13. März 2025
"Der Weltraum ist gruselig"
Interview geführt von LAUT-RedaktionSteven Wilson spricht über sein neues Album, eine Außenperspektive auf die Menschheit, KI als Lyrik-Lieferant und TikTok als Quelle der Meinungsbildung.
Wenn Steven Wilson zur Audienz lädt, bringen sich traditionell gleich mehrere laut.de-Autoren in Stellung – so auch diesmal. In Kreuzberg plauderten wir mit Wilson über seine neue LP, auf der es nicht nur back to prog geht, sondern auch in kosmische Sphären. Das zweiundvierzigminütige Konzeptalbum "The Overview" setzt sich aus zwei Tracks zusammen. Noch Fragen? Ja. Die erste drängt sich angesichts der Tatsache auf, dass der frühere notorische Barfußgänger Wilson mit Schuhwerk am mit reichlich Obst dekorierten Tisch sitzt.
Dennis: Du trägst Schuhe! Warum tust du das?
Nun ja, ich habe jetzt Probleme mit meinem Fußgewölbe. Mein ganzes Leben lang bin ich barfuß gelaufen, ich habe meinen Füßen übel mitgespielt. Inzwischen muss ich auch auf der Bühne Schuhe tragen. Das ist offenbar die logische Folge davon, dass man sein ganzes Leben lang barfuß lief. Jetzt muss ich Schuhe tragen. Und das wird nun auch so bleiben. Man wird eben älter.
Dennis: Fühlt es sich mit Schuhen anders an auf der Bühne?
Wird es, ja. Ich werde mich daran gewöhnen müssen – leider.
Dennis: Als "To The Bone", ein Album, das du als Pop-Album beschrieben hast, 2017 veröffentlicht wurde, sagtest du in einem Interview mit "FaceCulture" folgendes: "Es gibt immer noch einen Teil von mir, der ein Popstar sein will." Jetzt, im Jahr 2025, kommst du mit einem Konzeptalbum daher, das aus zwei Longtracks besteht – also nicht mit etwas, das die meisten Leute mit Popmusik assoziieren. Ist dieser Teil von dir, der immer ein Popstar sein wollte, inzwischen gestorben?
[schelmisch] Nö.
Ich liebe die Vorstellung, ein Pop-Star zu sein. Als ich ein Kind war, liebte ich Menschen wie David Bowie und Elton John, ABBA liebte ich ebenfalls. Gleichzeitig liebte ich auch intellektuelle, konzeptuelle Rockmusik. Und ich glaube, es ist nur fair zu sagen, dass ich letztgenannte Musik besser umsetze als erstgenannte. Ich habe über die Jahre hinweg Popmusik gemacht, die ich nach wie vor liebe. Aber die Werke, die mir am besten gelingen, sind die langen, konzeptuellen – sicherlich die Musik, die auch meine Fans am meisten genießen.
Und: Seit "To The Bone" erschien, hat sich die Welt, die man gemeinhin "Mainstream-Pop" nennt, dermaßen von allem wegbewegt, was mich interessiert, dass die Vorstellung von Pop, die ich habe, nicht mehr der Vorstellung der meisten Menschen entspricht. Meine Vorstellung von Pop setzten Bowie, Tears For Fears, Talk Talk und Elton John um. Wenn ich aber Künstlerinnen und Künstler zeitgenössischen Pops höre ... Für gewöhnlich gehe ich jeden Freitag zu meiner Privattrainerin. Wie in den meisten Fitnessstudios lässt sie immer das Radio im Hintergrund laufen. Also muss ich mir jede Woche moderne, zeitgenössische Popmusik anhören. Ich höre dort in jeder Stunde ungefähr 30 Songs, weil die meisten nicht länger als zwei Minuten sind. Mit meiner Frau reiße ich immer Witze darüber. Ich sage immer: "Da ist der Sänger. Und da ist die Sängerin." Ich kann keinen Unterschied erkennen. Die hören sich genau gleich ein. Die Sänger klingen alle wie Ed Sheeran und die Sängerinnen wie Ariana Grande oder Dua Lipa. Es ist alles so homogenisiert.
Als ich aufgewachsen bin, war Pop alles von Robert Smith, der für The Cure sang, über Morrissey, der für die Smiths sang, bis zu Prince und Michael Jackson. Alles unverwechselbare Stimmen! Das war alles Pop. Meine Vorstellung von Pop gilt jetzt wohl als avantgardistisch. [lacht] Und das ist sie wahrscheinlich auch. Das ist eine sehr lange Antwort auf deine Frage, ich entschuldige mich schon mal, ihr werdet euch daran gewöhnen müssen. Er [deutet auf Alex Cordas] kennt das schon.
Alex Cordas: Ja, das tue ich.
Heute existiert diese Vorstellung, es gebe "Alternative Music", richtig? Zu meiner Zeit galten The Smiths, Cocteau Twins, Joy Division als alternativ. Heute, im Jahr 2025, glaube ich, dass ich die Alternative bin. Lange, albumorientierte Stücke zu schreiben, die von einem verlangen, sich hinzusetzen und sich mit ihnen vom Anfang bis zum Ende zu beschäftigen: Das ist die wahre Alternative in einer Zeit, in der die meisten Leute sich mit Musik durch fünfzigsekündige TikTok-Clips beschäftigen. Und ich glaube, es gibt noch genug Leute da draußen, die die sogenannte musikalische Alternative wollen – und ich nehme an, ihr drei gehört zu diesen Menschen. Und ich glaube auch, dass es mehr dieser Leute gibt, als die Musikindustrie anerkennt. Der beste Beweis, den ich dafür habe, ist die Anzahl von Leuten, die weiterhin ins Kino geht, sich hinsetzt, vermutlich, ohne ihr Smartphone zu checken, und sich zwei Stunden lang mit einem Film beschäftigt, vom Anfang bis zum Ende. Warum können wir nicht auch mit Musik so verfahren, etwa vierzig Minuten lang? Ich glaube, wir sollten das tun, und ich glaube, es gibt immer noch viele Leute, die das tun und auch zukünftig tun werden. Wir werden sehen.
