laut.de-Kritik
Post Punk für die Working Class.
Review von Hannes HußGute Musik aus Großbritannien ist ja schon längst ein running joke. Genauso die Angewohnheit der geneigten Fachpresse, drei gute Alben in einem Jahr zur New New New New Wave zu erklären. Deshalb nur eine ganz kurze Anmerkung zum Zustand der Musiklandschaft in Great Britian: Es sieht sehr gut aus. Black Midi, Black Country, New Road, Shame und so weiter und so fort - alles sehr junge Bands von der Insel im Ärmelkanal und alle sehr gut. Yard Act reihen sich da problemlos ein. Aber eben in ihrer ganz eigenen Art.
"The Overload" beginnt direkt mit einem Banger. Der Titelsong und Opener strotzt vor Wut, Spielfreude, politischem Witz und Anklage. Yard Act aus Leeds bringen sich direkt in Position. Immer auf der Seite der Zurückgelassenen, der Working Class, der ökonomisch Schwachen. Oder, um es kürzer zu machen, dem Norden Englands. Dort, wo die Industrie schon längst geflohen ist und eine Region voller Strukturschwäche und Verbitterung zurückgelassen hat. Dort kommen Yard Act her und dort bilden sie ihre Ansichten.
Als gute, nachwachsende Briten in einer Indie-Band haben sie natürlich ihre Gang Of Four gehört, ihre Franz Ferdinand-Anleihen gekauft und hingen ausreichend auf Sleaford Mods-Konzerten ab, um eine urtypisch britische Suppe voller Tatendrang und Einfallsreichtum zu kochen. "Witness (Can I Get A?) suhlt sich in Franz Ferdinand-Gedächtnisriffs, spröden Beats und einem brillant verkleideten Hilfeschrei der Vernachlässigten.
Kein Geringerer als Gott soll auf der Anklagebank Platz nehmen für all die Verfehlungen, die er sich gegenüber seiner Schöpfung erlaubt hat. Sänger bzw. Spoken Wordler James Smith freut sich diebisch über diese Gelegenheit. Mit der Selbstbestärkung "I'm suing ha-ha, ha-ha, ha-ha" läutet er die vielleicht unterhaltsamsten anderthalb Minuten des (noch jungen) Jahres ein, in denen sich Riff auf Riff stapeln, Call and Response-Pattern in Bottleneck-Solis übergehen und alles immer kurz vor dem Zerplatzen steht. Bei den jungen Arctic Monkeys hätte dazu noch die gesamte Indie-Disco getanzt, jetzt spring ich halt manisch durch mein Zimmer.
Aber halt, Gott kann ich nicht anklagen. Auch nicht, wie Ernst Tugendhat feststellte: Gott tritt nicht als Berufungsinstanz auf. Ich muss irgendwie anders der Misere meines Alltags entfliehen. Vielleicht werde ich ja "Rich". Genau. Ich arbeite einfach und arbeite und arbeite und irgendwann bin ich "Rich". So lautet zumindest die Geschichte des Protagonisten in "Rich". "Almost by accident, I have become rich / through continued reward for skilled labour in the private sector / and a genuine lack of interest in expensive things / it appears I have become rich". Ach, wäre das nur so einfach. Naja, dass das neoliberale Versprechen der Meritokratie eine Fata Morgana ist, ist natürlich auch Yard Act bekannt. Sie benutzen den Reichtum ihres Protagonisten viel lieber, um seinen psychischen Niedergang abzubilden. Je länger der Song geht, desto weniger Sinn ergibt er. Irgendwann sucht der Protagonist nach Vergebung durch Gott, will ein Krankenhaus kaufen und dem Neid der anderen entkommen.
Getragen wird dieses Schmankerl der Absurdität von der unfassbar trocken-stoischen Bassarbeit von Ryan Needham, die perfekt in das Schlagzeug von Jay Russell greift. Solche Vignetten-artige Kommentare zur Gegenwart sind ein bestimmendes Element auf "The Overload". Die Standout-Single "The Incident" liefert eine beißende Kritik der Bourgeoisie. Voller Selbstherrlichkeit beschreibt ein ehemaliger Tycoon der Industrie seine eigene Relevanz vergangener Tage. Seine Zeit mag vorbei sein, doch egal wie oft die Band ihm "I'm irrelevant" entgegenschreit, er will sie sich nicht eingestehen. Zu hell ist der Schein seiner vergangenen Größe, als dass er gehen könnte.
"Payday" hingegen flüchtet sich in surrealistische Bilder von Salatköpfen, die in Straßenlöchern wachsen. Anhand dieser zeichnen Smith und co. Gentrifizierung und Sozialromantik nach. "
What constitutes a ghetto? Huh? / is it growing your own lettuces in the potholes on the road / do the locals have to eat them all if they don’t sell 'em / I call potholes concrete meadows of the soul". Allein diese Strophe ist so gut, dass Hörer*innen die Luft wegbleibt. Doch Yard Act geben sich damit nicht zufrieden. Gitarrist Sam Shjipstone akzentuiert ihren trockenen Humor noch mit sägenden Riffs, am Ende übernimmt ein avantgardistische Dada-Flöte und Smith haut mit dem Refrain: "And there are starving children in Africa so go send your toy guns to Bosnia" dem selbstgefälligen Berlin Mitte-Zeitgeist des Neonliberalismus die eigenen Überzeugungen um die Ohren.
