laut.de-Kritik
Drei EPs, ein Meilenstein, ein Mythos.
Review von Michael SchuhGibt man den Namen Andrew Eldritch bei Google ein, liefert die Suchmaschine die Autocomplete-Vorschläge "Krebs", "dead" und "Hamburg". Besser lässt sich die aktuelle künstlerische Leistung der Sisters Of Mercy bei aller Wertschätzung kaum umschreiben. Seit 22 Jahren ist kein neuer Song erschienen, und für die kommenden 22 würde ich mich in diesem Punkt auch nicht verbürgen. Im Gegensatz zu den Pixies wird Andrew Eldritch wohl eher nicht klein beigeben und seinem zum Mythos gewordenen Schaffen ein neues Studio-Kapitel anfügen, was man nun konsequent oder feige nennen darf.
Da der Debüt-Klassiker "First And Last And Always" seit diesem Frühjahr 30 Jahre auf dem Buckel hat, schien aus Labelsicht der Zeitpunkt für eine Neuauflage günstig. Dass dieser Gedanke nun in Gestalt einer durchaus gelungenen Vinyl-Box Realität wurde, verwundert vor allem auch deshalb, weil davon auszugehen war, dass Eldritch sich nicht für Ideen von Menschen aus der Labelbranche interessiert.
Lieblos kann man das Re-Release jedenfalls nicht nennen: Die Box beinhaltet neben dem Album die drei EPs jener Zeit in den Original-Artworks auf 180g-Vinyl: "Body And Soul", "No Time To Cry" und "Walk Away". Für viele interessanter: Ein Download-Coupon für alle Tracks liegt ebenfalls bei. Dass ich nach Eingabe des Codes die Information "Files not found" erhalte, ist hoffentlich nur ein einmaliger Fauxpas. Schließlich waren die Songs "Body Electric" in der 1984er Version und "Afterhours" bislang nicht digital erhältlich.
Das Studioalbum selbst bleibt natürlich über alle Zweifel erhaben, auch wenn ich persönlich ein Anhänger des Nachfolgers "Floodland" bin. Tatsache, dass die Sisters sich bis zu "Vision Thing", also vor dem aus heutiger Sicht zum Bandtod führenden Endlosstreit mit dem Eastwest-Label, stetig weiter entwickelten und neue Nuancen in ihren Sound einarbeiteten. In der '85er-Phase prägte Wayne Hussey den Sound maßgeblich und versah die düsteren Grundtöne mit dem poppigen Folk-Anstrich seiner 12-String. Daher befinden sich (leider) auch nicht alle älteren EPs in der Box (erst recht keine Flexi Disc), denn auf "Reptile House" und Co. verwaltete noch Hussey-Vorgänger Ben Gunn die sechs Saiten.
Eldritch selbst machte in einem Interview im Jahr 2011 keinen Hehl aus der Ursache des eingängigen Materials: "Es war Wayne Husseys Einfluss. Jedes Mitglied kann den Sisters-Sound verändern, wenn man überzeugend ist. Wir mögen das. Das Tolle daran, in einer guten Band zu spielen ist, dass man sich überzeugen lässt." Vielleicht liegt in diesen altersweisen Worten gar der Schlüssel für die Veröffentlichung dieses Boxsets: Andrew lässt sich heutzutage einfach gerne überzeugen.
Im selben Gespräch lässt er kein gutes Haar an der Produktion, weshalb man diesen Job auf dem Nachfolger selbst in die Hand genommen habe. Stimmt: Im direkten Vergleich zu der mit typischer 80er Jahre-Hall-Faszination auf Hochglanz getrimmten "Floodland"-Produktion klingt "First And Last And Always" beinahe schon erdig. Das Album schaffte es in Großbritannien bis auf Platz 14, in Deutschland immerhin in die Top 40.
Wenn man heute bei der Nennung des Bandnamens nicht an die unschönen Google-Vorschläge denkt, dann an die zweite "Temple Of Love"-Version mit Ofra Haza oder eben an "Marian", Husseys und Eldritchs dunkelste Stunde und gleichzeitig der Sargdeckel auf dem seither nie mehr losgewordenen Gothic Rock-Attribut. Bei "A Rock And A Hard Place" denkt man wiederum eher an das hier. 1985 war neben Hussey noch Gitarrist Gary Marx mit von der Partie. Interessanterweise zeichnet der für die komplette musikalische B-Seite des Albums verantwortlich, also auch für das erhabene Titelstück.
Von den EP-Tracks stellen die frühen Hits "Body And Soul" und "Body Electric" die Glanzlichter, aber auch das treibende "Train" oder die Marx-Komposition "Poison Door" zeigen die Qualitäten dieser 'zweiten' Sisters-Formation auf. Selbstverständlich befinden sich in der Box keine neuen Informationen zu einzelnen Songs oder dem Werk an sich. Wie seit eh und je lässt die Band ihre Musik für sich sprechen. First And Last And Always.
2 Kommentare mit 6 Antworten
Das mit dem Download-Code ist natürlich mal wieder ein Knaller. Ansonsten: immer noch ein großartiges Album, tolles Beiwerk, schönes (nicht sehr billiges) Paket. An dem Mr Eldritch vermutlich ebensowenig Geld verdienen dürfte wie die Herren Adams, Hussey und Marx.
Yep@Code-Fail. Warner hat sich noch nicht zu dem Thema zurück gemeldet. 50 Euro geht schon halbwegs klar für die vier Releases, is ja auch ne wertige Box. Dass Eldritch dafür Kohle sieht, denk ich aber schon. Das Ding wurde nicht über Nacht konzipiert.
Meines Wissens hat er sämtliche Verwertungsrechte abgetreten. Auch die anderen re-Releases der letzten Jahre passierten ohne sein Zutun. Und auch da gab es ja reichlich Fehler.
Welche Fehler meinst du?
Ich bin über die (gelungenen) 2006er CD-Remasters erst so richtig auf die Band aufmerksam geworden.
Bei der Vision Thing ist die Beschriftung teilweise fehlerhaft (Visioin Thing) und bei den Live-Stücken ist ein übles Rauschen zu hören. Bei FALAA schwankt die Lautstärke zwischen den Stücken ziemlich zwischen Album und Bonus-Tracks. Nur bei Floodland gibt es nichts zu meckern.
Ok, das wusste ich nicht. Seltsamer Move vom Eldritch. Muss ja nen Berg Kohle gegeben haben, um sich auf so nen Schwachsinnsdeal einzulassen ...
@vicus:
Alles klar. Vision Thing besitze ich nicht, aber was du schreibst klingt fast nach übler Abzocke.
Bei FALAA dachte ich der schwache Sound läge an den Aufnahmbedingungen.
Ist mir natürlich nicht klar, warum man in einer Vinyl Box, die eigentlich von Vinylfans gekauft wird Digitalschrott haben muss- aber gut...