Alex Klug: Aber findest du nicht auch, dass gerade einige aktuelle weibliche Popmusikerinnen in eine Richtung gehen, in der sie jüngere Leute wieder dazu bringen, komplette Alben zu hören? Nimm doch mal Billie Eilish: Als ihr Debütalbum herauskam, habe ich viele junge Leute gesehen, die es in voller Länge, als komplette Erfahrung gesehen und gehört haben, richtig mit ineinander übergehenden Songs. Das hat mir doch Hoffnung gegeben.
Ich rede hier sehr allgemein, aber ja, du hast Recht. Es gibt immer Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Meine Stieftochter ist ein riesiger Billie Eilish-Fan. Sie kennt alle Deep Cuts, nicht nur "Bad Guy" und das Allerneueste, sondern wirklich alle Songs. Auch Taylor Swift, ihr Album "Folklore", das mag ich sogar selbst. Es gibt immer Ausnahmen. Und die sind in gewisser Weise auch das Pendant zu den Bowies und den Elton Johns dieser Ära, denke ich.
Aber es lässt sich nicht leugnen, dass die Aufmerksamkeitsspanne aus verschiedenen Gründen immer kürzer wird. Und anderer Mainstream-Pop wird immer mehr zu etwas, das – ich wage kaum, es zu sagen – auch eine KI hätte generieren können. Gerade diese Gleichförmigkeit im Gesangsstil. Aber auch die Tatsache, dass man gar keine Musik mehr hört, sondern nur noch Gesang. Man hört Lead-Vocals. Selbst bei Billie und Taylor, so sehr ich sie schätze, wird die Musik komplett vom Lead-Gesang beherrscht. Man hört keine musikalischen Persönlichkeiten mehr heraus.
Ich bin mit Musik aufgewachsen, in der es Instrumentalpassagen gibt, Soli, Intros – wo sind die Intros hin? Es gibt für mich nichts Cooleres als die Kunst, ein tolles Intro zu kreieren. Aber jetzt setzt der Gesang schon in der ersten Sekunde des Songs ein. Warum? Weil die Leute das Interesse verlieren, wenn es ein Intro gibt. Und ich sehe schon, du überlegst dir gerade ein passendes Gegenbeispiel ...
Alex Klug: Nein, nein, natürlich ist nicht alles schwarz-weiß. Aber ich denke trotzdem an das Albumformat als Ganzes. Mir ist bei jüngeren Leuten in meinem Umfeld aufgefallen: Wenn Taylor ein neues Album herausbringt, dann stürzen sie sich gleich auf das Gesamtwerk, aufs ganze Album. Aber bei den Songstrukturen hast du natürlich in den meisten Fällen recht.
Ich denke, das Albumformat hat nach wie vor seine Berechtigung. Es gibt Ausnahmen, zum Beispiel auch im K-Pop: Da geht es sehr darum, Dinge zu kreieren, die Fans besitzen wollen. Das beinhaltet auch die Art und Weise, wie sie ihre Alben verpacken, oft sehr aufwendig. Aber die Musik kreist mittlerweile sehr stark um den Lead-Gesang. Und das finde ich schade, denn ich liebe Instrumentalmusik. Von der gibt es ja auch viel auf meinem Album zu hören.
Alex Cordas: Genau, deswegen sind wir ja hier: "The Overview". Das Thema dieses Albums ist in vielerlei Hinsicht der Weltraum. Da habe ich mich gefragt, wie sehr oder wie tief du in Astrophysik und solche Dinge eingetaucht bist, bevor du die Songs geschrieben hast?
Nun, nicht sonderlich tief. Und ich sage dir, warum: Erstens, weil ich ein Idiot bin, und zweitens, weil ich kein Wissenschaftler bin. Aber vor allem, weil ich eigentlich mehr an der Idee von "Perspektive" interessiert war. Das ist kein Album über Wissenschaft, kein Album über astronomische Genauigkeit, sondern eher über die Idee, dass die Menschheit im Grunde ihre Perspektive verloren hat. Wir schauen so viel nach unten in unsere digitalen Geräte, dass wir verlernt haben, nach oben zu schauen. Und wir haben, wie ich finde – ich spreche wieder sehr allgemein – vergessen, wie winzig wir im Verhältnis zum Universum und Kosmos sind.
Wenn man sich damit beschäftigt, sind die Zahlen absurd. Die Erde ist nur einer von Billionen Planeten in der Milchstraße, die wiederum nur eine von Billionen Galaxien in einem Universum ist. Außerdem sollten wir uns in Erinnerung rufen, dass die Erde seit vier Milliarden Jahren existiert. Wir sind auf der Erde gerade mal seit den letzten zehn Minuten, wenn man das ins Verhältnis setzt, und trotzdem glauben wir irgendwie, wir seien die Kuratoren dieses Planeten. Sind wir nicht – wir sind erst in den letzten zehn Minuten dazugekommen. Vor 300.000 Jahren sind wir aufgetaucht, die Erde war schon Milliarden Jahre vorher da. Und sie wird auch noch Milliarden Jahre nach uns existieren.
