25. Oktober 2023
"Die Leute werden ausrasten"
Interview geführt von Leonie SchollAm Freitag erscheint das sechste The Kills-Album "God Games". Sieben Jahre und eine Pandemie liegen zwischen dem neuen Werk und dessen Vorgänger "Ash & Ice".
Für die neuen The Kills-Songs auf "God Games" versuchte Sängerin Alison Mosshart eine neue Herangehensweise beim Songwriting: Sie benutzte ein Piano. Dem Track "103" hört man das zumindest nicht an. Nach den minimalistischen Strophen entfaltet der Refrain wieder die altbekannte Wucht. Ebenfalls bereits veröffentlicht sind die Songs "LA Hex" und "New York", das komplette Album erscheint kommende Woche. Wir trafen Alison zum Interview im Hotel Chateau Royal in Berlin Mitte.
Hi Alison, wie geht es dir?
Mir geht es gut, ich bin aufgewacht und es geht mir gut.
Lass uns über euer neues Album "God Games" sprechen. Was sagt der Titel für dich aus?
Das ändert sich jede Minute. Jamie hatte einen Song geschrieben, der so heißt und ich liebe ihn. Er meint, "God Games" bedeute, in Computerspielen Welten zu bauen und Teile herumzuschieben. Ich habe das persönlich nie getan, aber dieses Konzept, Gott zu spielen klingt für mich absolut beängstigend. Es kann für alles stehen, das nicht unter Kontrolle oder gefährlich ist. Das Wort Spiel in diesem Zusammenhang allein ist so dunkel. Für mich ist es ein Album voller Liebeslieder und es passt auf die Welt, in der wir gerade leben.
Liebeslieder?
Ich schreibe nichts anderes als Liebeslieder.
Was haben Liebeslieder mit "God Games" zu tun?
Menschliche Beziehungen sind ziemlich kompliziert. Und können sehr einschüchternd sein. Sie sind aufregend, aber auch gefährlich. Alles, was die Beziehungen zwischen Menschen beschreibt, ist ein Liebeslied. Wir versuchen uns alle nur gegenseitig zu verstehen. Von der Minute an, wo wir geboren werden, bis zu dem Moment, in dem wir sterben.
Hört das jemals auf?
Definitiv nicht. Also freue dich nicht darauf, es jemals zu verstehen. Begrüße die Schönheit, es nicht zu wissen. Daher kommt alle Poesie und Musik.
Das stimmt. Auf dem Cover eures neuen Albums ist ein Torero zu sehen, der mit einem Stier kämpft. Warum habt ihr dieses Bild ausgewählt?
Für mich ist es das richtige Bild für den Titel. Es ist hässlich und schön. Genau wie wir Menschen. Wir finden Schönheit in schrecklichen Dingen, wir kämpfen gegen sie und nehmen sie an. Das Bild ist so ein kitschiges Souvenir-Gemälde, das jedes Haus in Amerika in den 70ern über dem Kamin hängen hatte. Waren sie jemals in Spanien? Wahrscheinlich nicht. Waren sie jemals bei einem Stierkampf? Nein. Es ist einfach ein berühmtes Bild, das wir alle kennen und niemand in Frage stellt. Darum fand ich es sehr passend.
Wer ist Gott in diesem Bild?
Ich denke der Stier. Ich bin auf seiner Seite.
"Ich schreibe immer ein Album"
Für dieses Album habt ihr wieder mit eurem alten Soundtechniker Paul Epworth gearbeitet. Wie war es?
Er war in den Jahren 2003/04 unser Live-Soundmann. Ich habe ihn seither kaum gesehen. Dann war ich in London und schrieb ihm: "Wir suchen einen Ort, um unser Album aufzunehmen. Du hast doch dieses großartige Studio." Dann haben wir ihn besucht und alle waren begeistert und so haben wir uns dazu entschieden, das Album zusammen zu machen. Paul hat bei fast allen Songs mitgearbeitet. Es war toll, in seinem Studio aufzunehmen, es ist eine alte Kirche. Ein unglaublicher Ort. Und wir haben es nicht nur ausgewählt, weil es The Church heißt.
Ich habe in der Presseinfo gelesen, dass du diesmal einige Songs auf einem Piano geschrieben hast.
Ja, ich würde es nicht Piano nennen. Es ist ein kleines Keyboard mit nur einer oder zwei Oktaven. Jamie hatte vorgeschlagen, dass ich einmal etwas anderes als die Gitarre ausprobieren solle. Also habe ich es mir gekauft und mich sofort verliebt. Es ist ein tolles Werkzeug für mich, Melodien zu finden und andere Rhythmen auszuprobieren, nicht nur das Strumming der Gitarre. Es war sofort interessant für mich und hat mich zu so viel inspiriert, was ich auf einer Gitarre nicht erfunden hätte.
