laut.de-Kritik
Paradox mit psychologischen Punchlines.
Review von Dani FrommMan soll ja eigentlich nicht von der Verpackung auf den Inhalt schließen. In diesem Fall läge man allerdings vollkommen richtig. Selten hat ein Artwork ein Album treffender illustriert: "Weg Vom Weg" klingt haargenau, wie es aussieht: freudlos, grau und trist. Die Hauptfigur bleibt verwaschen im Hintergrund, vage, man bekommt sie nicht fokussiert. What you see is what you get. Keine Mogelpackung.
An der Authentizität des Gebotenen lässt Döll dann auch keinerlei Zweifel aufkommen. Er teilt persönliche, teils elend schmerzhafte Erlebnisse. Den Freitod seines Vaters bringt er zur Sprache, und lässt die Spuren ahnen, die dieses Trauma hinterlassen hat. Er erwähnt seine Spielsucht, Scheitern, Frust und Kampf, Therapie und die dort gewonnenen Erkenntnisse, und nichts daran wirkt erfunden, aufgesetzt oder auch nur plakativ aufgebauscht. Fraglos erzählt da ein Mensch aus seinem eigenen, realen, alles andere als glatt verlaufenen Leben, echt und aufrichtig.
Paradoxerweise glaube ich ihm trotzdem vieles nicht. Wie kann das sein?
Mein größtes Problem mit "Weg Vom Weg": Zwar passt die Verpackung zum Gebotenen, nicht jedoch das, was Döll sagt, zu dem Gefühl, das er vermittelt. Rein dem Wortlaut nach, haben wir es ja mit einer Erfolgsgeschichte zu tun. Schlimme Dinge sind geschehen, eine Kinderseele hat schweren Schaden genommen. Das Problem wurde jedoch erkannt, Hilfe gesucht und gefunden, heute geht es Döll besser. Eine vollständige Heilung, falls es die überhaupt geben kann, liegt zwar in weiter Ferne, ein Genesungsprozess hat aber eingesetzt. Das ist doch wohl eine gute Nachricht?
Ja, schon. Bloß scheint auf "Weg Vom Weg" leider nirgends auch nur ein Hauch davon durch. Keine Zufriedenheit, kein bisschen Optimismus, kein silberner Hoffnungsschimmer am Horizont. Die Stimmung bleibt durchgehend gedrückt, düster, unfroh. Der Vibe konterkariert das Gesagte, mit dem Effekt, dass vieles von dem, das Döll erzählt, wie reines Lippenbekenntnis wirkt. Ich glaube ihm, aber ich fühl' es nicht, nirgends. Was mir wiederum schwer macht, ihm wirklich zu glauben. Seltsam. Geht es ihm echt besser? Ich hoffe es, es klingt aber nicht danach.
Volle drei Songs lang referiert Döll erst einmal mehr oder weniger darüber, Rap- und Reputations-technisch der Größte zu sein, "Döll, Hessens Sohn, bin für Rapper 'ne Respektsperson", vielleicht kein Klickzahlenwunder, entsprechend auch nicht reich geworden, aber eine Legende, besser als die ganzen anderen Pfeifen, die nur irgendwelche Trends reiten: "Zu viele Contentcreator, die jetzt Künstler sind, kreieren nichts als Armutszeugnisse, doch ich werf' nicht mal Münzen hin."
Auch das wäre ein Grund, stolz zu sein, auf sich und seine Leistung. Schade, dass es de facto nur enttäuscht, gefrustet und irgendwie verbittert darüber klingt, halt doch nicht den großen Erfolg eingefahren zu haben, trotz - angeblich - überlegener Qualität. Von der lässt "Weg Vom Weg" so wahnsinnig viel leider gar nicht durchblicken. Besondere Bandbreite zeigt Döll darauf jedenfalls nicht. Beats, die einer wie der andere klingen, berappt er in ein- und demselben Flow, so dass sich nach etlichen Songs das Gefühl einstellt, man höre da nur einen einzigen, sehr langen und sehr deprimierenden Track.
Döll müsste gar nicht so tun, als sei er bereits irgendwo angekommen. Es erschiene sogar unglaubwürdig, versuchte er seine Situation so darzustellen, als sei während und nach seiner Therapie nun alles paletti. Dennoch: Raus aus dem Abwärtsstrudel, auf zu neuen Ufern, sich aus der Diktatur seiner eigenen "Gedanken" befreien, hinter sich zu lassen, "Wie Es War", und mit neuen Strategien neue Perspektiven zu finden - das ist doch gut?! Döll aber scheint nichts an seiner zurückeroberten oder ganz neu gewonnenen Normalität erstrebens- oder gar feiernswert zu finden. Er klingt, als sei er nun in grauem Einerlei gefangen, dabei hätte man ihm von Herzen besseres gegönnt.
"Weg Vom Weg" hat keine gute Atmosphäre, obwohl es eine erfreuliche Entwicklung beschreibt. Theoretisch. Tatsächlich beschreibt dieses Album aber wenig, und die Bruchstücke auch nicht besonders präzise. Döll erwähnt zwar den Verlust des Vaters, Panikattacken, Spielsucht, Therapie. Was all das mit ihm und seinen Gefühlen macht, führt er aber nirgends wirklich aus. Das ist sein gutes Recht, klar. Niemand muss sich in die verletzte Seele gucken lassen, schon gar nicht von Wildfremden.
Wenn Döll im Titeltrack über die Probleme seiner Mit-Patient*innen erzählt, wirkt es, als versuche er, sich mit seiner eigenen Geschichte hinter den Dramen der anderen zu verstecken. Hier tritt am deutlichsten zutage, was das komplette Album durchzieht: Döll droppt ein paar psychologische Punchlines, lässt sich dabei aber nicht greifen und schon gar nicht identifizieren.
Womit wir wieder beim Artwork wären: Es verrät sehr viel mehr über "Weg Vom Weg" als alles, das Döll auf diesem Album sagt. Nein, keine Mogelpackung. Das Gefühl, mit weniger abgespeist worden zu sein als verheißen, werd' ich trotzdem nicht los. Als habe Döll seine Autobiografie geschrieben, zeige davon aber nur das Inhaltsverzeichnis. Vielleicht hat er die Kapitel aber auch einfach noch nicht ausformuliert.
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