laut.de-Biographie
The Sisters Of Mercy
Linguist Andrew William Harvey Taylor studiert in Oxford Sprachen (Französisch und Deutsch), bevor er 1980 nach Leeds zieht, um sich dort für Chinesisch und Politik zu immatrikulieren. Dort begegnet er Gary Marx im F Club, einem verratzten Punk-Schuppen, wo sich beide gerne auf ein Schwätzchen treffen und lokalen Acts zuhören. Beide sind große Musikfans, inspiriert durch Gary Glitter, T Rex, Motörhead und die Stooges. Von der fixen Idee besessen, sich gerne mal selbst in der John Peel Radio Show zu hören, nehmen sie mit minimalem Equipment die erste Single "The Damage Done" auf.
Gleichzeitig entscheiden sie sich für den umstrittenen Namen The Sisters Of Mercy und Andrew gibt sich das Pseudonym Eldritch. Sie gründen das Label "Mercyful Release", um die tausend trashigen Pressungen an den Mann zu bringen. Nachdem ein völlig geschockter John Peel "Damage Done" gleich zwei mal über den Äther jagt, verkauft sich die erste und einzige Auflage fast komplett. Da Andrew absolut nicht Schlagzeug spielen kann, kaufen er und Marx eine Drummachine - den legendären Doktor Avalanche. Ihm ist heutzutage der scheppernde Retro-Charme jedes zweiten Techno- oder Elektro-Stücks zu verdanken.
Die Sisters haben damit das Rüstzeug und genug Power zusammen, um "Emma" von Hot Chocolate und "Gimme Gimme Gimme" von ABBA zu covern. Für eine waghalsige Tour werden an die Gitarre Ben Gunn und am Bass Craig Adams verpflichtet. Nach wenigen Proben steht das Ergebnis fest: Ein psychedelischer Teppich aus hämmernden Discobeats und schwelenden Gitarren mit einem energisch leidenschaftlichen Andrew Eldritch, zuständig für Gesang und Biomechanik.
Das noch kleine eigene Repertoire wird mit den Coverversionen "Jolene" von Dolly Parton, "Teachers" von Leonard Cohen und "Gimme Shelter" von den Stones ausgeschmückt. Doch die Sisters erfahren schnell eine gewaltige Reputation durch die EPs und Maxis, die sie auf den Markt werfen. "Temple Of Love" steht ab sofort bis Mitte der 90er Jahre auf der Playlist jedes Provinzclubs. "Body Electric" und die "Reptile House"-EP werden zu begehrten Sammelobjekten. Die Sisters sind seitdem eine der am meisten gebootlegten Bands auf dem Globus.
Für Ben Gunn kommt 1983 Wayne Hussey von Dead Or Alive (lange vor deren "You Spin Me Right Round"-Disco-Hit). Mit ihm entsteht 1985 der erste Longplayer "First And Last And Always" beim Eastwest-Label. Dave Allen produziert einen Meilenstein des Indie-Rock voll düsterem Feuer. Die Eldritch'sche Poesie kommt den furchterregenden Lobliedern Beaudelaires gleich, Tod und Verderben, Sehnsucht und synthetische Drogen im Mittelpunkt. Das Quartett erntet nicht wenig Ruhm damit und muss sich zukünftig hinter Tankstellenbrillen und schwarzem Leder verstecken.
Zusammen mit seinem kongenialen Partner Wayne Hussey entwirft Eldritch melodische Perlen, die einerseits richtig rocken, aber andererseits vor Herzschmerz und Sarkasmus nur so triefen. Die Platte gilt seit damals zu Recht als absolutes Standardwerk. Unzählige Nachahmer sollen in den folgenden Jahrzehnten auftauchen, ohne die Qualität des Originals zu erreichen. Die zugehörige Tour bringt die musikalischen Stärken der damaligen Besetzung auch live hervorragend rüber. Der prägnante Bass Husseys drückt den Shows einen ganz eigenen Stempel auf. Diese spezielle Intensität bleibt auch für spätere Konzerte und Besetzungen absolut unnerreicht. Doch die Stimmung innerhalb der Band ist alles andere als gut.