Für mich geht es also um diese Idee von Perspektive, und ich liebe die Vorstellung, dass Astronauten ins All fliegen, zurück auf die Erde blicken und einen tiefgreifenden Perspektivwechsel erleben. Sie begreifen, wie klein und unbedeutend und – um es mal ganz hart zu sagen – sinnlos unser Leben eigentlich ist. Aber auf eine schöne Weise, weil ich denke: Wenn du dir eingestehst, "Wow, mein Leben ist nur ein kurzer Augenblick, es ist eigentlich bedeutungslos für das Universum, dem ist das egal", dann kannst du gleichzeitig sagen: "Weißt du was? Genieß die Fahrt! Genieß die Fahrt!" Du hast 70, 80, 90 Jahre, wie viel auch immer, um deinem Leben einen Sinn zu geben, für dich oder für die Menschen um dich herum. Genieß diese Zeit! Und ich glaube, das vergessen wir manchmal, weil das Leben immer stressiger wird und voller Verpflichtungen ist. Ich selbst habe dasselbe Problem wie alle anderen, ich stresse mich mit Dingen, die eigentlich keine Bedeutung haben, zumindest nicht in der großen Ordnung der Dinge. Es geht also um die Erinnerung daran, dass das Leben ein kurzer Moment ist, ein seltener Zufall. Also nutze es, erlebe es, genieße es!
Alex Cordas: Auf ähnliche Weise spielst du im zweiten Teil von "The Overview" mit Gegensätzen. Da ist diese weibliche Stimme, die einen offenen Blick auf alles wirft, was im Weltraum passiert. Und plötzlich macht es "Boom!", und du kommst ins reale Leben zurück, mit dem Gegensatz zwischen normalen Leuten im Alltag und Sternen-Anomalien.
Ja, ich bin mit Science-Fiction und Weltraumkram aufgewachsen. Und je älter ich werde, desto mehr merke ich, dass so ziemlich alles, was jemals über den Weltraum geschrieben oder verfilmt wurde – jede künstlerische Interpretation, die angeblich vom Weltraum handelt –, im Kern eigentlich von uns Menschen handelt. Es geht immer um uns in Relation zum All. Denk nur an Filme wie "2001" oder "Interstellar" von Christopher Nolan. Das sind für mich zwei großartige Beispiele für Filme, die auf den ersten Blick vom Weltraum handeln, es aber gar nicht wirklich tun. Sie handeln von menschlichen Wesen, von unserer Beziehung zum Weltraum, von unserer Beziehung untereinander. Ich finde, das ist das Schöne daran: Diese Weltraumfilme und -themen spiegeln letztlich nur uns selbst wider, unsere Rolle im Universum und dieses Stichwort "Perspektive". Ich hätte dieses Album auch gut "Perspective" nennen können, weil es hier genau darum geht: um Schreiben und Erinnern.
Das Album beginnt mit dieser Szene – ich sehe das Album gerne wie einen Film, um bei der Metapher zu bleiben – und es beginnt damit, dass ich auf der Erde einem Außerirdischen begegne, und der Alien sagt zu mir: "Habt ihr uns vergessen? Habt ihr vergessen, dass es uns gibt?" Denn ich denke, wir sind mittlerweile so sehr mit uns selbst beschäftigt, blicken nur auf unsere Geräte, dass wir ganz vergessen haben, nach oben zu schauen und uns daran zu erinnern, dass wir Teil eines Sonnensystems sind, das Teil einer Galaxie ist, die wiederum Teil des Universums ist. Und es ist gar nicht schlecht, sich daran zu erinnern, denn es gibt einem Perspektive.
"Wir haben verlernt, nach oben zu schauen."
Alex Klug: Apropos Perspektive: Wenn "The Overview" das erste menschliche Musikstück wäre, das Aliens entdecken würden, was glaubst du, würden sie über uns denken?
Gute Frage, die wurde mir noch nie gestellt. Jetzt fällt mir keine perfekte Antwort ein.
Alex Klug: Ha, das war mein Ziel.
Glückwunsch! [lacht] Nein, also, es ist ein Album mit vielen verschiedenen Facetten: Wut, Nostalgie, Freude. Kleine Seifenopern über das Leben der Menschen. Interessanterweise habe ich neulich etwas über die Voyager-Sonden gelesen. Wir haben ja zweimal diese Sonden ins All geschickt, und sie sind voller Dinge, die Aliens – wenn sie sie eines Tages finden – alles über das Leben auf der Erde verraten sollen. Ich glaube, die erste wurde in den Siebzigern losgeschickt, da ist sogar eine Vinylplatte dabei (die "Voyager Golden Record") mit dem Klang von weinenden Babys und vielem mehr. Eine außergewöhnliche Idee, so eine Zeitkapsel ins All zu schicken, die vielleicht noch lange weiterfliegt, nachdem die Menschheit nicht mehr existiert. Und eines Tages wird eine außerirdische Lebensform sie vielleicht finden und dadurch ein Fenster zu unserer vergangenen Zivilisation haben.
Alex Klug: Hui!
