laut.de-Kritik
Emo im Jahr 2025.
Review von Franz Mauerer"All The Artists" ist nicht für jedermann. Mark Kozelek trat schon Jahre vor diversen (auch sexuellen Missbrauch umfassenden) Kontroversen in eine Karrierephase ein, in der er immer langsamer, spartanischer und sprechend statt singend auftritt. "I Also Want To Die In New Orleans" war bereits in diesem Stil gehalten, seitdem brachen kommerzielle Erfolg und Sichtbarkeit deutlich ein, obwohl die drei Alben seither durchaus überzeugten, insbesondere "Quiet Beach House Nights" (einige Fans fanden "Sun Kil Moon And Amoeba" sogar (ungerechtfertigterweise) noch besser).
"All The Artists" erzwingt eine gewisse Festlegung: Entweder hört man hier einen gerade absurd faden, alternden Musiker, der sich musikalisch weigert, aus einer Art Easy Listening auszubrechen, und inhaltlich ausschließlich im eigenen Sud schmort. Der auf ungelenkte Art Frauen in Songs aufzählt und eine Barista auf "Persephone" besingt, scheinbar um frauenfreundlich zu wirken, der jeden Wimpernschlag seiner eigenen Wahrnehmungen für mittelungsrelevant hält und der sein unzweifelhaftes Genie ("Admiral Fell Promises", "Ghosts Of The Great Highway", "Benji") wegwarf, weil es ihm wichtiger war, pesudo-edgy immer weiter in seiner Egozentrik zu versinken, die ihn zu genau dem Opfer machte, für das er sich schon immer hielt. Der immer wieder musikalische Ausnahmekönner anzieht, nur um sie wieder wegzustoßen. Diese Deutung ist legitim, aber eben nur eine Perspektive.
In der anderen ist Mark Kozelek ein einsamer Prophet, dem der Kreis außerhalb seiner Jünger völlig gleich ist, der Weisheit aus Alltäglichem zieht und Profanes mit Magie auflädt. Der mit seinem seit wenigen Jahren innig verbundenen Kollegen David Stagno (bekannt u.a. von der Band Kitten) einen völlig eigenen, selbst um drei Uhr nachts unverwechselbaren Sog aus sich immer tiefer windenden Gedanken schafft, so tragkräftig, dass sie mehr als Gitarren- oder Pianobegleitung gar nicht benötigen, um das Endprodukt doch immer noch hochmelodisch ausfallen zu lassen. Ein einsamer Streiter der Folk-Avantgarde, missverstanden und verfemt.
Wie so oft stimmt beides nicht; Kozelek ist ein legendäres Arschloch, für die Annahme des Gegenteils gibt es schlicht zu viele Indizien. Sein ewiges Gewinsel um sich selbst raubt ihm, mit 62 auch schon im Sprint Richtung Rentenalter, nicht nur seine Karriere, was das "Benji"-Reissue wohl erklärt, sondern beraubt unserer Generation einen ihrer allerklügsten Songwriter, der eigentlich im Kaufhaus laufen sollte und auf dem Lollapalooza, statt in mediokren Venues im Mittleren Westen. Was er aber beobachtet aus seiner kleinbürgerlichen Isolation und wie er immer wieder seine Kindheit aus Ohio vorkramt und ihr trotz allem Schmalz unablässig neue Aspekte abringt – das unterhält. Und die Musik entwickelt einen Sog, so unvergleichlich wie eh und je. Eine Rutschbahn, die längst nicht so rumpelig ausfällt wie ein Waits, nicht so dramatisch wie ein Molina, nicht so elegant wie ein Welsh, aber eben trotz aller Unkenrufe keine Nicht-Musik ist. Ja, da ist nicht viel, aber ich würde vor Petrus selbst dafür streiten, dass "Green" und "The Great Meadow" bis ins Detail ausgebrütet wurden.
Hauptinstrument ist dieses Mal Stagnos feines Pianospiel. Das ist insofern eine Umgewöhnung, da Kozeleks Gitarrensongs (insbesondere wieder die jüngst veröffentlichten Singles) Instrument und Stimme recht dich miteinander verweben. Piano und Stimme dagegen agieren über weite Strecken recht losgelöst voneinander. Das funktioniert trotzdem, da wie auf "Christmas In New Orleans" eine für Kozelek untypische Verspieltheit vorherrscht, er nicht nur mehr singt als zuletzt, sondern sein nach wie vor berauschend charismatisches Bariton nicht nur als Storytelling-Instrument versteht, sondern zumindest phasenweise als notwendig songdienlich.
