21. Februar 2019
"Die Leute irritiert die Schnelligkeit des Internets"
Interview geführt von Manuel BergerStilistische Grenzen haben Bilderbuch noch nie interessiert. Auf dem neuen Album "Vernissage My Heart" egalisieren sie nun sogar Staatsgrenzen.
Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst erklärt im Interview seinen europäischen Gedanken und die Idee, zwei Studioalben innerhalb von rund zwei Monaten auf den Markt zu werfen. Vor zwei Jahren, zur Zeit von "Magic Life", lief Ernst noch mit auffälliger Hose und knallrotem Mantel zu Presseterminen auf. Heute sitzt er in Jogginghose und Schlabberpulli in seinem Hotelzimmer. Bilderbuch haben sich verändert; nicht nur optisch, sondern auch musikalisch und in ihren Aussagen.
Wirkte das 2018er Album "Mea Culpa" mit Autotune-Orgien, Trap-Elementen und Neo-R'n'B-Vibe wie der Soundtrack zur modernen Hipsterkultur, erweckt das morgen erscheinende "Vernissage My Heart" die Geister der Hippiekultur. Wer hätte gedacht, dass die Österreicher einmal einen fast zehnminütigen Psychedelic-Jam anpacken und damit die Europa-Hymne 2.0 schaffen würden?
Beginnen wir mit einem Zitat vom neuen Album: "Manchmal fühl' ich, diese Welt sie braucht mich." Warum braucht die Welt Bilderbuch?
Maurice Ernst: Wenn wir ehrlich sind: Brauchen tut sie uns nicht. Aber wenn wir ein bisschen arrogant sind, sag ich: Vielleicht können wir ein bissl Rückgrat sein, Freiheit verkörpern und zeigen, dass man seinen eigenen Ideen nachlaufen und diese auch ausformulieren kann, statt nur einen Sureshot zu machen. Das sollen diese beiden Alben beweisen. Wir haben uns keine Limits gesetzt und einfach irgendwas gemacht. Das ist glaube ich auch ganz geil.
Als wir uns vor zwei Jahren zu "Magic Life" unterhalten haben, meintest du in Bezug auf politische Angelegenheiten, dass es dir wichtiger ist, ein Gefühl zu vermitteln, als etwas direkt an die Wand zu malen. Jetzt posiert ihr für das Pressefoto mit Europa-Sternen, ein neuer Song heißt "Europa 22", auf eurer Website verwandelt sich der Cursor in eine Freiheitsstatue. Alles ist deutlicher geworden.
Ja, es ist deutlicher geworden. Vielleicht liegt das ein bisschen am Alter. Oder vielleicht wächst man da einfach auch rein. Ich glaube, es ist immer noch kein Fingerzeig und will dich auf eine Seite ziehen. Der Song "Europa 22" ist ja halbwegs unprätentiös und versucht eher, Hoffnung zu skizzieren und die geilen Dinge bewusst zu machen, die wir als Europäer haben. Ich fühle mich voll als Europäer! Dem Gefühl einen Song zu widmen, gegenüber all den Songs, die zum Beispiel "I Am From Austria" heißen und riesengroß sind in Österreich – und dem Konstrukt Europa ein bisschen Popkultur einzuimpfen, finde ich spannend. Sofern wir das vermögen, verstehst? In Amerika sind "Living In America" oder "Born In The USA" fette Songs, die denen das Gefühl vermitteln: "Ja, es macht Sinn, auch wenn es nicht immer leicht ist." Diesen Geist zu beleben finde ich schon ganz gut.
Warum die Zahl 22?
Ach, das regt Spekulationen an. Wenn der Song nur "Europa" hieße, wäre das fast schon wieder zu groß oder zu flach. Mit der 22 kriegts halt noch so einen Drive, der wie ein Ablaufdatum oder wie ein Vorhaben wirkt oder wie ein Jubiläum ... Man weiß es eben nicht genau, es kommt auf die Interpretation an. Wie beim berühmten "Ist das Glas halb voll oder halb leer?".