Sorry, ich umgehe gerade deine Frage – wie ein Politiker. Der Grund, warum ich das sage, ist, dass mich eine Sache besonders umhaut: die Idee von Zeit. Zum Beispiel ist unsere nächste Nachbargalaxie, die Andromeda-Galaxie, rund 2,5 Millionen Lichtjahre entfernt. Das bedeutet, dass jemand, der uns gerade jetzt von einem Planeten in der Andromeda-Galaxie aus beobachtet, nicht uns hier sitzen sehen würde, sondern Menschen in Höhlen, die herauskriechen, Steine aufeinanderschlagen und Tiere jagen. Das finde ich unglaublich. Und genauso, wenn wir sie anschauen, sehen wir, was sie vor 2,5 Millionen Jahren gemacht haben. Und das ist nur unsere nächste Galaxie.
Wenn "The Overview" also eines Tages dort ankommen sollte, wäre das die Musik von vor 2,5 Millionen Jahren. Kannst du dir vorstellen, wie Musik vor 2,5 Millionen Jahren geklungen haben könnte? Wahrscheinlich wie bei [György] Ligeti, wie Steinzeitmenschen, die Knochen gegeneinander schlagen.
Dennis: Du hast bereits deine Liebe zu Science-Fiction und David Bowie erwähnt. Haben "Space Oddity" und "The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars" zu deinem Interesse für den Weltraum beigetragen? Und haben sie letztlich – bewusst oder unbewusst – einen Beitrag zur Entstehung deines neuen Albums geleistet?
Zwangsläufig, aber – um direkt den letzten Teil deiner Frage zu beantworten – unbewusst. Bowie ist einer dieser Künstler, die tief in meiner musikalischen DNA verankert sind. Als ich aufgewachsen bin, wurde ich stark beeinflusst durch die Musik, die ich gehört habe. Ich glaube, die Musik, die man im Alter von 15 bis 25 hört, wird Teil der DNA. Ich habe damals eine Menge Progressive Rock gehört und eine Menge 80er-Musik, eine Menge Bowie und eine Menge Elton John. "Rocket Man” ist noch so ein weltraumbezogener Klassiker aus dieser Ära.
Selbst, wenn ich es versuchen würde, könnte ich nicht verbergen, dass all diese Musik Teil meiner DNA ist. Natürlich gibt es Leute, die immer, egal, was ich mache, sagen: "Oh, das klingt nach Pink Floyd!" [imitiert einen gelangweilten Hörer] Mein Vater hat mich mit "Dark Side Of The Moon" hirngewaschen und sie wurden meine Lieblingsband. Und auch, wenn ich sie kaum mehr höre, ist die Musik von Pink Floyd tief in mir verwurzelt.
Ich tue das gar nicht bewusst, aber manchmal ist meine musikalische DNA nicht zu überhören. "Space Oddity", "Life On Mars?", "Rocket Man", der "Blade Runner"-Soundtrack von Vangelis, diese Einflüsse sind einfach da. Wenn ich ein weltraumbezogenes Album aufnehme, denke ich daran nicht. Aber ich kann gar nicht anders, als anzunehmen, dass Leuten, die die entsprechende Musik kennen, diese Einflüsse auffallen.
Aber die Einflüsse betreffen auch Filme: "Interstellar", "2001" und "Blade Runner" waren für mich alle Referenzen.
Dennis: Nachdem du "2001" schon erwähnt hast: Auf deinem neuen Album gibt es eine Passage, die sehr nach einem Stück von Ligeti klingt, das in "2001” verwendet wurde. Ist das eine Hommage oder ist die Ähnlichkeit eher zufällig?
[zögert] Das ist eine gute Frage. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Ich bin Fan der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts, habe eine riesige Sammlung an Stockhausen- und Ligeti-Werken, [Krzysztof] Penderecki liebe ich auch. Diese dissonante, nihilistische Musik bietet eine großartige Möglichkeit, den Nihilismus, die Leere, ja, den Tod im Weltraum darzustellen. Der Weltraum ist verdammt gruselig.
Wenn man die Reaktionen von Leuten hinsichtlich des Einflusses des Overview-Effektes auf sie liest, bemerkt man, dass er sehr unterschiedlich war: Manche machten sehr positive Erfahrungen, andere unglaublich negative. William Shatner, Captain Kirk aus Star Trek, ... [runzelt die Stirn angesichts des Grinsens in der Runde]
Dennis: Alex [Cordas] ist der Trekkie hier.
Verstehe! Auf Captain Kirk wirkte sich der Overview-Effekt unglaublich negativ aus. Alles, was er sah, als er auf die Erde blickte, waren der Tod und die Leere. So ist der Weltraum. Das ist das Problem, das ich mit Star Wars habe, und der Grund, warum ich Star Trek bevorzuge: Star Wars ließ den Weltraum aussehen wie einen knuddeligen Ort zum Abenteuererleben. So ist der Weltraum nicht. Er ist verdammt gruselig. Geht man einen falschen Schritt, ist man tot, zerquetscht durch Naturgewalten.
Ligetis Musik aus "2001", ebenso wie andere klassische Musik des 20. Jahrhunderts, versucht, diese alles überwiegende Leere, dieses Nichts zu vertonen. "Objects Outlive Us" endet mit diesem feierlichen Gitarrensolo, das allmählich abgelöst wird durch dissonanten Lärm. Das ist die eine Art, den Overview-Effekt zu erleben. Aber ja, wahrscheinlich noch eine unbewusste Hommage!
Alex Cordas: Als ich "Wolf 359" hörte, dachte ich sofort an "Star Trek", weil dort die Borg und die Menschen eine große Schlacht hatten. Ich musste googeln, dass es den Stern tatsächlich gibt.
