laut.de-Kritik

Apokalyptischer Ritt durch Himmel, Hölle, Zeit und Raum.

Review von

Schöner als Peter Green von "The Sleeping Shaman" kann man diese Platte nicht umschreiben. Deshalb verzeiht mir bitte, wenn ich ihn hier zitiere: "Die einzige Möglichkeit, Zeuge eines noch faszinierenderen Jams zu werden, wäre, Jimi Hendrix, Keith Moon, Frank Zappa und John Entwistle auszubuddeln, sie bis unter die Schädeldecke mit Adrenalin vollzupumpen und dann eine Woche lang auf der Bühne wie Kreisel abzufeuern."

Der Name Earthless allein dürfte Kennern das Wasser im Mund überlaufen lassen. Wenn dann J Mascis von Dinosaur Jr. (ja, genau der, der den Drumhocker bei Nirvana ausgeschlagen hat und in mehreren Rankings der besten Gitarristen aller Zeiten auftaucht) an der Sechssaitigen loslegt, ist der vorzeitige Ohrgasmus quasi garantiert. Aufgrund des kurzfristigen Ausfalls von Earthless' Isaiah Mitchell komplettiert Mascis Witch- und Heavy Blanket-Kollege Graham Clise das Line-Up an Gitarre Nummer zwei.

Zwar gab es 2009 ein einzelnes Konzert, bei dem J Mascis und Earthless gemeinsame Sache machten. Der damalige Gig beim texanischen SXWS setzte also gewissermaßen die Basis für "In A Dutch Haze". Allerdings war damals Graham Clise nicht mit von der Partie. So kamen die glücklichen Besucher des Roadburn Festivals 2012 in den Genuss, eine Formation zu hören, die noch niemals zuvor in dieser Konstellation zusammengespielt hatte.

Davon ist jedoch rein gar nichts zu merken. Das Quartett liefert einen knapp einstündigen Monster-Jam ab. Man kann von Glück sagen, dass hier die Soundmänner ihre Mikrofone positioniert hatten. Vorsichtig tasten sich die Musiker zunächst in das kommende Spektakel hinein. Die Gitarren spielen mit Feedback und Hall, Mario Rubacalba öffnet mit dichtem Beckenwirbel langsam das Tor in eine andere Dimension. Mike Egintons Bass knirscht sich vorwärts und leitet nach vier Minuten die nächste Phase ein.

Schon jetzt beginnen Mascis und Clise Doppelleads zu entwickeln. Schon jetzt harmonieren alle Beteiligten besser als so manche Band, die seit Jahren gemeinsam tourt. Rubacalba beginnt, das Tempo anzuziehen. Die Saitenfraktion steigt ein und lässt erstmals die Finger flirren. Der "Paradise In A Purple Sky" getaufte Track nähert sich seinem Kern. Wenig später versinkt er bereits darin.

Wie die Instrumentalisten das Kommende eine ohne Pause durchhalten, wird für die Meisten wohl immer ein Rätsel bleiben. Die Geschwindigkeit bleibt hoch, die Soli halten nur selten an, Eginton ist ein unverrückbarer Fels, Rubacalba schlicht nicht von dieser Welt. Gelegentlich reduzieren die beiden Gitarristen ihre errichtete Soundwand und lassen Raum für atmosphärische Effektspielereien. Einer der beiden ist aber meist sogar währenddessen akrobatisch unterwegs.

Auch für den Hörer gibt es keine Verschnaufpause. Ständig passiert etwas Neues – das Quartett hält die Spannung über die gesamte Laufzeit am Anschlag. Egal ob mit psychedelischen Bassinterludes, wahnwitzigen Sololäufen oder phänomenalen Schlagzeugeinlagen - was die Musiker auch anstellen, es wird zu purem Gold.

Nach einer halben Stunde befinden sich vier apokalyptischen Reiter auf dem Weg durch Himmel, Hölle, Zeit, Raum und Unendlichkeit. Schrei "Stop!" und es geht nur noch rasanter voran. Die Richtung weist inzwischen eindeutig Eginton, obwohl sein Bass zwischen Mascis und Clises Ekstasen fast unspektakulär erscheint. Doch er ist es, der alles zusammenhält, mit einer stoischen Besonnenheit, zielgerichteten Vision und überragendem musikalischen Gespür. Sein Rhythmuspartner an den Kesseln dreht mit einigen wenigen Handgriffen die komplette Stimmung auf den Kopf, öffnet und schließt nach Belieben die berstenden Mahlströme.

Beim Blick auf die Uhr merkt man, dass beim fulminanten Höhepunkt bereits über eine Dreiviertelstunde vergangen ist. Und selbst diesen kosten die Musiker opulent aus. Fast zehn Minuten lang malträtieren sie ihre Tonspender auf absurd utopischem Niveau und enden in einer unwirklich anmutenden Rückkopplungs-Orgie. Applaus, Applaus, versucht jetzt bitte bedächtig, die Kontrolle über eure Unterkiefermuskulatur zurückzugewinnen. Durchblutung ist wichtig. Gute Nacht.

Trackliste

  1. 1. Paradise In A Purple Sky

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Earthless Meets Heavy Blanket – In a Dutch Haze €17,07 €3,00 €20,07

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Earthless

Jimi Hendrix steht nicht nur im Ruf, der größte Gitarrist aller Zeiten zu sein. Vor allem in puncto Improvisation können ihm ganz, ganz wenige das …

1 Kommentar mit 2 Antworten