laut.de-Kritik

Paradox mit psychologischen Punchlines.

Review von

Man soll ja eigentlich nicht von der Verpackung auf den Inhalt schließen. In diesem Fall läge man allerdings vollkommen richtig. Selten hat ein Artwork ein Album treffender illustriert: "Weg Vom Weg" klingt haargenau, wie es aussieht: freudlos, grau und trist. Die Hauptfigur bleibt verwaschen im Hintergrund, vage, man bekommt sie nicht fokussiert. What you see is what you get. Keine Mogelpackung.

An der Authentizität des Gebotenen lässt Döll dann auch keinerlei Zweifel aufkommen. Er teilt persönliche, teils elend schmerzhafte Erlebnisse. Den Freitod seines Vaters bringt er zur Sprache, und lässt die Spuren ahnen, die dieses Trauma hinterlassen hat. Er erwähnt seine Spielsucht, Scheitern, Frust und Kampf, Therapie und die dort gewonnenen Erkenntnisse, und nichts daran wirkt erfunden, aufgesetzt oder auch nur plakativ aufgebauscht. Fraglos erzählt da ein Mensch aus seinem eigenen, realen, alles andere als glatt verlaufenen Leben, echt und aufrichtig.

Paradoxerweise glaube ich ihm trotzdem vieles nicht. Wie kann das sein?

Mein größtes Problem mit "Weg Vom Weg": Zwar passt die Verpackung zum Gebotenen, nicht jedoch das, was Döll sagt, zu dem Gefühl, das er vermittelt. Rein dem Wortlaut nach, haben wir es ja mit einer Erfolgsgeschichte zu tun. Schlimme Dinge sind geschehen, eine Kinderseele hat schweren Schaden genommen. Das Problem wurde jedoch erkannt, Hilfe gesucht und gefunden, heute geht es Döll besser. Eine vollständige Heilung, falls es die überhaupt geben kann, liegt zwar in weiter Ferne, ein Genesungsprozess hat aber eingesetzt. Das ist doch wohl eine gute Nachricht?

Ja, schon. Bloß scheint auf "Weg Vom Weg" leider nirgends auch nur ein Hauch davon durch. Keine Zufriedenheit, kein bisschen Optimismus, kein silberner Hoffnungsschimmer am Horizont. Die Stimmung bleibt durchgehend gedrückt, düster, unfroh. Der Vibe konterkariert das Gesagte, mit dem Effekt, dass vieles von dem, das Döll erzählt, wie reines Lippenbekenntnis wirkt. Ich glaube ihm, aber ich fühl' es nicht, nirgends. Was mir wiederum schwer macht, ihm wirklich zu glauben. Seltsam. Geht es ihm echt besser? Ich hoffe es, es klingt aber nicht danach.

Volle drei Songs lang referiert Döll erst einmal mehr oder weniger darüber, Rap- und Reputations-technisch der Größte zu sein, "Döll, Hessens Sohn, bin für Rapper 'ne Respektsperson", vielleicht kein Klickzahlenwunder, entsprechend auch nicht reich geworden, aber eine Legende, besser als die ganzen anderen Pfeifen, die nur irgendwelche Trends reiten: "Zu viele Contentcreator, die jetzt Künstler sind, kreieren nichts als Armutszeugnisse, doch ich werf' nicht mal Münzen hin."

Auch das wäre ein Grund, stolz zu sein, auf sich und seine Leistung. Schade, dass es de facto nur enttäuscht, gefrustet und irgendwie verbittert darüber klingt, halt doch nicht den großen Erfolg eingefahren zu haben, trotz - angeblich - überlegener Qualität. Von der lässt "Weg Vom Weg" so wahnsinnig viel leider gar nicht durchblicken. Besondere Bandbreite zeigt Döll darauf jedenfalls nicht. Beats, die einer wie der andere klingen, berappt er in ein- und demselben Flow, so dass sich nach etlichen Songs das Gefühl einstellt, man höre da nur einen einzigen, sehr langen und sehr deprimierenden Track.

Döll müsste gar nicht so tun, als sei er bereits irgendwo angekommen. Es erschiene sogar unglaubwürdig, versuchte er seine Situation so darzustellen, als sei während und nach seiner Therapie nun alles paletti. Dennoch: Raus aus dem Abwärtsstrudel, auf zu neuen Ufern, sich aus der Diktatur seiner eigenen "Gedanken" befreien, hinter sich zu lassen, "Wie Es War", und mit neuen Strategien neue Perspektiven zu finden - das ist doch gut?! Döll aber scheint nichts an seiner zurückeroberten oder ganz neu gewonnenen Normalität erstrebens- oder gar feiernswert zu finden. Er klingt, als sei er nun in grauem Einerlei gefangen, dabei hätte man ihm von Herzen besseres gegönnt.

