laut.de-Kritik
Schmerz bekämpft man mit Gegenschmerz.
Review von Dani FrommIch bin ja mit meinem Heimatland Kummer gewohnt. Um zu erkennen, dass man hierzulande einfach keinen Style hat, brauche ich eigentlich keinen Jan Delay, der mich mit der Nase drauf stößt. Wie allerdings DJ Ötzis sogenannte "Sternstunden" in die deutschen Charts einsteigen konnten, das erkläre man mir bitte. Abermilliarden Fliegen können schließlich nicht irren, nicht wahr?
So lasst uns Scheiße fressen! Vorab sei mir jedoch eine kleine Randbemerkung gestattet: Angesichts dieses ... nun, ja ... nennen wir es mal Machwerks, möchte ich mich (mit Ausnahme von G-Hot, vielleicht) bei jedem einzelnen Interpreten entschuldigen, deren Platten ich jemals mit Schmähworten bedachte. Es war unangemessen. Ich hätte mir zumindest einen Teil davon aufsparen sollen, denn: Ich benötigte in diesem Moment doppelt so viele, als mir zur Verfügung stehen.
Eine vergleichbar schmerzhafte Verwurstung volkstümlicher Verdummungs-Dudelei mit Möchtegern tanzbodentauglichen Billig-Beats ist mir in den letzten Jahren glücklicherweise nicht untergekommen. Dazu eine Hand voll "Jetzt singen wir zusammen!"-, "Und jetzt alle!"-, "Alle machen mit, Freunde!"- und "Wo sind die Hände?"-Phrasen, für die sich ein H. P. Baxxter in Grund und Boden schämen würde: "The roof is on fire!" Noch zwei, drei Schnulzen fürs Herz oben drauf. Fertig, abputzen.
Ich habe nichts, aber auch gar nichts gegen ehrbare Volkslieder wie "Die Fischerin Vom Bodensee" oder das gute alte "Kufstein-Lied" einzuwenden. Serviert es dem, der's mag, im richtigen Kontext - warum nicht? Ich vermag mir nicht vorzustellen, dass Freunde dieser Klassiker darauf gewartet haben, dass ihre vertrauten Weisen mit Hilfe primitivsten Kirmestechno-BummBummBummBumms vergewaltigt werden, bis die Ohren bluten. Vielleicht mangelt es mir ja aber auch an Phantasie.
Die Musikantenstadl-Klientel wird mit allgegenwärtiger Ziehharmonika und ein paar Spaghettifresser-Klischees abgeholt. "Pronto, Guiseppe!" Darauf steht man offenbar, bei Moik & Co. Stadionbesucher eignen sich auch immer prächtig als Mitgröl-Personal, denen widmet man (sehr originell!) "Gute Freunde", und tanzt mit ihnen gleich anschließend den "La Ola Walzer". "Ist es nicht zum Schreien?" Oh, durchaus.
DJ Ötzi besitzt nicht nur keinerlei Gesangstalent, das in einem derart armen musikalischen Umfeld ohnehin Perlen vor den Säuen gleichkäme, sondern legt darüber hinaus in gesprochenen Intros und Vorgeschichtchen (wie zu "Bitte Gib Mir Eine Chance") schauspielerische Fähigkeiten vom Kaliber eines unterdurchschnittlichen Daily Soap-Darstellers an den Tag. Wenn das witzig sein sollte, verfehlt mich der Humor nicht nur um Haaresbreite.
"Mei Traumland is weit." Ich vermute, es liegt direkt neben Purs "Abenteuerland". Dessen Zauber blieb mir schließlich ebenfalls verborgen. Zum Glück kommt zum Schluss gleich ein zweites Mal "Ein Stern". Das kenne ich bereits, da kann ich schon mitsingen. Und dazu immer schön den Kopf auf die Tischplatte schlagen. Eins, zwei, drei, vier. Bumm, bumm, bumm, bumm. Schmerz bekämpft man schließlich noch immer am besten mit Gegenschmerz.
29 Kommentare
sehr gute cd-review...cd ötzi gehört einfach verboten
danke laut.de...für die möglichkeit nun endlich mehr über meinen lieblingskünstler zu erfahren!!! ihr seid die besten1111 luv u
Scheint ja eine echte Sternstunde der Musikgeschichte geworden zu sein. Und jetzt alle: "Ich bin so schööööön, ich bin so toll..."
kann man als laut-redakteur nicht auch mal gar keinen balken verteilen ?
das album hätte einen anderen titel verdient: "stern(halgelvolle)stunden ... mir wurde schlecht"
@DerKleineMusicFreund (« das album hätte einen anderen titel verdient: "stern(halgelvolle)stunden ... mir wurde schlecht" »):
Du hörst dir sowas freiwillig an? :D
auf manchen parties meiner generation kommst du nicht daran vorbei