In "LED Go" singst du von Hare Krishna, zitierst "In-A-Gadda-Da-Vida" und drückst damit gewissermaßen ein Aussteigen aus der Realität aus. Das gab es bei euch vorher schon – allerdings seid ihr früher immer auf der anderen Seite der Realität ausgestiegen.
Genau, genau! Bisher war Stilmittel, im System nach oben zu steigen, um von oben runter zu scheißen – oberflächlich gesehen. Aber jetzt verfolgen wir einen hippieeskeren Ansatz. Es geht um ein Wir-Gefühl und darum, wie wir das als Band gefühlt haben. Nimm "Frisbee": Wir haben halt wirklich jeden Tag auf Tour Frisbee gespielt. Dann war auf einmal so ein Spirit da: Die Kids, die im Park Frisbee spielen und naiv an die Welt glauben und sagen: "Ey, die Erde ist flach." Aber sie sagen es mit einer kindlichen Naivität, so dass man ihnen fast nicht böse sein kann. "Liebe is the place to be" geht um eine Galaxie, es geht um Eskapismus. Schon geil, sowas zu nehmen – von alten P-Funk-Bands, die auch schon mit den UFOs "geflohen" sind.
Vor dem Hintergrund der Fake News schwingt auch hier wieder etwas leicht Politisches mit.
Unbedingt. Es macht natürlich auch Spaß, dazu ein Kommentar abzugeben. Aber der Kommentar muss nicht im Vordergrund stehen. Es ist eben kein Facebook-Kommentar, sondern Teil eines Songs. Ich finde Pop sollte schon einen Kommentar abgeben – oder Spiegel sein. Gabalier ist leider auch ein Kommentar und Spiegel. Wir versuchen einen Kommentar von der anderen Seite abzugeben, der sich in dieser Zeit wiederfindet, was immer das genau bedeutet oder ändern kann. Wahrscheinlich relativ wenig. Aber es geht darum, es trotzdem zu machen.
Mir scheint, ihr wollt auch euer eigener Spiegel sein. Statt von "Magic Life" singt ihr inzwischen von "Tragic Life" und kehrt euch dabei quasi selbst um. Vergangenes Jahr habt ihr kollektiv euren Look stark verändert, es ging auf auf Tour durch kleine Clubs, statt weiter großen Aufriss zu veranstalten. Wolltet ihr aus der eigenen Scheinwelt ausbrechen?
Schon auch. Wir wollten, dass man sich wieder ein bisschen mehr hingezogen fühlt zu Alternative und Indie, aber nicht im klassischen Sinne, wie man das Genre begreift, sondern vom Approach her. Denn man merkt: Pop stilisiert sich gerade sooo krass und spitzt sich krass zu. Für meinen Geschmack sind diese glorreichen Beyoncé-Zeiten inzwischen fast wieder vorbei. In den 80ern war Pop nicht nur groß, sondern auch geil und gut. Es braucht wieder einen Paradigmenwechsel. Es kann jetzt eigentlich nicht die nächste Jay-Z-und-Beyoncé-Platte noch wichtiger werden. Es kommen zwar relativ viele Sachen neu nach, aber es ist noch nicht klar, wo es hingeht. Der Pop-Gestus im klassischen Sinne liegt uns nicht mehr so nahe. Irgendwie brauchts was anderes. Wir versuchen zu kitzeln und schauen, wo wir hinkommen.
"Die Leute irritiert die Schnelligkeit des Internets"
"Mea Culpa" und "Vernissage My Heart" klingen ziemlich verschieden. Stellen die beiden Platten eure Suche dar?
