laut.de-Biographie
Chvrches
Chvrches aus Schottland stehen für melancholischen, dennoch tanzbaren Synthie-Pop mit schönen Melodien und einer sympathischen Frontsängerin. Dabei scheuen sie das Experimentelle nicht, auch männliche Gastsänger sind seit dem zweiten Album dabei. Vergleichbar mit den frühen The Naked And Famous, entfalten sie einen alternativen Electrosound, der viele glücklich macht.
Iain Cook schafft vorher bei den Glasgower Postrock-Helden Aereogramme, Martin Doherty als Tourmusiker bei den Twilight Sad. Beide kümmern sich bei ihrem gemeinsamen Projekt um die Synthesizer-Fanfaren und Background-Vocals. Sängerin Lauren Mayberry spielt in der Folkband Blue Sky Archives, schließt ein Studium in Jura und Journalismus ab und schreibt für ein schwul-lesbisches Stadtmagazin, bevor Doherty und Cook ihr 2011 den Gesangsjob anbieten. "Wir hatten keine Lust mehr, mit Jesus um Internet-Treffer zu konkurrieren", erklären Chvrches, ehemals Churches, die Neubenennung zu dieser Zeit.
Mit einer Elektropop-Mischung, die mit überschwänglichen Synthie-Kaskaden sowie noch überschwänglicherer, naiver Stimme die perfekte Schnittmenge aus Hipster-Affekt und Mainstream-Zugänglichkeit bildet, kann ab 2012 fast gar nichts mehr schiefgehen.
Insofern nur Zeitgeist-folgerichtig, dass die Schotten aus Glasgow gerade einmal zwei Singles veröffentlicht haben, als die amerikanischen Tweepop-Lieblinge Passion Pit sie als Vorband für eine UK-Tour buchen. Blogs, Tweets und Tumblrs laufen bald mit dem so griffigen Schlagwort über, und die BBC kürt den Act zu einem der aussichtsreichsten in 2013.
Ein Gig beim wichtigsten Newcomer-Festival der Welt, dem SXSW in Texas, steht ebenfalls auf dem Programm. Erst jetzt kommt auch die Musikindustrie auf die Chvrches-Fährte. Für ihr Debütalbum unterzeichnen die drei beim Major Universal. Im März 2013 befeuert die EP "Recover" den Rummel um die Band bis in die Stratosphäre.
Referenzgrößen wie Robyn, The Knife, Sleigh Bells und Purity Ring tauchen in begeisterten Artikeln auf. Nur die Kulturbeauftragten der Zeit wollen nicht recht auf den Zug aufspringen: Avril Lavigne habe ihr Skateboard gegen ein Keyboard getauscht, schreiben sie.
Das vorläufige Sahnehäubchen in der schnelllebigen Hypewelt setzt ihnen Claire Boucher auf: Chvrches klingen "wie eine DIY-Dreampop-Version von Ellie Goulding oder so", twittert sie. Mayberry, Cook und Doherty selbst bekennen sich vor allem zu Prince, Depeche Mode und Kate Bush.
Um den gestellten Ansprüchen auch im Albumformat gerecht zu werden, ziehen sich Chvrches Anfang 2013 in Cooks Kellerstudio in Glasgow zurück und feilen an Songs fürs Debütalbum. "The Bones Of What You Believe" erscheint im Herbst beim Majorlabel Universal. Sämtliche Tracks sind nach wie vor songstrukturell einfach und im besten Sinne poppig gehalten, haben ab und an einen Hang zur Hymne und weisen allesamt keine falsche Scheu vor Opulenz auf.
Gleiches Konzept – es funktioniert beim Debüt-Kritikerliebling nämlich großartig – findet sich auch auf dem Nachfolger "Every Open Eye", das im Herbst 2015 erscheint. Auch wenn der Stil der gleiche geblieben ist, hat die Band in der Zwischenzeit aufgrund ihrer musikalischen Erfolge an Selbstbewusstsein hinzu gewonnen. So setzen sie sich gegen fiese Kommentare von Internet-Trollen zur Wehr, denen vor allem Lauren ausgesetzt ist, und machen diese öffentlich.