Also wirst du mit dem Keyboardspiel weitermachen?
Ich weiß es noch nicht. Kann sein, dass es mich mal langweilt. Aber jetzt ist es noch sehr unberührt für mich, weil ich erst 15 Songs oder so darauf geschrieben habe. Es ist erst der Beginn unserer Beziehung.
Vielleicht kommt als nächstes die Flöte.
Nein! Naja, sag niemals nie.
Welche Instrumente spielst du noch?
Ich spiele Gitarre, als Kind habe ich Schlagzeug gespielt. Aber ich habe nichts klassisch gelernt.
Warst du gelangweilt von der Gitarre oder Jamie?
Du gewöhnst dich an etwas. Alles worum es mir geht, ist zu singen. Ich will Dinge schreiben, mir geht es um Worte und Melodien. Deswegen würde die Flöte für mich auch nicht funktionieren, weil ich währenddessen nicht singen kann. Aber ich bin offen für alles, was einen Sound hat, der mich inspiriert. Mit Garageband auf dem Laptop kann ich den Sound des Keyboards so verändern, dass es nach allem klingen kann. Das ist befreiend. Es sind noch manche von meinen Keyboard-Sounds auf dem Album. Aber viel wurde mit Gitarren ersetzt oder anderen Sounds. Es war nur der grobe Plan dafür, wie die Songs aussehen sollen.
Ich mag den Song "Wasterpiece". Er hat einen anderen Vibe als der Rest des Albums, klingt ein bisschen elektronisch.
Jamie hat ihn geschrieben. Ich wusste einfach, dass er auf das Album muss. Er ist hart und laut. Ich liebe das Gefühl, das er transportiert und freue mich schon darauf, ihn live zu spielen. Aber ich kann dafür keine Credits annehmen außer dem Gesang. Den Rest hat Jamie gemacht.
Okay anderer Song: "Love And Tenderness" – Hast du ihn geschrieben?
Ja.
Gut! Auch ein toller Song. Zeigt eine etwas softere Seite.
Wir haben viele softe Seiten. Dieser Song fällt wirklich unter das "God Games"-Banner. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, in welchem Zustand ich war, als ich ihn geschrieben habe. Aber ich weiß noch, dass es in L.A. war und ich über Beziehungen nachgedacht habe und über Filme. Es ist ein sehr cineastischer Song mit vielen einschlägigen Szenen. Ich liebe die Melodien und die Lyrics dieses Songs. Ich freue mich schon genauso darauf ihn live zu spielen wie "Wasterpiece". Bei diesen beiden Songs werden die Leute ausrasten.
Ja, es sind auch meine zwei liebsten. Und der erste ...
"New York" ...
Ihr habt viele Bezüge zu New York and L.A. auf diesem Album. Auf dem letzten war es London.
Es sind immer Städte. Unser Job ist das Reisen. Aber es war eher ein Zufall. Jamie schrieb über L.A., weil es Sinn macht, denn er lebt dort hauptsächlich. Ich habe über New York geschrieben, weil ich es dort liebe und es sich wie mein Zuhause anfühlt, obwohl ich dort nicht lebe. Ich bin einfach nur sehr gerne dort und die Stadt inspiriert mich. Ich gehe zu drei Kunstshows an einem Tag, sehe viele Leute, die ich kenne oder treffe neue Menschen. Jeder Tag fühlt sich so voll an, positiv gemeint. Ich kann es dann kaum erwarten, nach Hause zu gehen und ein Buch zu schreiben, oder einen Song, oder ein Theaterstück. Es begeistert mich. Dieser Song ist ein Liebeslied an die Stadt.
Wenn du dich entscheiden müsstest – L.A. oder New York?
Um dort was zu machen?
Zu leben.
L.A., dort lebe ich. Aber ich liebe beide Orte. Ich glaube es macht Sinn, in verschiedenen Zeiten im Leben an verschiedenen Orten zu sein. Und gerade macht es Sinn, dass ich in L.A. wohne. Aber New York ist sehr ich. Ich kann dort aufstehen und die Straßen lang gehen und keinen Plan haben, was ich mache. Der Tag passiert einfach und überrascht mich auf verschiedene Arten. Es ist einfach endlose Inspiration, die gut mit meinem Gehirn funktioniert.
