laut.de-Kritik
Energetischer Post-Rock'n'Roll aus Spanien.
Review von Manuel BergerToundra ruhen nicht gerne. Das weiß man spätestens, wenn man sie live erlebt hat. Statt wie im Post Rock üblich mit atmosphärischer Lightshow und sturem Blick auf Arthouse zu machen, toben die Spanier über die Bühne als müssten sie ein Hardcore-Publikum bespaßen. Demgegenüber stehen filigrane Harmonien – sowohl harter als auch zarter Natur. Siedelte das Quartett den Vorgänger "IV" eher in letzterem Segment an, forciert es die Heaviness nun deutlich.
Nach kurzem Intro donnert "Cobra" mit mächtigen Drums und aggressivem Riff herein. Nichts da mit üblicher Genre-Dynamik. Statt den Track erst minutenlang aufzubauen, bevor im Höhepunkt die vorgestellten Elemente kulminieren, stellen Toundra diesen vorne an.
Den herkömmlichen Ansatz – ruhiger, auf einer sehnsüchtigen Melodie basierender Beginn und späte Eruption – beherrschen Esteban Girón, David López, Álex Pérez und Alberto Tocados zwar ebenso ("Kingston Falls"). Doch die große Stärke der Musiker ist ihre oft völlig befreite Herangehensweise an Komposition. Das gleichzeitige Streben nach aggressiver Energie auf "Vortex" verhindert, dass die Parts zusammenhanglos ausufern.
Vom Elfminüter "Mojave" mal abgesehen, bei dem sie zu Anfang recht ausgiebig mit elektronischem Beat experimentieren und in schwerem Mid-Tempo-Groove schwelgen, überzeugt die Band durch straffe Songstrukturen. Selten verharrt sie zu lange auf einem Pattern. So bleiben die Stücke unberechenbar. Gerne verweben Toundra zwei Gitarrenmelodien ineinander, die oft zusätzlich eine interessante rhythmische Komponente aufweisen. In "Mojave" erreichen sie letztere durch Einsatz von Delay, in "Cruce Oeste" durch hypnotisches Arpeggiospiel, in dessen Fugen sich einerseits die zweite Gitarre und andererseits Pérez' Drumming einklinken.
Wer auf die instrumentalen Kapitel Long Distance Callings steht und psychedelische Klänge gern mit Ausflügen ins Brettharte kombiniert hört, kriegt auf "Vortex" die Vollbedienung. Die Grenzen des Post Rock überschreiten Toundra trotz ihrer Liebe zum Hardcore und einem spaßigen Promovideo mit den Thrash-Landsmännern von Angelus Apatrida (nachzusehen auf Toundras Facebook-Seite) zwar nie, doch innerhalb des Genres schaufeln und biegen sie sich ihre eigene Nische. Zumal sie in einem Punkt dann doch ausbrechen: in Sachen Energie. Nicht grundlos meint Quasi-Frontmann Girón: "Wir sind eine Post-Rock'n'Roll-Band!".
3 Kommentare mit 4 Antworten
wow, die sind ja toll.
Hast du das nach dem Genuss des Cobra-Videos festgestellt?
ja
Wer Toundra sagt, darf Exquirla nicht unerwähnt lassen! Das ist ein Nebenprojekt der Band, letztes Jahr erschien deren Debüt "Para quienes aún viven". Das Besondere daran: Der Toundra-Sound trifft auf Flamenco-Gesang. Unglaublich intensiv und verdammt großartig.
Wird gecheckt
Ganz fantastischer Tipp...Danke!
Das Album rauscht so an mir vorbei. Es passiert zwar sehr viel innerhalb der Songs, sie sprudeln über vor Ideen, aber es bleibt davon nichts haften, weil so viele gute Ideen und Melodien angeteasert, aber zu wenig ausgeschöpft werden. Und es wird mir in den ruhigeren Passagen viel zu wenig Atmosphäre aufgebaut, bevor es direkt wieder upbeat nach vorne geht, zu wenig tension/release (auch wenn dies natürlich ein Post-Rock-Klischee ist, das für mich aber dazugehört). Den Vorwärtsgang find ich dann wieder zu langweilig, weil er weder die Brachialität und das treibende Moment von Bands wie Russian Circles oder Caspian aufweist, noch das fiebrige Gefrickel von Bands wie 65dos oder ASOWYFA, noch einen entrückten Exzess von Bands wie Jakob oder GiaA. Ich hab mich vor Zeiten schon an Toundra I und Toundra II versucht, aber hab aus den genannten Gründen auch damals schon keinen Zugang gefunden. Fand damals schon, dass ihrer Art von Musik ne Punk-Attitüde innewohnt, die ich aller Ehre wert finde, die allerdings eher selten harmoniert mit den Gründen, warum ich Post-Rock höre. Respekt daher an das Video von „Cobra“ und seine Botschaft, denn die teile ich, aber halt nicht im Post-Rock