Zu der Androhung sexueller Gewalt mit einer Käsereibe – wie auch immer jemand überhaupt auf diesen Gedanken kommen kann – schreibt sie auf ihrem Instagram-Channel: "Diese Leutelernen einfach nie, dass Gewalt gegenüber Frauen nicht akzeptabel ist. Aber sie kapieren auch nicht, dass Frauen sich niemals beleidigen und zum Schweigen bringen lassen und nicht verschwinden werden. Ich werde nirgendwohin weggehen. Also versucht es nur, Motherfucker. Wollen wir doch mal sehen, wer zuerst blinzelt."
Drei Jahre später bringen Chvrches ihr drittes Studioalbum "Love Is Dead" auf den Markt. Mit prominenter Unterstützung der Produzenten David Allan Stewart (Eurythmics), Greg Kurstin (The Shins, Sia, Ellie Goulding, Adele) und Steve Mac (Shakira, James Blunt, One Direction) entsteht ein modernes Synthie-Pop-Werk, das die Themen Erwachsenwerden, Liebe und Beziehungsprobleme behandelt.
Im Februar 2019 kollaborieren sie mit dem BBC Scottish Symphony Orchestra für den Start des neuen BBC Scotland Fernsehkanal. Bei der offiziellen Vorstellung des Senders am 24. Februar geben sie den Song "Miracle" zum Besten. Einen Monat später folgt mit "Here With Me" eine Kollaboration mit dem US-amerikanischen DJ und Produzen Marshmello.
Im selben Jahr postet Videospiel-Ikone Hideo Kojima auf Instagram Bilder mit der Band, und wilde Spekulationen nehmen ihren Lauf. Im Oktober lassen die Schotten die Bombe platzen und veröffentlichten die Lead Single "Death Stranding" zum gleichnamigen Videospiel von Kojima. Der Song ist außerdem im Abspann zu hören. Im Dezember treten Chvrches bei der Eröffnung der Verleihung der Game Awards 2019 auf.
2021 erscheint mit "Screen Violence" ihr viertes Studioalbum mit einem einzigen Feature-Gast: Legende Robert Smith, der Leadsänger von The Cure. Das Album besticht mit einem dunkleren Ton, lyrisch wie musikalisch versucht es sich am Alternative-Rock.
Die Chvrches stehen für mitreißenden und melancholischen Synthpop. Wunderschöne Melodien gesellen sich zu klaren Synthies und verspielten Klangteppichen, und gewissen Experimenten und musikalischen Ausflügen steht die Band nicht abgeneigt gegenüber. Mit einer starken Frontfrau und zwei tollen Musikern bilden sie einen spannenden Export aus Schottland.
2 Kommentare
"...die perfekte Schnittmenge aus Hipster-Affekt und Mainstream-Zugänglichkeit"
Treffer versenkt. Trotzdem (oder gerade deshalb) Cool. Nicht nur für den Nerdbrillen tragenden Loftbewohner aus Berlin...
Lustig, was die Blogosphäre immer wieder für Attribute aus dem Hut zieht sobald der nächste Newcomer an der Tür klopft, bei dem alles zu passen scheint: Background, Output, Vermarktbarkeit. Und doch ist es am Ende nur die Musik, die zählt, zumindest ab einem gewissen Alter des geneigten Hörers... (((hüstel)))
Bin kein hipper, Nerd-bebrillter Loftbewohner sondern spießiger Doppelhaus-Hälften-Bewohner mit gefühlten 100 Jahren Erfahrung im Musikkonsum und halte "The Bones of What You Believe" für eine der besten Scheiben der letzten Jahre. Sie werden es schwer haben, einen gleichwertigen Nachfolger zu erschaffen - jetzt, wo sie kein Geheimtipp mehr sind. Schon zu oft hat der Ruhm die Kreativität getötet. Wir werden hören.