Kam die Inspiration für dieses Album auf einmal oder über die Jahre?
Die Songs waren schnell geschrieben. Aber es muss im Zusammenhang mit der Zeit gesehen werden. Wenn du ein Album schreibst, ist es wie ein Tagebuch-Eintrag von dem Moment an, als das letzte abgeschlossen war. Alle Erfahrungen und Dinge, die du gelernt hast, Katastrophen, die passiert sind, haben dich zu der Person gemacht, die du bist, als du dieses Album geschrieben hast. Du musstest dieses Leben erst leben, um das machen zu können. Und deswegen klingt es für mich sehr vollständig. Ich wache nicht eines Tages auf und habe die Aufgabe, ein Album zu schreiben. Ich schreibe immer ein Album.
Also arbeitest du schon an dem nächsten?
Immer, ja natürlich. Es ist nichts Vorsätzliches. Ich schreibe jeden einzelnen Tag. Und etwas von jedem Tag wird auf dem Album sein, das sich Menschen in fünf Jahren anhören werden.
"Wenn mich etwas stört, ändere ich das selbst"
Arbeitest du beim Songwriting mit Jamie immer noch so zusammen wie vor 20 Jahren?
Ja, wir senden uns gegenseitig Songs als kleine Geschenke. Wir schreiben selten im gleichen Raum, denn wir halten das Schreiben beide sehr privat. The Kills sind keine Band, die zusammen jammt. Wir senden uns Konzepte und bauen sie dann zusammen auf, bis es komplett harmonisch zwischen uns ist. Als ich damals in Florida lebte und er in London, schickten wir uns 4-Track-Kassetten hin und her, heute läuft es per E-Mail. Obwohl wir jetzt in L.A. nur anderthalb Meilen voneinander entfernt wohnen.
Wie kritisch seid ihr gegenseitig mit euren Songs?
Lyrisch kaum. Ich liebe seine Lyrics weil sie aus einer Männerperspektive sind und das finde ich sehr lustig. Ich liebe es, wenn er meine singt. Weil wir so verschiedene Rollen und Gefühle annehmen können und uns gegenseitig besser verstehen. Aber wir kritisieren uns gegenseitig sehr selten, weil wir uns schon selbst gut editieren können. Wenn mich etwas an meinem Song stört, ändere ich das selbst. Das muss mir nicht erst jemand sagen.
Kommt ihr ins Studio mit vollkommen fertigen Songs oder schreibt ihr dort noch einiges um?
Bei diesem Album war alles schon geschrieben. Es hat mich an unser allererstes Album erinnert, wo wir zwei Wochen lang im Studio waren. Wir haben diesmal lange nach einem Ort gesucht, um es aufzunehmen. Und als wir den gefunden haben, haben wir es einfach durchgezogen.
Bist du eine Perfektionistin, wenn es um die Vorbereitung der Songs geht?
Nein, einige Sachen bleiben immer offen. Der Song "Bullet Sound" war nur 45 Sekunden lang. Im Studio wussten wir, der wird es, aber wir brauchen die andere Hälte oder die anderen 2/3 davon. Aber der Großteil des Albums war schon so gut wie fertig. Es ging dann eher darum, das Arrangement zu verbessern, die Songs voller klingen zu lassen. Die Aufgabe ist, sie zur besten Version ihrer selbst zu machen. Dafür gehen wir ins Studio.
Wir haben es schon kurz angesprochen, aber bei welchen Songs freust du dich am meisten, sie live zu spielen?
Alle! "Love & Tenderness", "Wasterpiece", "Bullet Sound", "New York". Live-Spielen ist für mich der beste Teil von allem. Die Songs werden neu erfunden. Du erlebst sie erst wirklich, wenn du damit auf der Bühne stehst und andere Menschen mitsingen und sich die Energie entlädt. Die Songs gehören dir dann nicht mehr, und du bist nur noch das Medium, um es auf die Bühne zu bringen. Es fasziniert mich so sehr, ich kann es kaum erwarten.
Hast du noch einen interessanten Fact über dieses Album, den du gerne erzählen würdest?
Das Artwork ist wirklich schön. Das Innere des Vinyls ist ein Fotoprojekt, das Jamie und ich zusammen erstellt haben. Wir haben für jeden Song zwei Fotos zusammengefügt, eines das ich erstellt habe und eines von ihm. Es fühlt sich an wie eine Kunstshow innerhalb eines Booklets. Es spiegelt wieder, wie wir beide zusammen die Musik schreiben. Also empfehle ich euch, die LP zu kaufen. Sie wird sehr besonders sein.
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