"Weg Vom Weg" hat keine gute Atmosphäre, obwohl es eine erfreuliche Entwicklung beschreibt. Theoretisch. Tatsächlich beschreibt dieses Album aber wenig, und die Bruchstücke auch nicht besonders präzise. Döll erwähnt zwar den Verlust des Vaters, Panikattacken, Spielsucht, Therapie. Was all das mit ihm und seinen Gefühlen macht, führt er aber nirgends wirklich aus. Das ist sein gutes Recht, klar. Niemand muss sich in die verletzte Seele gucken lassen, schon gar nicht von Wildfremden.

Wenn Döll im Titeltrack über die Probleme seiner Mit-Patient*innen erzählt, wirkt es, als versuche er, sich mit seiner eigenen Geschichte hinter den Dramen der anderen zu verstecken. Hier tritt am deutlichsten zutage, was das komplette Album durchzieht: Döll droppt ein paar psychologische Punchlines, lässt sich dabei aber nicht greifen und schon gar nicht identifizieren.

Womit wir wieder beim Artwork wären: Es verrät sehr viel mehr über "Weg Vom Weg" als alles, das Döll auf diesem Album sagt. Nein, keine Mogelpackung. Das Gefühl, mit weniger abgespeist worden zu sein als verheißen, werd' ich trotzdem nicht los. Als habe Döll seine Autobiografie geschrieben, zeige davon aber nur das Inhaltsverzeichnis. Vielleicht hat er die Kapitel aber auch einfach noch nicht ausformuliert.

Trackliste

  1. 1. Immer Noch
  2. 2. Ouch
  3. 3. 2:31
  4. 4. Man Denkt (Skit)
  5. 5. Gedanken
  6. 6. Wie Es War
  7. 7. Weg Vom Weg
  8. 8. Wieder Hier
  9. 9. Unter Vier
  10. 10. Hol Es ZUrück
  11. 11. Kette
  12. 12. Sieh Mich An

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8 Kommentare mit 10 Antworten

  • Vor 21 Tagen

    Mindestens ein Stern zu wenig.

  • Vor 20 Tagen

    Genau das gleiche Album wie „nie oder jetzt" im Prinzip. Klar ist dass hochwertig und ich mag Döll seinen flow aber so interessant ist er als Person auch wieder nicht. Gibt andere deren persönliche struggles mich mehr interessieren. Find sowieso die Musik zu der man am meisten relaten kann als normalo ist häufig am langweiligsten, wenn man sie nicht zumindest musikalisch interessant präsentiert. Da fallen mir direkt Rapper wie Earl Sweatshirt oder Danny Brown ein. Döll ist halt unterm Strich einfach ein Typ der rappt und über sein Leben erzählt. Und wenn du gerade nicht ähnliches durch machst catcht die Musik einfach nicht so, bei mir zumindest. Trotz hochwertiger Beats klingt dass zu sehr wie der Typ von nebenan. Mag Real sein aber dafür auch ziemlich vorhersehbar. Fand zb. „ANGST" von Lance Butters damals deutlich besser. Dass klang zwar auch freudlos und steril aber hatte deutlich mehr Charakter und nen eigenes Konzept auf Grund lance eigenwilligen flow und der Beats von Ahzumjot. Dieses Album zieht mich aktuell einfach nur runter. 3/5 passt, nichts neues, für alle die sich damit identifizieren können bestimmt großartig und ganz bestimmt kein schlechtes Album.

  • Vor 20 Tagen

    "Beats, die einer wie der andere klingen, berappt er in ein- und demselben Flow, so dass sich nach etlichen Songs das Gefühl einstellt, man höre da nur einen einzigen, sehr langen und sehr deprimierenden Track."
    Der ein oder andere Durchlauf hätte vielleicht noch ganz gut getan, oder? Die Rezension ist meiner Meinung etwas heftig geraten. Döll hat offensichtlich ein bisschen was hinter sich und befindet sich nun auf einem guten Weg - und genau so klingt die Geschichte für mich auch. Weder haben Tracks wie "Ouch", "weg vom Weg" oder "Hol es zurück" eine deprimierende Wirkung, noch klingen die Beats irgendwie ähnlich.

  • Vor 19 Tagen

    Ich kann die Bewertung nicht nachvollziehen. Alles was in dieser Review als negativ dargestellt wird, finde ich positiv. Für mich eines der besten deutschen Alben seit Ewigkeiten.