Ja, alle Dinge, die in dem Stück genannt werden, sind reale Orte. Die Idee ist, dass man sich immer weiter von der Erde entfernt und verschiedene kosmische Phänomene erlebt. Ich bin vielleicht doch nicht so sehr Trekkie wie du, also wusste ich das mit der Schlacht nicht, aber was geschah dort?
Alex Cordas: Die Borg und die Föderation haben dort eine gewaltige Schlacht ausgetragen.
Alex Klug: Eigentlich wollte ich noch auf das Thema Track-Überlänge zu sprechen kommen. Aber wo wir schon übers Album gesprochen haben, mal umgekehrt: Wenn ich zum Beispiel an "Permanating" denke – was kann man in einem dreiminütigen Pop-Song ausdrücken, was einem in 23 Minuten nicht gelingt?
Ich denke, das hängt davon ab, was man kommunizieren will. In meinem Fall geht es um das Gefühl einer Reise, darum, sich in einem Musikstück über eine lange Strecke zu bewegen. Pop-Songs sind besser darin, ein bestimmtes Gefühl oder eine Emotion zu kristallisieren – Freude, Nostalgie, Wut, was auch immer. Mit "The Overview" will ich eine längere Geschichte erzählen. Es ist wie bei Filmen oder Literatur: Warum schreibt man eine Kurzgeschichte oder ein Gedicht und nicht gleich einen Roman? Warum einen Kurzfilm statt eines Spielfilms? Mit langen Songs habe ich die Möglichkeit, musikalische und lyrische Themen mehrfach aufzugreifen, dieses Gefühl von Vorankommen und Größe zu erzeugen.
Pop-Songs sind perfekt, um ein Gefühl zu kristallisieren. Denk an ABBA – "The Winner Takes It All" zum Beispiel. Das fasst eine bestimmte Emotion perfekt in kurzer Zeit zusammen. Eben ging es um "Space Oddity" und "Rocket Man" – die wiederum erzählen auch Geschichten, aber auf eine Weise, die ich nicht besonders gut beherrsche. Ich brauche halt 20 Minuten, um eine Geschichte zu erzählen.
Ich mache oft Witze, dass Pop-Songs heute nur noch zwei Minuten lang sind. Na ja, in der Zeit habe ich eben gerade mal mein Intro fertig.
Dennis: Wir streichen die Jon Anderson-Frage.
Jon Anderson?
Dennis: Ja, Jon Anderson. Wie viel Zeit hast du denn noch?
Zehn Minuten oder so. Was war denn die Jon Anderson-Frage?
Dennis: Okay, wenn sie dich interessiert, dann ...
Ja!
Dennis: Dein Gesangsstil in "Objects Outlive Us", insbesondere in der zweiten und dritten Minute des Songs, erinnert mich an Jon Andersons Gesangsstil. Hast du in letzter Zeit Yes gehört? Ich weiß, dass deine Erfahrung mit der Band nicht die beste war, als du sie mit Porcupine Tree supportet hast.
Ich habe tatsächlich bessere Erfahrungen in meinem Leben gemacht, ja. Aber inzwischen habe ich eine gute Beziehung mit zwei oder drei Mitgliedern der Band – eine distanzierte, aber gute Beziehung. Das war eine schwierige Zeit für die Band, sie haben sich alle gegenseitig gehasst. Ich habe eine Menge Yes gehört, als ich aufgewachsen bin, habe ja auch Remixe von Teilen ihres Backkatalogs angefertigt.
Interessant, dass du es erwähnst! Ist es die Passage, die mit "The buddha of the modern age / Is barely paid minimum wage" beginnt?
Dennis: Ja.
Lustigerweise habe ich einen Audiokommentar für das Album eingesprochen – das erste Mal, dass ich das gemacht habe – und erwähne, dass diese Passage mich an "Tales Of Topographic Oceans" erinnert. Vielleicht ist es das, was du auch hörst.
Dennis: Definitiv, ja!
Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Zu Beginn des Albums singe ich im Falsett wie Jon Anderson. Wobei er ja nicht im Falsett singt, das ist seine normale Tonlage. Auch hier habe ich das gar nicht bewusst gemacht, aber als ich die Passage gehört und den Audiokommentar eingesprochen habe, dachte ich: "Oh, ich glaube, dass das in meinem Unterbewusstsein war!" Die Passage erinnert mich an "The Revealing Science Of God". Großartiges Musikstück, großartiges Album!
"Ich wollte winzige Alltagssorgen kosmischen Phänomenen gegenüberstellen."
Alex Klug: Mal etwas zu externen Einflüssen: Manchmal lässt du ja auch andere für dich texten. Zuletzt KI, und zu "The Overview" hat Andy Partridge von XTC lyrisch beigetragen. Der Unterschied ist, dass die KI ja bewusst versucht, Steven Wilson zu kopieren, während Andy Partridge eben Andy Partridge selbst ist. Mit welchen Hoffnungen und Wünschen bist du auf Andy Partridge zugegangen – und wie fühlt es sich an, fremde Texte zu singen?
Also kurz zur KI: Ich hab das einmal gemacht, als Gag, als Experiment für den Weihnachtssong "December Skies". Ich war neugierig, wie ich KI in meinen Schaffensprozess integrieren könnte. Ich denke, wir können nicht so tun, als ob KI nicht da wäre oder wieder verschwinden würde. Eine Menge Leute nutzen KI bereits, ohne es zuzugeben. Ich wollte es aber offen ansprechen und sagen: Guckt mal, ein Experiment. Auf "The Overview" habe ich es nicht verwendet.
