laut.de-Kritik
Diese Musik greift nicht nur nach deinem Herzen ...
Review von Michael EdeleVon vier Finnen, die Metallica-Songs auf Celli nachspielen, über ein Quartett, das harte Musik für klassische Instrumente schreibt, hin zu einem Trio, das in dieser Art einzigartig ist: Die Story von Apocalyptica liest sich wie eine Traumkarriere. Ein Phänomen sind die (nun noch) drei Finnen nach wie vor, auch wenn sie sich der gängigen Vorstellung einer normalen Band langsam annähern. Doch werden sie damit nicht auch gewöhnlich? Diese Frage muss man sich definitiv stellen, wenn man mit einem Song wie dem Opener "Life Burns!" konfrontiert wird.
Auch wenn es sich bei dem Lied, dem The Rasmus-Sänger Lauri Ylönen erneut seine Stimme leiht, um eine kräftige Rocknummer handelt, so fehlen die typischen Apocalyptica-Trademarks. Die Celli klingen komplett nach verzerrten Gitarren, sogar Feedbacks sind zu hören, doch weit und breit keine der herzzerreißenden Melodien, für die Eicca, Perttu und Paavo bekannt sind. Ein klasse Song, aber sind das Apocalyptica?
Die bange Frage lässt sich jedoch schon bei "Quutamo" definitiv mit "Hell, yeah!" beantworten. Hat man sich auf "Reflections" vielleicht erst noch an die Drums gewöhnen müssen, so fügen sie sich inzwischen perfekt ins Klangbild ein. Tribalartiges Drumming, ein Tapping als Grundmelodie - und da ist sie, die akustische Melancholie, die in dieser Art nur aus Finnland stammen kann. Bei "En Vie" handelt es sich um den selben Song, nur wird er hier von der französischen Sängerin Emmanuelle Monet vertont.
"Distraction" hätte auch auf dem Vorgänger stehen können und klingt wie eine Coverversion eines Klassikers, den Metallica nie geschrieben haben. Darauf folgt die schon aus Funk und Fernsehen bekannte Single "Bittersweet", die trotz der beiden Gastsänger die typische Melodieführung der Skandinavier aufweist.
"Misconstruction" ist wieder ein Paradebeispiel an finnischer Melancholie und demonstriert aufs deutlichste, wie die Instrumente Bass, Rhythmusgitarre und Leadgitarre, bzw. Gesang auf die drei Celli verteilt werden. Dadurch entwickelt das Stück eine sehr bedrohliche Atmosphäre, die von "Fisheye" schnell wieder aufgelöst wird. Covern die Jungs jetzt schon Dream Theater? Drummer Mikka darf gelegentlich richtig Gas geben, und auch das Saitentrio hält sich nicht zurück, sondern dreht zum Ende hin sogar richtig am Rad.
Die großen Gefühle sind mit "Farewell" angesagt. Diese Musik greift nicht nur nach deinem Herzen, sie drückt auch unerbittlich zu. Wer depressiv veranlagt ist, sollte von diesem Song und von "Ruska" die Finger lassen. Einfach nur zum Heulen schön. Glücklicherweise bringt "Fatal Error" die mentale Stabilität zurück. Das Slayer-Solo gegen Ende des Songs will ich unbedingt live sehen.
A propos Slayer, auf "Betrayal/Forgiveness" darf Dave Lombardo erneut die Felle gerben, und verdammt, das hört man. Nicht nur dank des Vocallines rülpsenden Cellos wohl der härteste Track des Albums. Gemäßigter geht es bei "Deathzone" zu, das ursprünglich als Soundtrack für einen Film gedacht war und jedem Fantasystreifen zu Ehren gereicht hätte.
Bei "En Vie", "How Far" und "Wie Weit" handelt es sich jeweils um unterschiedliche Interpretationen von "Quutamo". Einmal darf die französischen Sängerin Emmanuelle Monet das Stück vertonen, Marta Jandova von Die Happy steuert eine englische und eine deutsche Version des Songs bei. So ungewöhnlich der Einstieg mit "Life Burns!" auch sein mag, mit "Apocalyptica" haben die Finnen erneut ein erstklassiges Album vorbgelegt.
