laut.de-Biographie
Toundra
"Wenn Leute uns zum ersten Mal live sehen, erwarten sie oft Musiker, die die ganze Zeit auf ihre Füße starren", erklärt Esteban Girón ein gängiges Missverständnis bezüglich Toundra. "Aber wir kommen aus der Madrider Hardcore-Szene. Wir lieben Fugazi und At The Drive-In – warum sollten wir also nicht genauso abgehen wie sie? Nur weil wir keinen Sänger haben?"
So kann es schon mal vorkommen, dass man bei einer Show der Post-Rocker ein paar Blutspritzer abbekommt, weil der Nebenmann seinen Kopf beim Headbangen gegen die Monitorbox gerammt hat, während Girón seine Gitarre gegen den Boxenturm drischt. "Wir sind eine Post-Rock'n'Roll-Band", meint dieser.
Die Musik der Spanier lebt aber nicht nur von mächtigen Ausbrüchen, sondern vor allem von filigranen, ruhigen Harmonie-Passagen. Russian Circles, Explosions In The Sky und Long Distance Calling dienen als Vergleichsgrößen. Erstmals erscheinen Toundra 2007 auf der Bildfläche. Die zuvor unter anderem bei Nacen De Las Cenizas und Ten Minute Man aktiven Musiker Girón (Gitarre), Víctor García-Tapia (Gitarre), Guillermo (Schlagzeug) und Alberto Tocados (Bass) finden sich und veröffentlichen gemeinsam die instrumentale EP "I". Im Jahr darauf erscheint das gleichnamige Debütalbum.
Kurz nach diesem Release verabschiedet sich der öffentlich nachnamenlose Guillermo wieder aus der Band und macht Platz für Álex Pérez, der Toundra ungleich länger erhalten bleibt. Mit ihrem zweiten Album "II" erspielen sie sich in der Heimat formidable Bekanntheit, nach Auftritten beim Primavera Sound Festival (2010 und 2011) rekrutiert man auch Fans im Ausland. "III" tut ein Übriges für die Konsistenz.
2013 folgt der nächste Besetzungswechsel: García-Tapia sagt Tschüss, David Maca a.k.a. David Lopez a.k.a. Macón unterstützt Girón fortan an der Gitarre. Zusammen spielen sie "IV" ein, das über die InsideOut-Tochter Superball Music erscheint. Ein sensationeller zweiter Platz in den spanischen Albumcharts markiert den bisherigen Höhepunkt in der Karriere der Instrumental-Rocker. Das Mondosonoro-Magazin wählt die Platte in der Folge zum Album des Jahres 2015.
Auch die Labelbosse goutieren die Leistung der Band und holen sie für den Nachfolger zu InsideOut. Die Nummerierung setzen Toundra nun zum ersten Mal aus. "Vortex" benennen sie nach dem Vortex Surfer-Konzertclub in Siegen, Deutschland – als Hommage an all die Leute, die ihnen im Lauf ihrer Karriere Auftrittsmöglichkeiten gaben.
Um allzu tiefschürfende Themenkonzepte machen die Spanier aber gemeinhin einen großen Bogen. "Eigentlich sind all unsere Songtitel Insider-Witze", grinst Girón. "Es läuft meistens so, dass wir die Titelfindung bis zum Schluss des Songwriting-Prozesses aufsparen. Dann haben wir zum Beispiel acht Tracks – und brauchen acht Namen dafür." Auf "Vortex" bedienen sich die Musiker unter anderem bei Steven Spielberg. Weil eine Melodie in "Roy Neary" sie an die Alien-Kommunikation in "Unheimliche Begegnung Der Dritten Art" erinnerte, benannten sie das Stück kurzerhand nach der Hauptfigur des Films. "Und 'Cobra' ist inspiriert vom Cobra Commander aus 'G.I. Joe', hehe."
Während Post-Rock-Kollegen wie Long Distance Calling im Lauf ihrer Karriere auch mal mit Gesang experimentieren, schließen Girón und seine Kollegen Vocals dies in ihrer Musik kategorisch aus. "In Toundra werden wir niemals eine Stimme integrieren. Wir sind vier Freunde, wir sind Toundra und möchten nicht, dass uns noch jemand in die Musik reinquatscht. Sollten wir ein Album mit Gesang machen, passiert es unter dem Banner eines Nebenprojekts."
Ein solches Nebenprojekt ist Exquirla. Für dieses arbeiten Toundra mit dem Flamenco-Sänger Nino de Elche. Gemeinsam veröffentlichen sie 2016 das Album "Para Quienes Aún Viven". Stilistisch ergeben sich durchaus Parallelen zur Hauptband, die auch dort vorhandenen Flamenco-Einflüsse intensivieren die Musiker aber. "Flamenco ist wichtig für uns. Es hebt sich von der typisch okzidentalen Kultur ab. Wir müssen Aufmerksamkeit dafür hochhalten", erklären sie.
Für beide Projekte gilt Toundras Verständnis von Musik: "Musik ist das einzige auf der Welt, bei dem jeder weiß, warum ein Lied traurig klingt, warum ein anderes fröhlich klingt. Jeder hat eine eigene Erklärung dafür, aber wir alle verspüren beim Hören einer Melodie ähnliche Emotionen." Und Gesang ist dafür eben nicht zwingend nötig.
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