laut.de-Kritik
Mark Forster hat Wandtattoos, Bilderbuch jetzt Internet-Memes.
Review von Manuel BergerBilderbuch nehmen die Entschuldigung mit dem Albumtitel schon vorweg, als wüssten sie genau, was sie da auf ihre Fans losgelassen haben. Die Ankündigung lautet: "Hurra! Gleich zwei Bilderbuch-Alben im Anmarsch! Schon jetzt 'Mea Culpa', in zwei Monaten 'Vernissage My Heart'". Die Erkenntnis nach dem Hören von "Mea Culpa" lautet: 'Herrje, nicht einmal, wenn sie die besten Songs von zwei Alben diesen Schlages zusammengelegt hätten, wäre eine überdurchschnittliche Platte herausgekommen'.
Nicht mal 35 Minuten lang dauert "Mea Culpa", trotzdem sind knapp die Hälfte der Songs im Prinzip Filler, die vor sich hindudeln. Man kann sich das schön reden: Bestimmt halten Bilderbuch der Gesellschaft den Spiegel vor: Wer Hits erwartet, hat das Konzept der Entschleunigung nicht verstanden! Ist ja auch völlig in Ordnung, sanft und entspannt zu musizieren. Erst recht nach den stressigen "Schick Schock" und "Magic Life". Ein Album voller Babas oder OMs gefällig? Gerne! Nur: Weder "Baba" noch "OM" waren einschläfernd.
Nun heißt es in der Presseinfo über "Taxi Taxi": "Der Erzähler nickt auf der Rückbank ein und wird erst im nächsten Track aus seinen Träumen gerissen". Seit wann ist es eine Tugend, einen Viereinhalbminüter so auszulaugen, dass man dabei wegnickt? Vielversprechend gerät bei "Taxi Taxi" nur der Beginn. Verspulte Streicher und romantisch warme R'n'B-Keys kommen in dieser Form neu in den Kosmos Bilderbuchs, gerade erstere auch positiv überraschend. Doch nach zwei Minuten ist alles erzählt.
Das Aufwecken heißtdann "Lounge 2.0" und funktioniert nur, weil der Beat im wahrsten Sinne des Wortes bellt. In keinem Schlafzimmer dieser Welt würde ein solcher Wecker länger als eine Minute klingeln. Maurice Ernst führt derweil vor, was er von Mumble-Rappern gelernt hat. Dazu passen die in Bilderbuch-Duktus übersetzten Sadcore-Lyrics: Man stöhnt, raucht viel Weed, hängt in der Gegend rum, versucht halbscharig einen Fehler wieder gut zu machen, wird zur Geisel der Technologie-Gesellschaft. Durch die Freudlosigkeit schimmert dennoch dauernd ein 'eigentlich gehts uns total super'. Bezeichnend dafür: Die Tage des zuvorkommenden "sieben Euro - ich bringe das ins Reine" sind vorbei. Heute heißt es pragmatisch und satt: "Du hast nicht so viel in bar, du zahlst mit der App".
Will man sich auch das schön reden, ist es plötzlich ganz ausgefuchst, wie Maurice als Kind seiner Zeit das Verhalten und Equipment seiner Zeit an den Pranger stellt, sich in Smartwatches und Displays "so schwarz wie eine Galaxie ohne Stars" verliert und sich beim Netflix-Stöbern nicht entscheiden kann. Manchmal landet er dabei sogar wirklich einen Volltreffe: "Ich glaube an Speed, ich glaube an Weed, ich glaub' mir wird schlecht".
Meistens könnte man es in Hatespeech aber auch so zusammenfassen: Mark Forster hat seine Wandttattoos, Bilderbuch jetzt ihre Internet-Memes. Kaum jemand fomuliert Dada-Lyrics so scharf wie Maurice, doch auf "Mea Culpa" zeigt er das selten. Meist begnügt er sich mit Wiederkäuen. Am überzogenen Selbstzitat gingen auf Dauer auch seine Landsleute von Wanda kreativ zugrunde.
Aber: Always look on the bright side. Gitarrist Michael Krammer hat immer mal wieder originelle Einfälle, zum Beispiel das krude Lick in "Mein Herz Bricht". Die abwechlungsreichen Basslines von Peter Horazdovsky - funky, jazzig, träumerisch, staubtrockener Indie - retten des Öfteren vorm Skippen. Und - in diesem Punkt ähnelt die Platte "Magic Life"– es beeindruckt, wie viele verschiedene Elemente, die aktuell gemeinhin als "hip" gelten (egal ob retro-hip oder modern-hip) Bilderbuch in durchgehend relativ spartanische Arrangements packen.