Solche Vignetten voller Zynismus und Klugheit wären natürlich schon Grund genug, "The Overload" zu loben, auch wenn sie nicht immer ganz sitzen. Manchmal schleicht sich auch eine Redundanz ein, die Anlass zur Sorge geben könnte. Dann, wenn alle Vignetten gezeichnet sind und jeglicher jugendlicher Überschwang aufgebraucht ist. Zum Glück sind diese Konjunktive egal, wenn "Tall Poppies" verklungen ist. Sechs Minuten 20 nimmt sich Smith, um nonchalant die Lebensgeschichte eines Dorfhelden zu erzählen. "He was the most handsome in the class of 22 / and he knew it early on / so his confidence grew too".
Also ein bisschen so wie Connor, die Hauptfigur in "Normal People". Doch während Connor in die Großstadt zieht, sich selbst neu erfindet, seinen Problemen stellt und die Welt kennenlernt, bleibt unser Dorfheld in seinem Dorf. Schon mit 16 entscheidet er sich für die Karriere als Immobilienmakler, schläft mit den Schönheiten des Dorfes und lässt sein Leben als größter Fisch eines winzigen Teichs an sich vorbeiziehen. Dorffußballkarriere, Ehe, Ferienhaus, Kinder, alles ist irrelevant. All das erzählt Smith spöttisch in einem melodischen Singsang. Musikalisch erinneren die Jangle-Gitarren ein bisschen an Courtney Barnetts "Depreston", bis die Krebsdiagnose den Dorfhelden einholt. Smith steigert sich gemeinsam mit seiner Band, das Tempo zieht an, die Gitarren geht in Lauerstellung: "So get yourself checked, book yourself an appointment"
Doch da endet es nicht. Nur kurz fällt "Tall Poppies" noch einmal auf seinen Protagonisten zurück, erzählt von der Beerdigung dieses durch und durch gewöhnlichen Menschen, bis sich die wahre Botschaft des Songs offenbart: Es ist ein zutiefst humanistisches Werk, das Yard Act hier aufziehen. Voller Trauer gibt Smith jegliche Sangesmelodie auf und erzählt, wie in Trance vom menschlichen Dasein: "So many of us just crabs in a barrel / With no feasible means to escape the inevitable cull."
Was soll dem noch hinzugefügt werden? Vielleicht wissen es ja die Aliens, die in "100% Endurance" die Erde besuchen. Zu deren Ehren holen Yard Act nochmal ihre schönste Courtney Barnett-Verneigung aus dem Handgepäck und verabschieden sich in style.
5 Kommentare mit 6 Antworten
'Payday' ist ja wohl mal der absolute Hammer.
Attitüde ziemlich cool, der Vortrag schlaucht aber schon auf Albumlänge.
OhmeinGottOhmeinGottOhmeinGott!!! Wie geil ist diese Platte bitte? Der skelettierte Kühlschrank Funk der Talking Heads zu Remain In Light Zeiten trifft sich mit der Pub Rotze der Sleaford Mods um zusammen in die IWW einzutreten. Ich will tanzen und dabei den nächsten Apple Store abfackeln. ICH LIEBE ALLES AN DIESEM ALBUM!!!!!
Noice, das hält doch definitiv dazu an den Rest vom Album zu checken. wie gesagt, Payday finde ich ultra nice, den Rest hab ich noch nicht gecheckt
Etwas redundant was ich da schrieb, aber ist okay, ich bin betrunken
komm mal um die ecke, auf'n Licher, Bruder!
Licher? Dann lieber Eigenurin
Aufgesetzt und bemüht. Poshe Typen aus gutem Hause LARPEN als working class lads. Dazu ein Sänger, der zwar eine große Fresse, aber partout nichts interessantes zu sagen hat. Lieber höre ich mir eine Fall Platte aus ner üblen Phase an als das hier. Der überflüssigste Hype des Jahres bisher.
Ja, na gut, auf die Mucke muss man ja keinen Bock haben, den Rest der Argumentation finde ich ziemlich fragwürdig. Ich weiß nix über den sozialen Hintergrund der Band, aber "Die sehen posh aus, die sind ja gar nicht working class" ist im HInblick auf die Mods popkulturell ziemlicher Quatsch und darüberhinaus auch noch klassistisch a.f.
Und bei dieser "die sind ja aus gutem Hause, die dürfen sich ja gar nicht so und so politisch äußern" Nummer würde ich mal die Beschäftigung mit dem sozialen Background von Engels empfehlen.
Alles in allem: was zum Fick?
Das Album fetzt schon ziemlich! Hype is gerechtfertigt!