In Bezug auf Andy war es so, dass ich in einem Track den Kontrast haben wollte: winzige Alltagsseifenopern auf der Erde, zum Beispiel ein Mann, der seine Frau betrügt, eine Pflegerin, die im Heim arbeitet, ein junger Typ, der einen neuen Job anfängt – all diese kleinen Dinge, über die wir uns den Kopf zerbrechen. Und so etwas wollte ich den großen kosmischen Phänomenen gegenüberstellen – schwarze Löcher, Planeten, Nebel am anderen Ende des Universums. Einfach, um zu zeigen, wie winzig unser Alltag eigentlich ist, während gleichzeitig Unfassbares im All geschieht, wovon wir kaum etwas mitbekommen.
Ich dachte, klar, ich könnte das selbst schreiben, aber es gibt zwei Leute, die diese banalen Details des Alltags besser rüberbringen als jeder andere: Ray Davies von The Kinks, den ich nicht persönlich kenne, und Andy Partridge von XTC. Und lustigerweise habe ich gerade ein XTC-Album namens "The Big Express" remixt. Da gibt es den Song "The Everyday Story Of Smalltown", ein Geniestreich, was die Beobachtung ganz normaler Menschen in einer englischen Kleinstadt angeht. Genau diese Stimmung wollte ich haben. Also sagte ich zu ihm: "Andy, ich habe einen Auftrag: Schreib etwas in dieser Art, aber ziehe immer wieder Parallelen zwischen diesen winzigen Alltagssorgen und den großen kosmischen Phänomenen." Und das Ergebnis war großartig, einfach brillant.
Dennis: Jetzt haben wir schon so viel über das neue Album gesprochen. Wir hätten da noch ein paar persönliche Fragen: Du hast eine enge Beziehung zu Israel. Eine positive enge Beziehung zu Israel zu haben, ist im modernen Musikbusiness eher ungewöhnlich. Wie fühlst du dich, wenn du an das letztjährige Glastonbury-Festival denkst, auf dem ein Meer an Palästina-Flaggen vor den Bühnen geschwenkt wurde? Und was würdest du einem jungen Musiker wie Grian Chatten, Sänger von Fontaines D.C., antworten, der im letzten Jahr auf der Verleihung der Rolling Stone UK Awards wörtlich "Fuck zionism!” sagte?
Ich möchte hier nicht zu sehr in die Tiefe gehen. Alles, was ich dazu sagen will, ist das: Die meisten Menschen – und das betrifft nicht nur die Israel-Gaza-Situation – gewinnen aus meiner Sicht ihre Standpunkte, ihre Meinungen aus drei oder vier TikTok-Videos, die sie gesehen haben. [zögert]
Dennis: Die wahrscheinlich von Roger Waters angefertigt wurden …
Oder von der Hamas. Die meisten Leute bilden sich heutzutage ihre Meinung über alles anhand von ein paar TikTok- oder YouTube-Clips. Ich weiß mehr über Israel als die meisten Leute – aus offensichtlichen Gründen, meine Frau stammt aus Israel. Gleichzeitig weiß ich weniger über Israel als viele andere Menschen. Es ist eine sehr komplizierte Situation. Ich behaupte nicht, dass eine der beiden Seiten alles richtig macht. Aber einen vollständig einseitigen Blick auf diese Situation zu haben, ist ziemlich ignorant, um ehrlich zu sein.
Ich rate niemandem, nicht wütend zu sein. Ich bin kein Fan von Netanyahu und die meisten Israelis sind ebenfalls keine Fans von ihm. Zudem sind die meisten Israelis keine Fans der Besatzung, genauso wenig wie ich. Gleichzeitig ist die Hamas eine Terrororganisation, die 2.000 Menschen ermordete und das genossen hat. Wenn man diese Situation als Schwarz-weiß-Situation betrachtet und "Fuck Israel!" sagt, dann habe ich damit ein Problem. Die meisten Israelis betrachten die Situation ebenfalls nicht als Schwarz-weiß-Situation.
Diesen ganzen amerikanischen Studierenden, die gegen Israel protestierten, sollte man das sagen, was der Comedian und Moderator Bill Maher verdeutlichte: Es gibt viel schlimmere, repressive Regierungen auf der Welt, es gibt viel schlimmere Genozide, viel schlimmere Besatzungen. Warum also pickt man sich den Israel-Gaza-Konflikt heraus, insofern man nicht persönlich betroffen ist? Der Grund dafür: Er ist das Aushängeschild geworden, ist immer Newslieferant, teilweise auch, weil Israel Teil der westlichen Welt ist.
Zu Rogers Waters noch: Für das Werk von Roger Waters habe ich nichts als Bewunderung übrig. Für ihn als Menschen habe ich wenig Bewunderung übrig.
Ihr werdet diesen Satz hoffentlich nicht zur Überschrift machen, oder?
Dennis: Nein, das machen wir nicht.
Noch eine persönliche Frage: Seit einigen Jahren bist du Veganer – wie wir auch sehen können [deutet auf den Tisch, den neben viel Obst auch ein Hummus-Aufstrich ziert]. Du zeigst deinen Veganismus auch offen. In jedem deiner Posts in den sogenannten sozialen Netzwerken zum Thema findet sich eine wenig überraschende Mischung aus Vegetariern und Veganern, die dich unterstützen, auf der einen Seite und Fleischessern auf der anderen Seite, die Sätze schreiben wie "Moralisier nicht!" oder "Was ich esse, geht dich nichts an!". Glaubst du, dass du Fleischesser mit diesen Posts erreichen kannst? Oder sind die Posts eher "preaching to the converted"?