Vor allem soll es zeigen, dass man sich keine Grenzen setzen muss und einfach frei Musik macht. Dazu der Gedanke, keinen konzeptuellen Gedanken davor zu fassen, sondern währenddessen. Wir haben überlegt, was die Songs eint, haben sie entsprechend gesplittet. Und dann war's geil, einfach rauszuhauen, statt eine ewig lange Kampagne rund um die erste Platte zu machen. Dieser "Kampagne, Kampagne, Kampagne"-Scheiß, der auch in der deutschsprachigen Musik in den letzten Jahren so krass gemacht wurde ... Alles musste ewig hingezogen sein, damit am Schluss physische Einheiten verkauft wurden. Irgendwie ist das laff. Und zäh. Uns hat es nicht mehr gereizt, wieder anzufangen, Sachen zu verkaufen. Wir wollten mal einfach Musik hinstellen. Musik, that's it! Klar, man macht drei Tage vorher eine kleine Ankündigung, man will schließlich nicht, dass es gar keiner mitkriegt. Aber man versucht jetzt nicht, in zwei Monaten das Beste rauszuholen.
Nimmt das dem Ergebnis nicht auch etwas an Wert?
Ja, aber nur im klassischen Sinne. Die Response der Leute ist erstmal: "Ist das jetzt eine Art Mixtape?" Ich glaube, die Leute sind momentan noch ein wenig irritiert von der Schnelligkeit des Internets. Von daher: Nur weil etwas auf einmal da ist, heißt das ja nicht, dass es nicht trotzdem mal legendär sein kann. Das eine schließt das andere nicht aus – es kommt einem nur so vor, weil alles so schnell gepostet wird. Dass trotzdem ein halbes Jahr Arbeit dahinter steckt, ist ein bisschen abstrakter. Längerfristig checken das die Leute schon. Aber kein Mensch erinnert sich an eine Kampagne. Außer Marketing-Menschen.
Ich will ehrlich sein: Mir kam es anfangs auch etwas so vor, als stünde plötzlich Quantität über Qualität, auch weil ich "Mea Culpa" immer noch nicht verstanden habe.
Ich finds voll geil!
"Vernissage My Heart" sagt mir dagegen wieder sehr zu.
Das Geile dran ist doch, dass du zwischen den Platten einen klaren Unterschied merkst. Diese ganze Geschichte würde auch nicht aufgehen, wenn die Platten zu ähnlich wären, denn dann wäre es wirklich nur Quantität. So ist es geil, weil sich eben genau dieser Geschmacksmoment ergibt. Musik ist nicht immer nur dieser "Nicht auffallen, in die Playlist passen"-Moment. Man stellt Musik hin, dass Leute Stellung beziehen können. Es ist kein Problem, zu sagen, dass das eine vielleicht nicht so gut und das andere besser ist. Über Musik kann man doch diskutieren, ohne zu streiten. Man kann streiten, aber es bleibt immer nur Musik. Das ist voll schön!
Es ist nicht einfach nur eine weitere Single, die dir auf Spotify irgendwo unter deinen fünf "New Friday Releases" vorgeschlagen wird und du einmal durchklickst und denkst: "Okay, das sollte ich eigentlich bleiben lassen. Weil wenn da nicht eh eine Band dabei ist, die ich schon kenne, hör ichs mir sowieso nicht an."
"Mea Culpa" wurde auch in den Himmel gelobt. Mir kam es teilweise so vor, als hättet ihr inzwischen einen Status erlangt, der euch erlaubt, zu machen was ihr wollt, denn einige Leute finden es trotzdem immer geil, nur weil Bilderbuch drauf steht. Sie interpretieren Dinge in die Musik, die vielleicht gar nicht da sind. Beginnt man in einer solchen Situation manchmal auch, mit den Erwartungen der Leute zu spielen, statt das zu sagen, was man selbst ausdrücken will?
Mh, nein. Ich glaube nicht, dass wir bei "Mea Culpa" zu sehr an die Leute gedacht haben. Wir wissen schon, dass wir den Leuten bei jeder Platte einen Rucksack mit fünf Kilo Steinen umhängen, weil wir sagen: "So, jetzt beschäftige dich damit" oder "Komm, wir gehen in die andere Richtung. Wir sind jetzt gerade einen Kilometer in die falsche Richtung gelaufen."
Hattet ihr mal das Gefühl, in die falsche Richtung gegangen zu sein?
