laut.de-Kritik

Vor schillerndem Hardrock regierte zarter Irish Folk.

Review von

1971 waren Thin Lizzy noch keine Hardrocker, sondern vorzugsweise akustisch unterwegs, außerdem eine No-Name-Band und spielten "Eire" und "Dublin", famose Balladen. Sie hatten zwar einen Vertrag mit der Decca, deren Manager sich immer noch in den Hintern bissen, weil sie die Beatles am Neujahrstag 1962 abgelehnt hatten. Aber wirklich bekannt wurde die dünne Lissie erst im Jahr nach "Eire", mit dem Traditional "Whiskey In The Jar", das aus Irland stammt, uralt war, ab den 1850ern auch in Papierform dokumentiert. Die Iren Lynott, Downey und Bell adaptierten das Volkslied, das ursprünglich von einem Gangster handelt, der davon lebt, Reisende in Pferdekutschen zu überfallen und auszurauben. Der erfolgreiche Räuber hat aber Liebeskummer, ertränkt ihn in Whiskey - und zwar führt er sich gleich eine ganze Maß zur Brust.

Der Hit war geboren, als der Schotte Tommy Scott als Produzent der Pub-Folker The Dubliners in den Sechzigern einen fruchtlosen Hit-Versuch unternommen hatte und mit Lynotts Crew unbeirrt einen neuen Anlauf wagte. Als die Lizzys Ende 1972 im Vorprogramm von Slade damit die Menge anfeuerten, liebten die Leute sie. Alle weiteren Chartsbreaker der Band datieren wesentlich später, aus den Phasen, als dann Gary Moore erst sporadisch, dann für mehrere Tourneen und LPs zur Band stieß, während der Sound sich verhärtete, elektrischer, aggressiver, dumpfer wurde, zeitweise mit Robertson/Gorham als einander duellierende Lead-Gitarristen. Die "Acoustic Sessions" zeigen hingegen die Anfänge der Gruppe als Trio in zahmen Aufnahmen. Sie entstanden als Zufallsprodukt beim Remastern von Bonustracks zu einem anderen Lizzy-Re-Release. Einige der jetzigen Versionen sind wundervoll.

Die Tracks aus den early years wurzeln im Folk, liefern sogar keltische Einflüsse, "speaking the Celtic tongue" wie es in "Eire" heißt, und wurzeln im Blues. Dem Debüt "Thin Lizzy" entstammen dieser Song sowie "Remembering". EPs waren in den Seventies zwar ein rares Format, aber noch nach dem Debüt nahmen Lizzy eine auf. Auf ihr befand sich das entsprechend weniger verbreitete, aber interessante "Dublin". Phil Lynott zählt Straßen und Plätze auf, skizziert die Ambivalenz, mit der es ihn gleichzeitig dort hält und von dort weg treibt: "With laugh and joke and smoke / how can I leave the town / that brings me down / that has no job / is blessed by God / it makes me cry". Diese Unplugged-Version ist Premium!

"Shades Of A Blue Orphanage" ist das Titellied des zweiten Longplayers von 1972. "Whiskey In The Jar" war eine Single, dort sonst sechs Minuten lang, hier viel kürzer, samt Trommelei auf Gitarren-Holz, Warnung vor dem Teufel, in klagend-verzweifelter Stimmlage, Rembetiko-ähnlich, aber eben in irischem Bouzouki-Stil, nur leider nicht allzu mitreißend. Das wortspielreiche "Here I Go Again" fand sich 1973 als B-Seite auf dem Rücken von "The Rocker", ist dort wesentlich kürzer und in der nun vorliegenden Fassung ein grandioser, bekiffter Theater-Monolog mit musikalischer Umrahmung über die Träume zur See ziehender Outlaws (nicht der gleichnamige Whitesnake-Song).

Der Sehnsuchts-Beißer "Slow Blues" 1973 weist mit E-Gitarre den Weg Richtung Gegniedel und härterer Gangart. "You don't know how much I'm missing you", jammert Lynott. Dieser Track hat wiederum im funky Original mehr Vibe und findet seinen Ursprung ebenso auf der dritten LP "Vagabonds Of The Western World" wie "A Song For While I'm Away" und "Mama Nature Said". Letzteres ist ein unglaublich intensives Lied, über Gefahrenbewusstsein hinsichtlich der Selbstzerstörung, ein Appell an Reue, und lässt sich auf zwei Ebenen lesen.