Bis heute hasst es Eldritch, als Begründer des Gothik-Rock gepriesen zu werden. Er hasst die Massen, die ihn auf der Bühne seine tragische Rolle spielen sehen wollen. Zu dieser Zeit beginnt er, auch seine Bandgenossen zu hassen und feuert alle drei. Der Streit um die Namensrechte endet fast vor dem Kadi. Hussey beschließt, seine neue Band "Sisterhood" zu taufen. Eldritch kommt ihm aber zuvor und bringt eine EP unter selbigem Projektnamen heraus, um sich auch diese Rechte zu sichern. Hussey und Adams gründen daraufhin The Mission.
Eldritchs einzig treuer Freund bleibt Doktor Avalanche, bis der scheue Sänger 1987 die Gun-Club-Bassistin Patricia Morrison anheuert. Auch die New York Choral Society nimmt er unter Vertrag und produziert mit ihr ein sehr hymnisches "Floodland". Das Album bringt den Sisters mit "This Corrosion" den ersten größeren Chartserfolg und bedeutet zugleich den Verlust ihres Indie-Status'.
Bis 1990 brütet Eldritch, inzwischen nach Hamburg gezogen, an seinem "Vision Thing". Die kraftvolle Umsetzung von "Ribbons" und "More" darf der deutsche Schwermetaller Andreas Bruhn beisteuern. Auf "A Slight Case Of Overbombing - Greatest Hits" fasst Eldritch verstaubte Goodies aus den 80ern auf zwei Platten zusammen und lebt von den Tantiemen wieder mit seinem Freund Doc Avalanche zusammen. Man sieht ihn danach nur noch selten auf der Reeperbahn Kippen holen oder bei einem Match seines Lieblingsfußballclubs FC St. Pauli. Von offizieller Seite heißt es zwar stets, neues Material sei trotz jahrelangem Streit mit dem Eastwest-Label in der Mache. Diese leeren Versprechungen behalten aber weit über die 90er Jahre hinaus traurige Gültigkeit.
Wie es um die interne Bandchemie aussieht, darf lange Zeit nur vermutet werden, denn nur zaghaft lockert sich Eldritch hinsichtlich verhasster Interviewanfragen und 'beantwortet' die ein oder andere Frage. So erfährt man etwa, dass Gitarrist Adam Pearson 1998 (vage) Pläne einer Sisters-Single-Veröffentlichung unterbunden habe, und auch gegen die Idee gestimmt haben soll, neue Songs ins Internet zu stellen.
Um ihrem alten Düster-Image entgegen zu treten, tritt Andrew auf einigen Festivalauftritten um die Jahrhundertwende blondgefärbt vor seine Fans, später kahlrasiert und mit Bart. Zum 20-jährigen Bühnenjubiläum wählen sie für das Tourposter ein knalliges Gelb, ihre Homepage badet in hellrot. Trotzig frieren sie das Design der Seite auf dem Stand von 1999 ein und leisten sich als 'Running Gag' die Rubrik "Record News", hinter der sich ein 404 versteckt.
An der Gitarrenposition herrscht in den Nullerjahren reges Treiben: Chris May von Robochrist ersetzt 2006 Pearson, der zu den Ur-Punks von MC5 wechselt. Zur selben Zeit stößt Gitarrist Ben Christo zur Band. Standhaft laufen derweil sämtliche, neu gestreuten Gerüchte einer Studioveröffentlichung ins Leere. Stattdessen touren die Sisters Of Mercy unablässig und kultivieren so ihren Mythos. Dazu zählt auch das 2015 veröffentlichte Vinyl-Boxset zum 30-jährigen Jubiläum des Debütalbums. Darin befinden sich neben dem Album die EPs "Body And Soul", "No Time To Cry" und "Walk Away" aus der Hussey/Marx-Ära.
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