Es gibt keine falsche Richtung. Vielleicht gibts die, aber eigentlich nicht, denn wir machen ja nur Musik. Es ist ein natürlicher Prozess, dass man seinen Weg verlässt und etwas erforschen möchte. Mark Forster bleibt fix auf seinem Weg. Du kannst einen drauf lassen, dass der seinen Weg nicht verlässt. Und genau das finden wir doch alle miteinander so unglaublich langweilig. In Wahrheit interessiert uns doch das andere, wenn zum Beispiel ein Regisseur schräge Filme ausprobiert, ungewöhnliche Filme. Als Musiker ist man nicht immer nur Dienstleister seiner eigenen Zuhörerschaft, sondern muss schauen, dass man sich selbst kickt und überrascht. Wenn man gleichzeitig Pop machen möchte, ist das natürlich ein schmaler Grat.
Möchtet ihr das noch?
Vielleicht bei diesen beiden Alben nicht mehr so krass. In den 80s hätten wir vielleicht einen anderen Umgang mit Verkaufszahlen gepflegt. Aber heutzutage ... Natürlich gibt es Songs, die der eine geiler findet als der andere. Auch in der Band gehen die Meinungen auseinander. Aber das ist ja normal. Und man will jedes Mal eine noch geilere Platte machen, einen noch geileren Song. Auf dem Weg dahin passiert halt einfach was. Das lässt man zu oder nicht. Wir lassen es zu.
Wer euch seit dem ersten Album begleitet hat, ist Produzent Zebo Adam ...
Jetzt nicht mehr.
Darauf wollte ich hinaus, denn der Sound hat sich seit "Mea Culpa" schon verändert.
Finde ich auch. Aber er passt trotzdem gut für uns. Wir haben so lange mit Zero zusammengearbeitet, dass wir einfach mal 100 Prozent Freiraum gebraucht haben, um zu schauen, was wir eigentlich machen.
Mit wem habt ihr jetzt gearbeitet?
Schon bei "Magic Life" hatten wir versucht, relativ weit alleine zu kommen. Das war der Approach. Diesmal haben wir später Marco Kleebauer von Leyya hinzugezogen. Er war beim Finalisieren dabei, weil es trotz allem unglaublich wichtig ist, einen Unparteiischen ins Boot zu holen, der einfach ohne große Emotionen für möglicherweise gekillte Babys mitreden kann und einen klaren Blick auf die Sache hat.
Er war bei beiden neuen Alben am Start?
Ja, wir haben beide ungefähr zur selben Zeit fertiggestellt und schon im Wissen, was was ist. Wir wussten, dass wir die eine zuerst mixen und uns komplett darauf konzentrieren wollen und erst danach die zweite gesondert angehen.
"Unbewusstes Musikhören wird wieder ein riesengroßer Markt"
Die im Sommer veröffentlichte Single "Nacht In Manila" wirkt auch dadurch wie ein Abschluss des Kapitels "Magic Life" – musikalisch sowieso.
Jaja, das hätte so sein können. Hätte gut auf die Platte gepasst.
Habt ihr quasi reinen Tisch gemacht und anschließend komplett neue Songwriting-Sessions gestartet oder auch älteres Material wieder aufgegriffen? Ich erinnere mich, dass im Zuge der "Magic Life"-Sessions auch gänzlich anders ausgerichtete Demos entstanden sind, aber nie veröffentlicht wurden.
Diese Demos hatten schon diesen leicht humoristischen, bunten Charakter, den hippiemäßigen, gitarristischen Ansatz von "Vernissage My Heart". Allerdings haben wir nicht die alten Songs verwendet und weiterentwickelt. Wir wussten einfach, dass das ein Teil von uns ist, dem wir irgendwann mal nachgehen könnten. Und das haben wir auf "Vernissage My Heart" gemacht.
Ganz allgemein betrachtet: Wohin entwickelt sich die Musik deiner Meinung nach?
