laut.de-Kritik
Goodbye Gothic, Hello Cock Rock.
Review von Michael SchuhUnd da kommt auch schon der dritte Schlag: Nach "First And Last And Always" und "Floodland" liegt nun das finale Studioalbum der Sisters Of Mercy samt begleitender 12"-Maxis in einer opulenten Box vor: "Vision Thing". Danach wirds keins mehr geben, denn danach kam keins mehr. The Sisters Of Mercy, die größten lebenden Aufnahmestudio-Phobiker und Trockeneisverbraucher, diese drei Alben sind ihr ewiges Vermächtnis.
Ein zweites und letztes Mal bricht Chefkomponist Andrew Eldritch im Oktober 1990 (zumindest im Aufnahmekontext) mit den Erwartungen seiner Fans und eröffnet das letzte Sisters-Album mit ungeahnt breitbeinigem Prollrock, der die Kreuzschritt-Anhängerschaft im Disko-Schwarzlicht gehörig ins Stolpern bringt. Was soll das sein? Die neue The Cult? Die depressive "Floodland"-Grundstimmung geleitet Eldritch zügig zur Tür und Sängerin Patricia Morrison bei der Gelegenheit gleich mit. Für straighte Cock Rock-Nummern wie "Detonation Boulevard" braucht es schließlich keine Frauen.
"Vision Thing" ist nach dem ausschweifenden Pathos des Vorgängers eine knackige Angelegenheit, nah am Metal gebaut und bolzt mitunter in räudiger Iggy-Manier voran, was natürlich auch an der neuen Bandbesetzung liegt. Zu dem unkündbaren Doktor Avalanche gesellen sich nun Ex-Sigue Sigue Sputnik-Basser Tony James, Eldritchs Hamburger Kumpel Andreas Bruhn und Tim Bricheno (Ex-All About Eve), die dem Wunsch des Maestros, mehr wie Motörhead ("Doctor Jeep") zu klingen, brav Folge leisten.
Inhaltlich hadert Eldritch in erster Linie mit Weltpolitik und ledert gegen George Bush Senior ab, der im Vorfeld der Präsidentschaftskampagne 1988 auf den Vorwurf, keine langfristigen Visionen für Amerika zu haben, nur entgegnete: "Oh, the vision thing". Zahlreiche Zeilen aus dessen öffentlichen Auftritten soll der Musiker in diese Songs gepackt haben, was man auf diversen Sisters-Fanseiten nachlesen kann. Die Tatsache, dass Eldritch sich zum politischen Weltgeschehen Gedanken macht, mag ehrbar sein. In der Abgeschiedenheit der Puk Studios in Dänemark, wo kurz zuvor Depeche Mode ihren Meilenstein "Violator" in Form brachten, gelingt ihm auch ein ordentliches Album, das im direkten Vergleich zu den Vorgängern dennoch klar abfällt. Man kann das Rad eben nicht drei Mal erfinden.
Außer dem symphonischen und wie "This Corrosion" von Jim Steinman (Meat Loaf) produzierten "More" existieren praktisch keine Soundübereinstimmungen zum barocken "Floodland", was viele alte Fans entsetzt. Für die härtere Rock- bzw. Metal-Fraktion türmt Eldritch wiederum zu viel Halleffekte auf ("Ribbons"). Der Begriff Industrial-Rock war 1990 auch gerade erst am Entstehen. Songs wie das halbakustische "I Was Wrong" oder "Something Fast" gehören sicher zu den besten Momenten des ganzen Sisters-Katalogs. Wenn Eldritch aber die Zügel anzieht und einen auf Rock'n'Roll-Hellraiser macht, wie in "Detonation Boulevard", "Doctor Jeep" oder "You Could Be The One" verflacht das Songwriting zusehends. Mit 26-jährigem Abstand sind gerade diese Songs nicht besonders gut gealtert.
"Vision Thing" gerät trotzdem schnell zum bestverkauften Sisters-Album, in Deutschland darf Eldritch eine Goldene Schallplatte für 250.000 verkaufte Exemplare in Empfang nehmen. In London spielt die Band zwei Abende in der Wembley Arena, in den USA tourt sie mit Public Enemy. Im Rückblick umso kurioser, dass Eldritch danach einen Endlos-Krieg mit seinem Plattenlabel Eastwest anzettelt und die Compilations "Some Girls Wander By Mistake" (1992) und "A Slight Case Of Overbombing" (1993) nachschiebt, anstatt sich mit weiteren Alben den Platz zu erspielen, den nach ihm Leute wie Trent Reznor einnehmen. Auf "Vision Thing" strebt Eldritch zu sehr anderen Vorbildern nach, als die eigenen Stärken auszuspielen.