Eigentlich müsste einem bei diesem Überangebot an stilistischen Referenzen der Kopf platzen, statt auf die Brust zu fallen. Dank hervorragender Produktionsarbeit schleifen sie aber die meisten Kanten sorgsam ab, halten die Stücke entschlackt und zu weich gespült, wenig bleibt im Gedächtnis. Eine Ausnahme bildet im Plattenkontext "Memory Card" mit kreischenden Gitarren und Störgeräuschen.
Wenigstens zweimal hieven sich Bilderbuch auf gutes Level: In "Megaplex", "wo sich das Licht in die Augen flext", schnippt sich Sugar Boy Maurice lässig durchs Kino und will gar nicht mehr nach Haus'. Seht ihr: Man muss kein Schläfchen vertonen, um sich eine Auszeit zu gönnen. Und in "Checkpoint (Nie Game Over)" verbinden Bilderbuch ansteckend smoothe Dream-Pop-Gitarren mit pulsierenden Discovibes und hymnischen Melodien. Jetzt müssen sie nur noch zeigen, dass sie wirklich "nie game over" gehen. Mit "Vernissage My Heart" im Februar 2019 und der anschließenden Frühlings-Tour haben sie reichlich Gelegenheit dafür. Und mindestens live ist das Happy End eigentlich vorprogrammiert.
11 Kommentare mit 4 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Das unterschreibe ich ohne Mühe!
extrem belastend die boys
Erstaunlicherweise gefällt mir der shit. Finde ich was Komposition und Arranagement betrifft echt cool. Aber wie mein Vorredner schon sagte: Das Lindenberg'sche Genöle des Sängers schade meist eher als es nutzt...
Tolle Platte - ein Grower ! Was erwartet man denn von Bilderbuch ? HipHop-Beats, synthetische bzw. teilweise Single-Coilige Gitarre, Sound-Sample-Geflechte und Kokettierungen in Text und Stimmfarbe gepaart mit einem Wiener Schmäh den man Maurice 1:1 abkauft. Bitteschön: alles gegeben !
"Sandwiches" fesselt nach dem Intro total, bei "Lounge 2.0" möchte man sofort im orangen Retro-Sessel an einem Tai Mahal süffeln, "Mein Herz bricht" ist 5:18Min konzentrierte Wenigkeit - mehr wäre einfach nicht angebracht. Auf "Megaplex" kann getanzt werden ohne das man direkt anfängt zu schwitzen, "Memorycard" hat wahrscheinlich den typischsten Bilderbuch-Sound mit den bekannten Mitzi Blue-Gitarre, und "Checkpoint" ist einfach der Climax kurz vor Ende der Scheibe. Der etwas langsamere und leicht abgeänderte James-Brown-Rhythmus passt hier wunderbar.
Lückenfüller gab's auch schon auf vorherigen Platten. Und die sind weitaus peinlicher ausgefallen - man denke nur an Carpe Diem, Baba 2 und Magic Life - alles auf einer Platte. Die findet man auf Mea Culpa nicht - hier wird ausgesungen. Und wer die Zeilen "Oh, du stellst dich an der Garderobe an, ja
und der Garderoben - ja der Garderobenmann schaut dich nicht von oben an ... " ohne zu zucken über die Lippen bringt, der darf auch mal "keinen Hit" auf eine Platte zaubern ... wobei ich mich schon frage ob ein Hit nur deswegen ein Hit ist, weil er bei 1Live läuft ... Regards ...
Was er sagt.
Songs wie "Baba 2" sind gar nicht hiermit zu vergleichen. Baba 2 ist gerade mal 24 Sekunden lang und funktioniert meiner Meinung lang wunderbar als Intro zu Bungalow. Ähnlich ist es bei "Magic Life", das ist eher als Outro von Bungalow zu verstehen und auch sehr kurz gehalten.
Und es ergibt auch vollkommen Sinn dieses Intro und Outro zu separaten Tracks zu machen, weil Bungalow ein absoluter Hitsong war und man z.B. auf einer Party direkt loslegen will. Auch "Carpe/Diem" ist gerade mal 46 Sekunden lang und unglaublich abwechslungsreich, funktioniert meiner Meinung nach wunderbar als erster Track.
Auf Mea Culpa hingegen fühlt sich jeder zweite Song wie ein Filler-Track an, nur dass er einem 4 Minuten lang auf die Nerven geht statt einfach nur ein bisschen Abwechslung in das Album zu bringen.
Du sprichst mir von der Seele. Selten habe ich mich auf ein Album so sehr gefreut und wurde dann so enttäuscht. "Lounge 2.0" ist sowohl lyrisch als auch musikalisch eine absolute Zumutung.