles Territorium. So gut wurde das Thema allerdings selten umgesetzt. Nach zwei Minuten kippt der Song, die Band klampft, fiedelt und schreit sich in einen Rausch, ja, mitten hinein in die Kakophonie. Im Promotext zum Album erklärt Gitarrist Louis Borlase, Ziel sei es gewesen, "simple Ideen" musikalisch umzusetzen. Sehr britischen Humor haben sie auch noch!

In der Albummitte winken die jungen Herren aus Brighton mit dem Zaunpfahl: "Fieldworks" teilen sie in zwei Teile auf, eröffnen den ersten mit an die frühen Genesis gemahnenden Cembaloklängen, den zweiten wiederum mit verfremdeter Percussion, die verdächtig nach dem Ticken einer Uhr auf der dunklen Seite des Mondes klingt. In den Lyrics ist auch noch von einem "crimson crust" die Rede – ein "Zufall" zu viel. All denjenigen, die in Genre-Schubladen denken und glauben, bei betulichen, glattbügelnden Imitatoren wie Neal Morse oder Big Big Train handele es sich um legitime Erben der großen Prog-Bands, haucht Ollie Judge finstere Worte entgegen – zu Recht!

Den überragenden Titeltrack eröffnen Squid mit schaurig-schönen Streichern und Bläsern, ehe ein trauriges Gitarrenriff einsetzt. Kann es ein schöneres musikalisches Kompliment geben, als nach den frühen Godspeed You! Black Emperor zu klingen? Nach dem Intro konterkariert lieblicher Lalala-Backgroundgesang die von Yorgos Lanthimos' Film "Dogtooth" inspirierten, na klar, bösen Lyrics, welche glücklicherweise nicht ganz so plakativ ausfallen wie andere des Albums.

Sicherlich gibt es dankbarere Aufgaben als jene, die Gedankenwelt eines Kannibalen lyrisch nachzuzeichnen. Das ändert aber nichts an der Albernheit von Zeilen aus dem Opener wie "We love their crispy skin / 'Cos it's something that we crave". Auch das mit einem perfekten Celloeinsatz begeisternde "Building 650" hält sich mit Sätzen wie "There's murder sometimes / But he's a real nice guy" leider nicht an das Prinzip "Show, don't tell!". Allerdings federt die enorme, an den jungen Peter Gabriel erinnernde stimmliche Variabilität Judges die partielle unfreiwillige Komik der Texte glücklicherweise bis zu einem gewissen Grad ab.

Einmal mehr erweisen sich Squid als Meister des ständigen Changierens zwischen Harmonie und Disharmonie. Während sich "Cro-Magnon Man" dank groovigem Basslauf und manisch-lieblichem Duett als Quasi-Hit des Albums entpuppt, gelingt es den wilden Virtuosen mit unkonventionellem Einsatz von Streichern und Synthie-Sounds in "Showtime!" famos, die Gedankenwelt Andy Warhols in dessen dekadenten letzten Lebensjahren nachzuzeichnen. Filigraner lärmt derzeit niemand.

Verklingen die Cembaloklänge, die Bläser und die Uhrenticken imitierende Percussion in "Well Met (Fingers Through The Fence)" am Ende des ersten Hördurchgangs, reagiert man möglicherweise erst einmal mit einem Stirnrunzeln. Doch "Cowards" enthüllt mit jedem weiteren Hördurchgang mehr von seiner verqueren Schönheit, stellt sich als bisher rundestes Album der Band heraus. Ollie Judge und Co. sägen am Art-Rock-Thron von The Smile. Wenn sie jetzt noch an ihrer Lyrik feilen, werden zur Inthronisierung nicht nur Streicher und Bläser ertönen, sondern auch Amiga-Synthies.

Trackliste

  1. 1. Crispy Skin
  2. 2. Building 650
  3. 3. Blood On The Boulders
  4. 4. Fieldworks I
  5. 5. Fieldworks II
  6. 6. Cro-Magnon Man
  7. 7. Cowards
  8. 8. Showtime!
  9. 9. Well Met (Fingers Through The Fence)

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