Einmal wortwörtlich: Dann ist es ein früher Fridays for Future-Song, ein Plädoyer für den Umweltschutz mit eindeutigen Zeilen wie "birds and bees are telling me" und "you're killing my rivers". Der Kontext ist die erste Ölkrise ein paar Tage nach Erscheinen der LP. Eine ökologische Bewegung hatte sich formiert. 1971 hatten sich die Friends Of The Earth unter anderem in Paris, Stockholm und London gegründet, 1972 zum Beispiel die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen. Das Lied entsteht Mitte 1973, da war Phil arg früh dran und geographisch auch noch nicht so betroffen.

Von daher scheint eine andere Interpretation plausibel: Im übertragenen Sinne steckt das Thema Drogenmissbrauch drin, das etwa im Schlüsselsatz "Deep down, you're dirty, too" lauert. "You're killing my rivers" kann sich auch auf den Menschen beziehen, dem die Drogen seine Lebensadern zerstören, denkt man an Phils eigenen Intoxikations-Tod knapp 13 Jahre später. Der Struggle mit den Drogen-Dämonen begann womöglich früh. Gleichwohl ist aus den frühen Jahren, in denen der Sänger sich hinter seiner Introvertiertheit versteckte, wenig bekannt, aber durchaus erste Auffälligkeiten wie eine Hepatitis-Erkrankung. Heroin mag erst viel später ins Spiel gekommen sein, doch der Suff ergriff ihn wohl damals schon und erleichterte seine Verwandlung ins Bühnen-Alphatier. Die Formulierung "du siehst den Wald vor lauter Bäumen nicht" lässt sich dreifach lesen, bezüglich Waldsterben (eher aber in den 80ern ein Thema), dann hinsichtlich des großen Zusammenhangs ökologischer Spätfolgen für spätere Generationen und außerdem in Bezug auf Lynotts Wahrnehmungsprobleme, zumal ihm im Showgeschäft die Selbstkontrolle flöten ging und die Performance hinter der After-Party zurück trat.

Der intime Charakter des Songs tritt hier besonders hervor, auf den Kern zurück geschmolzen, entblättert. Tragik führt das Lied jedenfalls in dieser gesangszentrierten Darbietung eindrucksvoll vor Ohren. Haften bleibt insbesondere Lynotts Wolfsgeheul in der Line "I got no solutions to your pollu-lu-lu-lution". Hier im neuen Remaster fesselt die frisch gejammte Acoustic Guitar-Lead-Spur Eric Bells. Auf ein langes Solo wurde leider verzichtet - es hätte sich gelohnt.

"Slow Blues" profitiert in jedweder Version vom orchestralen Schlagzeug. Brian Downey spielte originell. Empfohlen sei aber besonders die "Alt. Version" auf der "Vagabonds"-Deluxe-Box. Aus ihr entstand das Album "Acoustic Sessions". Zur Stripped-Down-Machart erzählt der überlebende Musiker Eric Bell: "Ich erinnere mich an die Aufnahme von 'Eire' von unserem Debütalbum. Ich spielte die 12-saitige Akustikgitarre während des gesamten Stücks und setzte die E-Gitarre oben drauf." Diese modulare Aufnahme-Technik hilft heute. Denn was man vor fünf Jahrzehnten zusammen fügte, lässt sich heute wieder auseinander pflücken. "Das war vor kurzem im Studio in Belfast nützlich, wo wir neue Gitarrenparts aufnahmen, (...) indem wir die originalen Akustikparts neu aufnahmen und den Gesang hinzufügten, den Philip damals aufnahm, sowie die originalen Schlagzeugparts, die Brian bei den ursprünglichen Aufnahmesessions erfand." - Diese anderen Mixes, aus denen die Idee hervorging und über die Eric hier spricht, finden sich auf der "50th Anniversary Deluxe Edition" von "Vagabonds Of The Western World".