Aber wen interessiert's? Dieses Vinyl-Boxset richtet sich wie alle vorherigen an Sammler, die auch Bock auf eine Achteinhalb-Minutenversion von "More" haben oder eine lausige Liveversion des schönen Dylan-Covers "Knocking On Heaven's Door" (Bootleg-Aufnahme!) für lebensnotwendig erachten.
6 Kommentare mit 14 Antworten
Gibt es echt noch Übriggebliebe, die diesen piefigen Kram hören? Ich bin schon in den 90ern immer geflüchtet, wenn die Idioten zum 1000. mal die Tanzfläche zu Temple of live geflutet haben. Gleicher Nervfaktor wie Hippies hate water.
Love natürlich.
ja aber auf diesem Ding gibt´s doch gar keinen Temple of love?
temple of love war auf keinem der 3 Studio Alben drauf. Auch nicht auf den remasterten alben. der song erschien das erste mal 1983 als single (ohne ofra haza). wurde dann 1992 noch einmal als single (diesmal mit ofra haza) veröffentlicht
der Song ist nur auf folgenden alben drauf:
a slight case of overbombing - greatest hits volume 1
some girls wander by mistake
More war mindestens genauso schlimm.
"Für straighte Cock Rock-Nummern wie 'Detonation Boulevard' braucht es schließlich keine Frauen."
Maggie Reilly ist übrigens Schottin mit irischen Wurzeln. Das ist so 'ne Kombination, die man besser sehr, sehr ernst nimmt. Bei den Männern ist es so, daß sie einen ziemlich herzlos mit Flüssigkeiten unter den Tisch trinken, die Nebenwirkungen haben, die man hierzulande auf keinem Medikamentenbeipackzettel findet, oder wahlweise beim nächsten Baumstammwurf etwas ungünstig zielen, wenn man sie nicht ernst nimmt oder ihre Leistungen in Frage stellt. Ich glaube, daß die Frauen aus dieser Region auch einiges drauf haben, das einem unhöflichen Rezensenten nachhaltig das restliche Leben versaut. Oder unschön verkürzt. Ich würd's nicht drauf anlegen.
Gruß
Skywise
Bezüglich dieser Billigfuselversion ihres Sounds rollen sich für mich immer noch die Fußnägel hoch. Aus ironischer Distanz hat die Platte vielleicht ihre Momente, aber im Grunde will ich gar nicht darüber nachdenken.
Ich will über gar keine Sisters-Platte nachdenken. Wenn es diese Band niemals gegeben hätte, wäre uns viel "Gothic Rock"-Elend erspart geblieben.
Bei den meisten Sachen ab Floodland durchaus zutreffend. Aber Eldritch spielt eh seit Jahrzehnten die Rampensau. Ein Album wird es da so schnell nicht mehr geben.
Großes Album!
Nein.
Über die vier Buchstaben hat der Toni wirklich nach gedacht, sicher bin.
fünf grins da war der Elfmeter......
Da braucht man nicht groß nachdenken, wenn man als Liebhaber des Debüts den Schmonz freiweillig auf Gesamtlänge über sich ergehen lässt - im nüchternen Zustand.
Respekt...nüchtern!
Letzte Cult war tatsächlich noch desaströser.
Wie nicht nüchtern?
Gary King gefällt das.
Nochmal zu Floodland:
Es gibt sehr unterschiedliche Aussagen der Beteiligten darüber, ob und wie umfassend Patricia Morrison tatsächlich an dem Album mitgearbeitet hat. Da ich nicht dabei war, vermag ich nicht zu beurteilen, wer da Recht hat.
Unstrittig ist aber eigentlich, dass sie niemals für die Sisters gesungen hat.
Ach ja, überraschenderweise finde ich Vision Thing ziemlich großartig. Abgesehen von Detonation Boulevard.
Nicht das beste Album von TSoM, aber immer noch genial