  • Vor 19 Tagen

    Geltungsdrang schön und gut. Kann solche Dudes aber einfach nicht verstehen, die meinen, ihre banalen bis debilen Erkenntnisse aus ihren persönlichen Schwierigkeiten mit der Welt teilen zu müssen. Würde ja annehmen, wer wirklich in sich gegangen ist, wird zu viel Ehrfurcht und Bescheidenheit vor ihnen haben, um sie in Floskeln und Kalendersprüche zu packen. Solchen flachen Typen kaufe ich das einfach null ab.

    Irgendwie gruselig, wie viele Menschen das für voll nehmen. Aber okay, die Pietro Lombardis sorgen natürlich für weitaus mehr Grusel, und so sind die Schwellen des Cringe auch jenseits von Gut und Böse.

    • Vor 19 Tagen

      Du ziehst natürlich nur hochphilosophische und tiefgreifende Erkenntnis aus deinen persönlichen Problemen.

    • Vor 19 Tagen

      Also ich tue das. Als Kind hatte ich schon die Vision, dass einfach niemand mehr spricht - ich sowieso nicht. Finde, sowas sollte total normal sein. Klar, durch Training und Anpassung schafft man es, den von dir, Curb, erhofften Zustand ab und zu simulieren zu können, weil man halt auch Geld brauch, aber es ist für mich eine tägliche Qual nicht nihilistisch zu sein bzw. meine Erlebnisse in einen solchen Kontext zu setzen mittels gedanklicher Anstrengung.

    • Vor 19 Tagen

      ... als Beweis führe ich dann die fast täglich aufkommenden Kommentare bezüglich meiner Genügsamkeit im Verhältnis zu meinem Energielevel am Abend in Verbindung mit ungläubigen Gesichtern an...

    • Vor 19 Tagen

      "Klar, durch Training und Anpassung schafft man es, den von dir, Curb, erhofften Zustand ab und zu simulieren zu können, weil man halt auch Geld braucht"
      Von welchem Zustand sprichst du?

    • Vor 18 Tagen

      Ich würd halt nicht auf die Idee kommen, diese vermeintlich inneren, deepen Prozesse dadurch zu entwerten, sie wie der dümmste Lauch in der Form von Motivationsplakaten aus der Muckibude in die Welt hinaus zu posaunen. Aber Deutschrapper do Deutschrapper, you do you, schätze ich.

    • Vor 18 Tagen

      Ich habe von dem Album bis jetzt nur die erste Single gehört. Das ganze Album geb ich mir, wenn die Stimmung passt. Auf besagter Single konnte ich keinen Kalenderspruch heraushören und auch die beschriebenen Motivationsplakate kamen mir nicht in den Sinn. Sollte das beim Rest des Albums anders sein, werde ich das gerne auch ansprechen, aber irgendwie beschleicht mich auch das Gefühl, dass du das Album gar nicht gehört hast und dein herablassendes Urteil schon im Vorfeld feststand.

    • Vor 18 Tagen

      "Ich dacht, ich bin zum Scheitern verdammt, sobald ein Freizeichen erklang"

      Ich weiß nicht, ob das einfach so dahingedichtet wurde. Aber in dieser Zeile steckt dann doch mehr Absturz, als man meinen mag. Zumindest was auch meine (ersten) beruflichen Erfahrungen angeht :lol:

      Hätte gerne mehr erfahren...

    • Vor 18 Tagen

      Ist vielleicht bisserl unfair, das mit den Kalendersprüchen. Strunzdumm find ichs allemal, sich auf Albenlänge in so ner flachen Pfütze aus vermeintlichem Leid zu suhlen. Finde, der am krassesten Leidende gewesen sein zu wollen, hat eher was mit Sentimentalität als mit einem Kreativität fördernden Gefühl zu tun.

  • Vor 18 Tagen

    Das größte Problem - Döll erzählt leider immer wieder dieselbe Story, verpackt in ähnliche Patterns. Wenn man den Künstler schon länger verfolgt, wird das einfach zu krass deutlich - Songs über Spielschulden, dass er das unentdeckte Jahrhunderttalent ist, mentale Krisen... all das gab es schon vielfach auf Tracks von ihm. Mich stört nicht der Flow oder die Beats, sondern die Redundanz. Da kommt nicht nur nichts Neues, sondern immer wieder der gleiche Aufwasch. Das ist gut gemacht, richtig gut, aber mir dann für ein Comeback-Album echt viel zu wenig leider. Erinnert mich an Credibil, dem auch lange nachgesagt wurde, das größte Talent überhaupt zu sein.