Weiß ich nicht, aber ich glaube, Leute, die sich darüber aufregen, tun das, weil sie sich in die Defensive gedrängt sehen und insgeheim verstehen, dass ich recht habe. Wenn man Fleisch isst und damit kein Problem hat: Warum regt man sich dann über solche Posts auf? Irgendwo tief in sich verstehen sie … [zögert und neigt den Kopf zur Seite] Verstehst du, was ich sagen will?
Dennis: Definitiv! Ich bin Vegetarier seit meinem 14. Lebensjahr und ich kenne diese Leute.
Ich glaube, die fühlen sich geistig bedroht. Wobei ich dazu sagen muss, dass ich nie Kommentare zu irgendetwas lese, das ich poste. Ich glaube, dass wir inzwischen in einer Welt leben – und die sozialen Medien sorgen für dieses Klima –, in der Menschen sich so schnell angegriffen fühlen, einfach deshalb, weil jemand nicht exakt das Leben führt, das sie selbst führen. Die haben das Gefühl, dass ihr eigenes Leben bedroht wird. Ich versuche, nicht zu predigen. Aber gleichzeitig bin ich Veganer und möchte Menschen erzählen, dass ich Veganer bin, weil ich glaube, dass das wichtig ist.
Meine Kinder sind Vegetarier – selbstgewählt, ich habe sie nicht dazu gedrängt. Und ich bin überzeugt davon, dass es in der Hinsicht einen Generationswechsel gibt. Es gibt jetzt Leute wie Billie Eilish, Ariana Grande, Emma Watson, Serena Williams, all diese Ikonen, die sehr viel Einfluss haben auf die jüngere Generation. Meine Generation fühlt sich hingegen eher angegriffen, wenn sie an Veganismus denkt.
[sarkastisch] Wenn mir Leute ein gutes Argument liefern können, warum die Fleischindustrie großartig ist, sollen sie das tun. Nur: Sie können es nicht, sie haben kein Argument.
Alex Klug: Auf der kommenden Tour planst du ja, möglichst große Teile deiner Solodiskografie abzudecken. In einem Interview sprachst du über deine Irritation, dass "The Raven That Refused To Sing" bis heute eines deiner beliebtesten Alben ist, wo es doch "nur" eine Hommage an vergangene Zeiten sei. Kannst du deinen Frieden damit schließen, dass viele Leute mehr auf "Raven"-Songs in der Setlist hoffen werden als auf Tracks von "The Overview" oder "The Harmony Codex"?
Oh, versteh mich nicht falsch, ich bin unglaublich stolz auf dieses Album. Ich habe es neulich noch einmal gehört, als ich den Atmos-Remix dafür gemacht habe. Aber ja, es ist – fast als einziges meiner Alben – eine reine Hommage an eine andere Zeit. Und dafür möchte ich nicht unbedingt in Erinnerung bleiben. Aber für manche ist es halt das Masterpiece. Ich bin ja auch sehr stolz darauf. Der Titeltrack ist mit das beste, was ich je geschrieben habe.
Alex Klug: Es ist ja eigentlich auch eine schöne Weiterentwicklung. Zu Beginn deiner Solokarriere wollten Fans wohl möglichst viele Porcupine Tree-Tracks hören, jetzt sind es eben deine zehn Jahre alten Solotracks. Deine eigenen Oldies. Vielleicht vererbt es sich weiter, und 2035 wollen alle nur "The Overview" hören.
Da bin ich mir sogar sicher. Ich habe mich daran gewöhnt. Als "In Absentia" rauskam, wurde es als Desaster betitelt. Sie machen Metal. Verrat! Anfangs hat es sich auch nicht so gut verkauft, mittlerweile verkauft es sich 10.000-mal im Jahr. "Raven" klang für viele wahrscheinlich gleich nach einer vertrauten Klangumgebung. Aber ich ziehe es eben vor, Alben zu machen, die nicht dieses bequeme "Ah!"-Gefühl haben, sondern eher ein: "Was ist das eigentlich?".
Ich denke, "The Overview" ist ein Album, das eine ähnliche progressive Sensibilität hat wie "Raven", aber so eben nur 2025 entstehen konnte. "Raven" hätte – vereinfacht gesprochen – auch schon 1972 veröffentlicht werden können.
Dennis: Wenn wir schon über die 1970er-Jahre sprechen: Dürfte ich noch eine letzte Frage stellen?
Na klar!
Dennis: In einigen Interviews und Folgen deines Podcasts "The Album Years" klangst du nicht sonderlich enthusiastisch, als du über die beste Prog-Rock-Band aller Zeiten – neben Porcupine Tree natürlich – sprachst, nämlich die frühen Genesis. In Internetforen verbreitete sich das Gerücht, dass du Genesis hassen würdest.
Tue ich nicht! Ich mag Genesis. Im Podcast spiele ich nur ein bisschen den Advocatus Diaboli, weil Tim [Bowness] ein großer Genesis-Fan ist. Ich hingegen mag sie deutlich weniger als andere Progressive-Rock-Bands, um bei der Wahrheit zu bleiben. Und dennoch: Ich mag sie. "Duke” finde ich klasse, ich mag auch das meiste Pop-Zeug aus der Phil Collins-Ära. Ein großer Fan der Peter Gabriel-Ära bin ich nicht. Ich mag auch diese Alben, aber in dieselbe Kategorie wie "Close To The Edge" oder "Dark Side Of The Moon" würde ich sie nicht einordnen, auf diesem Level sind sie für mich nicht.