Na ich glaube schon, dass sich irgendwas ändern muss, vor allem in der Art, wie man Musik konsumiert. Musik wird wahrscheinlich im öffentlichen Raum gleicher. Es wird weniger Stars wie Elton John geben. Stattdessen gibt's halt den DJ Marshmello und irgendwer singt drüber. Das ist ganz normal und auch okay, das ist unbewusstes Musikhören, ein riesengroßer Markt, der in Zukunft noch viel größer wird. Es gibt parallel aber auch den kleinen, kulturell eigentlich viel wichtigeren Markt des bewussten Musikhörens.
Da steckt weniger Geld drin, was traurig für die Kultur ist, aber der definiert sich gerade wieder neu. Er formiert sich, ist nicht so fix, vielleicht sogar offener und eklektischer als je zuvor. Es passiert zwar mehr gleiche Musik denn ever, aber eben auch mehr verschiedene Musik denn ever. Diese Trennung passiert. Auch Hip Hop stößt gerade an seine Grenzen. So kann es eigentlich nicht weitergehen. Es muss was passieren.
Welche Grenzen im Hip Hop meinst du?
Hip Hop ist zu wenig Musik und zu sehr Image und Mode. Eigentlich eine Marionette seines eigenen Geschmacks – richtig hardcore durch die sozialen Medien wie Instagram. Es geht weniger um die Musik. Ich bin gespannt, wie lange diese Kunstform die kreative Wüste innerhalb der Musik noch erträgt, bevor eine ganze Generation sagt: "Ich will das nicht mehr hören, ich will was anderes machen." Das wird spannend.
Aber nehmen wir mal an, es würde sich tatsächlich komplett aus der Musik heraus entwickeln, wäre das so schlimm? Eine Kunstform kann es ja dennoch sein.
Da hast du recht. Man kann das eh nicht vorhersehen. Du kannst nur staunen und zuschauen. Für sich selbst muss man sich aber die Fragen stellen: Was ist man? Was will man? Und dann kommt man eh ziemlich schnell drauf, dass es am geilsten ist, beieinander zu sitzen und irgendwelche Ideen zu formulieren. Manchmal gelingt dann ein poppigerer Song, manchmal kommt einfach nur eine weirde Idee dabei raus, die man weiterdreht. Wenn die Soundqualität von "Magic Life" so klingen würde wie ein Bon Iver- oder Frank Ocean-Album, wärs natürlich viel geiler. Weißt, was ich mein'? Du konkurrierst auch mit deinen technischen Möglichkeiten und deinem technischen Talent. Das ist auch eine Kunstform.
Wesentlicher Bestandteil des bewussten Musikhörens sind Liveshows. Siehst du darin, Leute zu Konzerten zu bringen, einen Schlüssel?
Auf jeden Fall. Liveshows sind heutzutage sicher nicht zu unterschätzen, weil sie stabil sind und du sie durch nichts ersetzen kannst.
Aber sind sie wirklich stabil? Siehst du bei deinen Konzerten auch viele Fans, die euch durchgehend, also auch schon vor "Schick Schock", begleitet haben?
Ich glaube nicht, dass die plötzlich ausgetauscht wurden. Im Großen und Ganzen sind das Leute, die auf solche Livekonzerte stehen und die mittlerweile wissen, was sie bei uns kriegen: nämlich eine musikalische, energetische Show. Das zählt schon was. Weil wir vorhin kurz drüber geredet hatten, was das mit den beiden neuen Alben für ein Chaos live wird: Ich finde, ein treibendes Element dieser ganzen Kampagne ist ja Chaos und Verwirrung. In Zeiten des Internets finde ich das auch zeitgemäß. Es ist nicht zu geplant. Und so sollte die Bühne auch wirken. Ich glaube es ist cool, wenn sie etwas ausstrahlt ... aber eigentlich wirr ist.
Wollt ihr auch die Setlist als eine Art Collage konzipieren?
Vielleicht. Aber wahrscheinlich will ich am Ende dann doch einen Faden haben. Ich steh' schon drauf, wenn Konzerte eine gute Spannung halten. Man braucht sinnvolle Energiekurven. Auf Platte kann man dagegen teilweise etwas weirder arbeiten.