9 Kommentare
Die 5 Punkte überraschen mich dann doch, Herr Edele. Und ich dachte, ich wär ein Fanboy.
Zuerst sei gesagt. Wem die Drums auf Reflections nicht zusagten, der lässt bitte schön die neue Scheibe besser erst Recht im Regal stehen. Erstere klingt im Vergleich teilweise wie Kindergeburtstag, deutlich härter geht es im allgemeinen von statten, den Vogel schießen dabei Betrayal und Fisheye ab. Gegenpol bieten die (wunderschönen) ruhigen Stücke Farewell, Ruska und Deathzone. Auch der instrumentale Rest weiß zu überzeugen, bis hierhin stimme ich also mit dem Rezensenten überein.
Kommen wir zum Manko, den Vocalsongs. Life Burns überzeugt mich nicht, Bittersweet ist die auf den Markt getrimmte big-sellende-Teenies-Geld-aus-den-Taschen-ziehende-Schmonz-Ballade, die von der Instrumental-Version (auf der Single) um Längen geschlagen wird und En Vie (Wie weit/How far) liegt zwar Quutamo zu Grunde, verliert aber um einiges. Ich kann mich einfach nicht mit ihnen anfreunden.
Deshalb 4/5.
EDIT:
P.S.: Der Drummer heißt Mikko.
Auch mich überraschen die 5 Punkte etwas.
Dass dieses Album mich nicht überzeugt, liegt aber nicht unbedingt an den Drums. Es fehlen vielmehr die frischen Ideen. Während Inquisition Symphony und Cult wirklich echte Kracher zum Hinhören waren, erfolgte mit Reflections und der neuen Platte nur ein Aufguss der alten Stücke. Die Melodien erinnern teilweise konkret an alte Lieder.
Hinzu kommt, dass die Orientierung zum Mainstream hin unüberhörbar ist. Das Material ist überweigend seicht, selbst die harten Stücke sind im Kern schmalzig.
Es fehlt der knarzige Cello-Sound und allgemeine Enthemmung, was Inquisition Symphony so ausgezeichnet hat - für mich nach wie vor die beste Platte der Jungs.
3/5
naja die inquisition symphony besteht ja nur aus coverversionen von großartigen songs, deshalb isses imho schlecht zu vergleichen.
von der neuen kenn ich erst n paar songs und die haben mich echt net dazu motiviert, noch weiter reinzuhören.
meinst du "Hall of The Mountain King" oder haben die mal Mozart gecovert?
"Hall of ..." wär von Grieg, aber musikalisch wirklich brillant
ja oki meine ja Grieg Das ist echt genial
Zitat (« kosti schrieb:
Hinzu kommt, dass die Orientierung zum Mainstream hin unüberhörbar ist. Das Material ist überweigend seicht, selbst die harten Stücke sind im Kern schmalzig.
Es fehlt der knarzige Cello-Sound und allgemeine Enthemmung, was Inquisition Symphony so ausgezeichnet hat - für mich nach wie vor die beste Platte der Jungs. »):
Nun, mit Betrayal ist schon ein Song drauf, wo ich nicht wirklich "seichte" Momente erkennen kann. Und sind wir doch mal ehrlich, auf der IS gab es auch nicht elf mal Refuse/Resist.
Ansonsten ist das mit der Reflections Geschmackssache. Ich empfand es als sehr starkes Album und unterschreib da auch voll Edeles 5 Punkte. Was nicht bedeutet, dass ich auf die alten Scheiben nicht ebenso feiere. Bin halt dann irgendwie doch ein Fanboy.
P.S.: Mikka ist ja schon nicht schlecht, der Drummer heißt aber wirklich Mikko Sirén, guckt ihr hier (http://www.megaphoneworld.com/band.htm), laut-Leute.