laut.de-Kritik
Als hätten Primus mit Pink Floyd ein Album gemacht.
Review von Sven KabelitzJohn Lennon hat die Karriere von Yoko Ono und die seiner Kinder zerstört. Die angesehene Künstlerin galt ab dem Zeitpunkt, ab dem sie mit dem Beatle zusammen kam, mindestens als der Antichrist. Seine Kinder können es auch niemandem recht machen. Entweder klingen sie ihm zu ähnlich, oder so gar nicht wie er. Sean Lennon macht das einzig vernünftige und pfeift drauf.
Nun spitzt er die Lippen wieder gemeinsam mit Les Claypool, dem Ausnahme-Bassisten von Primus, mit den oft eher unkonventionellen Songideen. Was beiden zugute kommt, denn da wo es Claypool an Melodie hapert, greift Lennon ein, da wo es dem Mulitinstrumentalist Lennon am Restspleen fehlt, kommt ihm Claypool zur Hand. Ihre Stimmen, ihr Bass- und Gitarrenspiel haben sich gesucht und nun endlich gefunden. Kurzum ergänzen sie sich als The Claypool Lennon Delirium perfekt.
Ihr zweites Album nach "Monolith Of Phobos" und der EP "Lime and Limpid Green" haben die beiden, bis auf ein paar Schlagzeugspuren, größtenteils alleine in Les' Rancho Relaxo Studio aufgenommen. Heraus kam ein experimenteller Psych-Prog-Rock-Derwisch, der klingt, als hätten Primus, die Beatles und die frühen Pink Floyd ein gemeinsames Album aufgenommen.
Doch wo der rückwärtsgewandte Sound, der mit den verzerrten Funk-Bassläufen sein frischestes Element aus den 1990ern speist, funktioniert, wirkt der gestrige Altherrenhumor ihrer Texte zeitweise mühsam und peinlich. Wenn sie sich gemeinsam über diese Jugend von heute amüsieren, sagt dies mehr über die beiden Musiker als über die Millennials aus. Gnihihi, die suchen sich ihre Beziehung über Dating-Apps! "She's easily charmed by fools / She likes to swipe right for pretty boys on Tinder / Desperate measures lead to desperate situations" - aus "Easily Charmed by Fools". Außerdem sollen die sich doch bitte erst einmal politisch engagieren! ("When will the youth get on its hind legs?" - "Little Fishes").
Gerade letzteres könnte nicht in unseren hochpolitischen Zeiten zwischen Trump, AfD, Anti-Waffen-Demos, Women's March oder den Klimaschutz-Freitagsdemo wohl nicht weiter entfernt von der Realität sein. Aber die beiden kichern sicher lieber eins hinters Fäustchen und merken nicht, dass sie dabei wie zwei abgehängte Standup-Comedians klingen, die höchstens noch dein bereits leicht muffig riechender Onkel lustig findet.
47 Minuten lang slappt und tappt sich Claypool ebenso munter wie brillant durch sich ständig ändernde Welten. Doch wo der deutlich in den Vordergrund gemischte Viersaiter bei Primus Sinn ergibt, wünscht man sich auf "South Of Reality" gelegentlich etwas Zurückhaltung. Nicht selten überstrahlen seine Läufe alles, drängen Gesang, Gitarre und alles weitere in eine Ecke zum Schämen. Etwas mehr Abwechslung diesbezüglich hätte dem Longplayer gut zu Gesicht gestanden.
Doch Songs wie das versponnene "Blood And Rockets: Movement I, Saga Of Jack Parsons / Movement II, Too The Moon" - ächz - entschädigen schnell für diese zwei kleinen Kritikpunkte. Hier kommt Sean seinem Vater so nah wie noch nie, lässt unbeabsichtigt oder am Ende gar beabsichtigt dessen "Girl" einfließen. Gekonnt spielt er sein sensibles Melodieverständnis im Zusammenwirken zwischen Strophe und dem psychedelisch Refrain aus und erzählt vom Raketenforscher, Okkultisten, Orgien-Meister und Aleister Crowley-Buddy Jack Parsons. "Better be careful 'cause you just might set the world on fire." Dabei orientiert er sich sehr an der Spätphase der Beatles, bekommt aber durch Claypools surrenden Bass eine ganz eigenen Note. Eine meisterhafte Halluzination, bei der Geschichte und musikalische Umsetzung geschickt Hand in Hand gehen.
Einen zweiten Höhepunkt erfährt das Album mit dem zuerst langsam über einem monotonen Basslauf voranschlängelnden "Amethyst Realm", in dem diesmal Claypool die Hauptvocals übernimmt. In den letzten zwei Minuten bricht der Track jedoch ganz aus sich heraus, gipfelt in Lennons prächtigem, von einem Synthesizer flankierten Gitarrensolo. Lauthörpflicht! Mit seinem Funk-Bass, den schiefen, über sich selbst stolpernden Rhythmen und Dub-Elemeten verfügt "Toady Man's Hour" über deutlich mehr Claypool-Anteile.
Das über Sitar und Congas groovende "Cricket Chronicles Revisited: Part I, Ask Your Doctor / Part II, Psyde Effects" - nochmal ächz – bezieht sich direkt auf "Cricket And The Genie Movements" vom Vorgängeralbum. Wie alle Stücke verfügt auch dieses über unzählige Kniffe und Abzweigungen, die die Spannung aufrecht erhalten. Ein verschrobener Ritt mit leichter Zappa-Schlagseite, der sich wie eine doppelte Dosis Antiepilepsiemedikamente anfühlt und direkt aufs Hirn zugreift. "Don't concern yourself, these are just side effects."
Dort angekommen, kritisiert er gleich die Kommerzialisierung der Pharmaindustrie. Lennon: "Die meisten Menschen müssen nur besser essen und sich bewegen, aber man sagt uns, dass die einzige Antwort ein Medikament ist, das sich anhört, als käme es aus einer anderen Galaxie." Hier, nimm dir eine Grapefruit. (Next Stop: Der Antiimpf-Song und die Chemtrails-Hymne.)
Mit "South Of Reality" beweisen The Claypool Lennon Delirium, dass sie mehr als ein Nebenprojekt darstellen. Vielmehr leben sie in ihrer eigenen, geschlossenen und exzentrischen Realität, die sie nun noch mehr als zuvor ausdefinieren. Hoffentlich nimmt uns das Duo noch oft mit auf ihre Magical Mystery Tour. Nur dann bitte mit besseren Texten.
5 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Saugeile Platte zweier brillianter Musiker. Retromucke ist zwar nicht so meins, aber diese hier macht Laune!
Ich könnte es genießen, würde Claypool mal die Klappe halten.
Ist das Kunst oder kann das weg?