Wer übernimmt bei euch eigentlich die Kreativdirektion in Sachen Liveshows? Gibts da Unterschiede zum Studio?
Sicher. Live hast du ja immer jemanden, mit dem du zusammenarbeitest. Die Idee, tausend Sneaker aufzuhängen (bei der "Magic Life"-Tour, Anm. d. Red.), kam zum Beispiel von mir, aber wie das im Endeffekt aussieht, wie es sich bewegt, wie das Licht gesetzt wird, dafür arbeiten wir schon seit "Schick Schock" mit Clemens Loeffelholz zusammen. Er ist in unserem Alter, macht Licht und Bühnenkonzepte und ist richtig gut. Bei der einen Bühne kann's mal passieren, dass 80 Prozent von ihm kommen, bei der anderen wissen wir sofort, was wir haben wollen.
Sowas kannst du nicht immer fix sagen, gerade wenn man schon länger zusammenarbeitet. Es ist einfach cool, jemanden zu haben, mit dem du in diesem Bereich arbeiten kannst. Im Studio und auch beim Cover-Artwork ist das wieder anders. Da läuft mehr oder weniger alles über uns. Wir geben nichts so weit aus den Händen, dass wir irgendwann sagen: "Ja, mach ruhig, interessiert mich nicht." Das ist uns schweinewichtig.
Du hast kürzlich dem Zeit Magazin ein Interview gegeben und erwähnt, dass Bilderbuch planen, testweise Songs von einer KI entwickeln zu lassen. Gibt es dazu schon konkrete Pläne oder ist das bislang nur Wunschdenken?
Das wäre geil. Es war mal kurz die Rede davon, wir müssen da noch nachhaken. Ich habe meinen Manager schon drauf angesetzt. Sollte das irgendwie möglich sein, wäre das ein super Experiment. Bevor man einen Felix Jaehn kopiert, was de facto voll easy sein muss, würde ich gerne hören, was passiert, wenn man versucht, Bilderbuch nachzubilden.
Wie glaubst du würdet ihr reagieren, wenn es tatsächlich funktionieren würde?
Das ist nämlich genau der Punkt: Wenn der Computer es schafft, die Essenz von Bilderbuch auf den Punkt zu bringen und einen genialen Song auszuspielen, den wir nicht geschrieben haben, könnte man sagen: Die Marke Bilderbuch ist vollendet. Das ist ein voll spannender Gedanke.
Wäre es dann nicht eine Herausforderung, den Computer zu besiegen und wieder in eine ganz andere Richtung zu stoßen?
Was anderes machen, ja genau. Man müsste wirklich sagen: Das ist man, und jetzt macht man ganz was anderes. Man müsste quasi versuchen, das Gegenteil von dem zu machen, was der Computer glaubt, das man ist. Denn in welche Richtung wir gehen, weiß er noch nicht.
1 Kommentar
"Hip Hop ist zu wenig Musik und zu sehr Image und Mode. Eigentlich eine Marionette seines eigenen Geschmacks – richtig hardcore durch die sozialen Medien wie Instagram. Es geht weniger um die Musik. Ich bin gespannt, wie lange diese Kunstform die kreative Wüste innerhalb der Musik noch erträgt, bevor eine ganze Generation sagt: "Ich will das nicht mehr hören, ich will was anderes machen." Das wird spannend."
War zwar nicht der Maurice, sondern der Michael, mit dem ich dieses Gespräch vor wenigen Jahren schon mal hatte (zudem in eher informellem Kontext), aber da scheint ja was von in den Bandkreis zurück geflossen zu sein. Naise!
Gute Idee übrigens mit den nach Möglichkeit selben Interviewern zu jedem neuen Album, fiel mir gestern auch schon positiv bei Fr. Lütz und den Sleaford Mods auf - wobei ich den Eindruck habe, dass Hr. Berger mit dem plauderfreudigen Maurice deutlich geschonter davon kommt als Fr. Lütz beim zwar höflich, aber auch erwartungsgemäß unterkühlt und kurz angebunden wirkenden Jason.