Sogar ein Track wie "Supper's Ready" klingt für mich nach aneinandergereihten Einzelsegmenten, während "Close To The Edge" ein wunderbar konstruiertes Einzelstück ist, das einen dramaturgisch sinnvollen Aufbau besitzt, eine Einheit bildet. Und trotzdem: Ich mag Genesis und ich mag auch "Supper's Ready".
Ebenfalls dramaturgisch sinnvoll bekommt Steven Wilson nun sein Mittagessen serviert, einen sehr lecker aussehenden Asiateller mit reichlich Karamelltofu. Alex Klug kommentiert passenderweise "Supper's ready!", während Dennis sich gleich aus zweierlei Gründen auf die Lippe beißt: aus Hunger und um sich einen Kommentar zu Wilsons Worten über Genesis' Übertrack zu verkneifen. Dennoch geht er ebenso wie die beiden Alexe höchst zufrieden nach Hause, denn unser liebster Wunderwuzzi war mal wieder ein großartiger Gesprächspartner.
2 Kommentare mit 7 Antworten
Großartiges Interview (und Album). Schön, dass ihr so einen guten Draht zu ihm habt, man kann förmlich spüren, dass er die Interviewfragen gut findet und es genießt, dass ihr so detailliert und spezifisch nachfragt.
Puuuuuh... Steven Wilson machts mir nicht leicht. Gleichzeitig stimme ich ihm zu, wie verflucht monoton die meiste Muzak in den populären Playlists oder im Formatradio ist. Es spielt kaum eine Rolle, WER die Musik macht, wer oder was dahinter steckt, ist nicht von Interesse.
Und das ganze "Old man yelling at clouds" ist das, was ich an ihm absolut nicht ausstehen kann. Seinen Lieblings-Popmusikern wurde damals von Menschen in seinem Alter etwas Ähnliches gesagt. Der Großteil der Musik von "damals" war ähnlich monoton und unpersönlich. Und es ist nur noch unendlich ermüdend, dieses weltfremde "Alles geht vor die Hunde, niemand hat/kann mehr..., alles Gute stirbt..." zu hören. Vor allem, weil das in Zeiten von Incels so verflucht präsent ist. Ich wünsche Wilson sehr, dass er das eines Tages mal für nicht mehr nötig hält - auch wenn ihn diese Attitüde jetzt schon Jahrzehnte begleitete.
Für die 70er/80er Popmusik Diskussion bin ich leider zu jung, hab ich nicht miterlebt. Aber in den längeren Interviews mit ihm und auch in seinem Podcast mit Tim zeigt er sich zumindest selbstreflektiert und weiß auch um seine teilweise etwas verstaubt wirkenden Ansichten... Das finde ich dann in Ordnung, auch wenn ich inhaltlich nicht immer 100% dabei bin. Kann ich bei ihm gut aushalten.
Ist doch schon ein archäologischer Klassiker, dass man bei den ältesten schriftlichen Überlieferungen häufig auch sowas wie "Die jungen Leute von heute..." findet. Das war noch nie ernst zu nehmen, und ist zu 100% ne Alterserscheinung. Manche fangen damit aber natürlich auch schon mit 20 an.
Ich hab die 70er und 80er auch nicht miterlebt. Aber aus obigem Grund halte ich es für ausgeschlossen, dass über Prince oder Bowie nicht zig alte Säcke sagten: "Was für plumpe Berieselung! Die Kinder von heute haben nicht mehr die Aufmerksamkeit für RICHTIGE MUSIK..."
das sagt er doch gar nicht. ist doch ganz klar tongue-in-cheek, was er da zum thema sagt. lernt lesen, leute...
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Sehe noch immer keine Anhaltspunkte, dass er da im Interview ein bissl schäkert. Wie gesagt: Dieses Thema des angeblichen Verfalls von Musik und Gesellschaft zieht sich lange durch seine Werke, und er wiederholt es sehr häufig in Interviews.
Hab mit seiner Crew gearbeitet - er ist nicht gerade der offenste, zuvorkommendste Zeitgenosse. Hab einfach den Eindruck, er hat tatsächlich das etwas verschlossene Herz eines Boomers. Sag ich aber als Freund seiner Musik. Wenn man ihn live spielen sieht, ist es ein fantastisches Erlebnis. Und da seh ich auch gerne über den etwas kindischen Unfug hinweg, den er in Sachen Politik und Gesellschaft von sich gibt. Im Großen und Ganzen sagt er da ja auch viele nachvollziehbare Dinge.
Seit wann haben Boomer ein verschlossenes Herz, ich dachte, das gilt für unsere IT-Generation!? Das Wirtschaftswunder war nur durch ständiges Kontakteknüpfen, Weiterempfehlen und Hausbau-Bekanntschafts-Aktivismus möglich und wer etwas verschroben war und sich für Batterien und Kabel interessiert hat, der hat halt sein kleines Lädchen aufgemacht und den ganzen Tag mit Lieferanten gequatscht, wenn es grad mal nichts zu helfen gab.
Ist ne medizinische Sache. Deswegen müssen denen oft Stents eingesetzt werden.