laut.de-Kritik
Instrumentalrock aus Spanien zwischen Eleganz und Energie.
Review von Yan VogelDie spanische Postrock-Formation Toundra nimmt sich auf dem schlicht "Hex" betitelten Album den Hass zur Brust. Die Sprache auf ihrer achten Veröffentlichung ist nur die Musik, die wie gewohnt ohne Worte daherkommt. Das dreiteilige "El Odio" ist das Herzstück der Platte: das emotionale Wechselspiel illustrieren harte, dissonante Passagen und eine schlichte wie himmlische Melodie als vermeintliches Happy End.
Aber auch die B-Seite überzeugt mit dem Saxofon-getriebenen "Watt" und dem impressionistischen "FIN" als Abschluss. "Ruinas" fällt nomen est omen schroff, zerklüftet und heavy aus. "La Larcha Marcha" hingegen setzt auf Entwicklung und die musikalische Maxime, dass der Weg das Ziel darstellt.
Der Dreiklang aus Postrock, Hardcore und Folklore verleiht der Truppe aus Madrid Kontur. Klangentfaltung, Direktheit und Bodenständigkeit zeichnen die Band aus. Wer Toundra einmal live erlebt hat, weiß, dass neben dem Einknipsen des Kopfkinos beim Hörer auch dessen Hintern einen gewaltigen Tritt erhält. Denn die Spanier stehen niemals still. Außer vielleicht bei der aus der Reihe tanzenden introvertierten Vertonung des Stummfilm-Klassikers "Das Cabinet Des Dr. Caligari".
Die Zurückhaltung legt die Gruppe auf "Hex" ab. Ihr Faible für bewegte Bilder behält sie hingegen bei. Das als Trilogie konzipierte "El Odio" veröffentlichen Toundra häppchenweise als Vorgeschmack auf die Platte und beleuchten in jedem der drei filmisch aufbereiteten Teile Kindheit, Adoleszenz und Alter des Protagonisten in erdrückender und beeindruckender Art.
Der Hass als modus movendi zwischenmenschlicher Beziehungen stellt den roten Faden dar, der die Sozialisation bestimmt und zu einem Mangel an Empathie führt. Dass die Fokussierung auf verbindende Elemente mitunter mehr Überwindung kostet, als sich einfach auf das Trennende zu versteifen, ist ein offenes Geheimnis. Die vielschichtige, sich über 22 Minuten erstreckende musikalische Umsetzung gelingt bereits überwältigend. In Bilder gegossen generiert man eine weitere Ebene, die emotionale Wucht entfaltet.
In der Produktion entfaltet die Formation eine immense Klangwirkung, verbleibt dabei innerhalb der spieltechnischen Möglichkeiten eines vierköpfigen Kollektivs. Spielt Alberto Tocados keinen Bass, verlegt er sich auf die Ausstaffierung des Soundbildes mit Synthie-Klängen. Auch die Gitarristen Esteban Girón und David López wechseln munter zwischen akustischen und elektrischen Instrumenten und tragen somit zu den diversen dynamischen Abstufungen bei.
Russian Circles, Explosions In The Sky und Long Distance Calling dienen als Vergleichsgrößen. Dabei haben Toundra sich längst emanzipiert und erreichen auf "Hex" eine Eigenständigkeit, die Eleganz wie Energie widerspiegelt und den Eintritt in die Genre-Königsklasse nach sich zieht.
1 Kommentar mit einer Antwort
Ich hab neulich mal reingehört und fand das schon ganz gut. Aber so richtig hängengeblieben ist leider auch nichts. Als vor ein paar Jahren die "Vortex" raus kam hatte ich eine kurze aber heftige Affäre damit, aber seitdem hat es nie wieder so richtig gefunkt. Aber schon ne gute Band!
Ihre volle Energie und Schönheit entfalten Toundra erst auf einer kleinen, dunklen Bühne mit drückender Anlage. Am besten gleich im Vorgänger seinen Namen gebenden Vortex. Das sind ungelogen ganz ganz spezielle Gigs.
Ich bin ansonsten auch Fan der Platten, muss aber zugeben, dass ich jetzt nicht unbedingt die ganze Diskographie bräuchte um meinen Toundra Hunger daheim zu stillen. Das Dingen hier ist ohne Frage gut, fügt ein paar Nuancen zum Sound hinzu, ohne aber das eigene Rad neu zu erfinden. Meine go to Platten bleiben II und III.
Ich kann es aber wie immer kaum erwarten die 4 endlich wieder live zu sehen. Ich könnte mir das locker einmal im Monat geben und würde immer wieder mit dem gleichen fetten Grinsen nach Hause gehen.