Kozeleks Abgesang auf San Francisco in "All the Artists Live in L.A." ist ebenso weinerlich wie eindrücklich, sein sehr nachvollziehbar verhandeltes Verhältnis mit seinem Vater auf dem musikalisch großartigen, nach vielen Jahren mal wieder mit einem echten Refrain aufwartenden "Friendly Fire" ebenso schmerzhaft wie schön. Höhepunkt ist "San Diego", bei dem sich Mark klugerweise gegen Musik und für reines Erzählen entscheidet, ohne ein Spoken Word-Experiment abzuliefern. Ich habe in meinem erschreckend langen Leben noch nie einen Podcast gehört, ich hasse es, wie langsam die Leute labern und halte Musik für die offensichtlich überlegene Medienform. Aber "San Diego" ist klasse und die Geschichte ist es wert, erzählt zu werden. Gut, dass Kozelek zu garstig für andere Beschäftigungen ist und "Benji" ihm immer noch die Rechnungen bezahlt. Ein stagnierender Kozelek ist immer noch exzellent.
2 Kommentare mit 11 Antworten
man würde sich in der tat wünschen, dass der kozelek endlich aus seinem spoken word-trott ausbricht und mal wieder ein meisterwerk á la "ghosts..." zumindest versucht zu schaffen.
trotzdem bleibt der shit irgendwie faszinierend, lässt sich nicht abstreiten. manchmal fasziniert das ungenutzte potenzial mehr als das eigentliche werk.
"manchmal fasziniert das ungenutzte potenzial mehr als das eigentliche werk."
Das hast du schön gesagt. Grabsteininschrift: Check!
Dieser Kommentar wurde vor einem Tag durch den Autor entfernt.
da hätteste "pop! goes the weasel" nehmen können, aber nee ...
Unterstreicht übrigens auch mal wieder vornehmlich, wie wenig von dem stets an jeder Stelle für sich beanspruchten Humor er tatsächlich hat - und wie viel von dem durch ihn selbst dafür immer verleugneten pathologisch überakzentuierten Narzissmus an dessen Stelle.
Naja, also, ich will auf den abgedroschenen Vorwurf einfach mal ganz abgedroschen antworten: Ich halte die komplette Gesellschaft für narzisstisch und gestört und immer mehr Individuen reagieren halt entsprechend darauf. Dass du das System implizit verteidigst, ist ja völlig logisch. Das würde ich auch tun. Ich bewundere diese Ignoranz und Arroganz sogar total und versuche, wie von dir ja (etwas übertrieben) erkannt, mir das immer mehr anzueignen, um meine Ruhe zu haben. Auf diesen Clou hätte ich viel eher kommen sollen. Wahrscheinlich wirst du irgendwann Listen machen müssen, um Menschen zu melden, die den kapitalistischen Interessen nicht mehr standhalten wollen/können . Ganz CDU-Like eben. Humorlos.
... allein die Erkenntnis, dass Menschen nicht humanistisch denken und einfach ganz banal ihren Vorteil aus allem rausholen. Was glaubst du denn, was das für eine Arbeit war, das zu checken? Und jetzt soll ich meinen hart erarbeiteten Narzissmus wieder einfach so wegwerfen? Jetzt, wo ich gemerkt habe, wie es sich auf der normalen Sonnenseite des Lebens anfühlt? Einfach mal nicht zuhören? Einfach mal sagen "lass mich in Ruhe!"?, einfach mal nur auf mich und meine Probleme schauen? Ich liebe es einfach. Nenn es wie du willst. Ich nenn es Freiheit, du nennst es Mangel an Respekt!
ja ja, bla bla.
Ist halt einfach immer schwer für jeden Anwesenden erträglich, wenn mensch wie du merkbar nix Vorweisbares erreicht hat und das für und vor sich dann ständig so überblähen muss, als wäre genau das etwas zum Anerkennung heischen bestens geeignet Vorweisbares.
Insbesondere als Freak unter Freaks ist das einfach nur lächerlich, und zwar nicht auf die unterhaltsame Art. Und da zudem deine Bedürftigkeit, sich irgendwo irgendwie (über)produzieren zu müssen, viel zu eindeutig spürbar zwischen jede deiner Zeilen trieft, als dass das hier irgendwer ernsthaft für einen ad hoc aufgesetzten, gesellschaftlich inspirierten, narzisstisch akzentuierten Selbstschutzmechanismus halten könnte und würde... u know.
… and the weasel goes pop!
@verhuscht
ja, total. Was soll ich nun mit mir anfangen, so ganz alleine ohne Zuspruch?
das thema hatten wir doch bereits. einsicht zeigen, besserung geloben, worte pro post auf 50 begenzen...
ich bin ein kretin und habe probleme... aber sein fucking album i also wanna die in new orleans zu nennen und dann nicht zu liefern macht sehr gut deutlich, was ich für ihn empfinde....
... nämlich innige liebe