"Shades Of A Blue Orphanage" erzählt Kleine-Jungs-Fantasien von Heldentum und großer weiter Welt mit Stolz auf die irische Heimat und lokale Schauplätze (Schrottplatz, Kino, Billard-Halle) ausgehend von einem Kinderfoto, das man auf der Original-LP auf dem Cover sieht. Sieben Minuten lang währt das ruhige, atmosphärische Stück. Im Verlauf gewinnt es etwas Geheimnisumwobenes hinzu, einen Touch Psychedelic, durch den Einsatz eines Harpsichord im Hintergrund in der zweiten Liedhälfte und mehrstimmigen Harmoniegesang. Lynott vermochte toll zu erzählen, und hier tritt seine Vortragskunst unverstellt hervor. Die Aufmachung verabschiedet sich von der hinderlichen Softpop-Jazz-Politur des ursprünglichen Albums und entledigt den schönen Song seiner lästigen Keyboard-Filter.

Wer die Wurzeln der legendären Gruppe verfolgen möchte, erhält mit dieser Zusammenstellung einen ungemein starken Eindruck der Band-Ursprünge im Irish und Celtic Folk, auch wenn sie sich dann zu einer der schillernden Hardrock-Formationen entwickelte. Die Ironie der Geschichte: Nach den vorliegenden Songs der ersten drei Alben machte Decca Schluss mit der Combo. Bei der nächsten Plattenfirma schlug Phil Lynott ein neues Kapitel auf und wurde für die nächsten sieben Platten zu deren Cash-Cow.

Trackliste

  1. 1. Mama Nature Said
  2. 2. A Song For While I'm Away
  3. 3. Eire
  4. 4. Slow Blues
  5. 5. Dublin
  6. 6. Whiskey In The Jar
  7. 7. Here I Go Again
  8. 8. Shades Of A Blue Orphanage
  9. 9. Remembering Pt. 2 (Acoustic)

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2 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor einem Tag

    Sorry, aber dieses aus alten Versatzstücken und neu eingespielter Gitarre zusammengeschusterte Werk hat doch nichts mehr mit der Band Thin Lizzy zu tun. Das ist Leichenfledderei und Geldmacherei.
    Ganz davon ab ist es auch noch einfach langweilig und schon deshalb ein Schlag ins Gesicht des Vermächtnisses dieser grandiosen Band und ihres Herzstücks Phil Lynott.

    Zum Rezensenten nur soviel, der konnte sich wohl nicht entscheiden ob er eine Band-Bio, Philosophische Betrachtungen zu Songtexten oder ganz am Rande doch eine Rezension dieses Albums schreiben soll.
    Rausgekommen ist ein nur schwer lesbares Durcheinander, dass so gut wie nichts über die Qualität dieser Veröffentlichung aussagt. Dazu würde nämlich gehören, dass man wenigsten am Rande erwähnt, wie clean die Songs auf diesem Album klingen und wie inhomogen Gesang, Schlagzeug und Gitarre nebeneinander stehen.
    Die ganze Veröffentlichung klingt extrem nach KI spielt Thin Lizzy.

    • Vor einem Tag

      von Dir wurde ja schon beschrieben, warum eine Rezension in die Sinnlosigkeit führt. Also hat man irgendwas geschrieben.

    • Vor einem Tag

      Der Rezensent findet halt nicht, dass Gesang, Schlagzeug und Gitarre inhomogen nebeneinander stehen. Ganz im Gegenteil.

    • Vor einem Tag

      Dann hat der Rezensent einen eher eigenwilligen Geschmack, denn wenn es klingt, als würden da drei CDs auf drei verschiedenen Anlagen laufen, eine mit Gitarre, eine mit Gesang und eine mit Schlagzeug, dann klingt das nicht wie ein homogenes Album.
      Doch selbst wenn der Rezensent das als homogen empfindet, dann hätte er dazu doch bei so viel Text auch noch vernünftig auf den Klang der Veröffentlichung eingehen können.
      Das diese Veröffentlichung komplett anders klingt, als alle anderen Veröffentlichungen von Thin Lizzy und somit auch nicht in den Gesamtkatalog passt, hätte doch mindestens auffallen müssen.

    • Vor 23 Stunden

      Ich mag Inhomogen Heap auch nicht sehr, die geht mir auf Uriah.

  • Vor einem Tag

    Dieser Kommentar wurde vor einem Tag durch den Autor entfernt.